Konsumstreik: Raphael Fellmer braucht kein Geld zum Leben

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Gute Tagesausbeute: Raphael Fellmer ernährt sich von geretteten Lebensmitteln. Foto: Bernd Settnik, dpa/Archiv
Gute Tagesausbeute: Raphael Fellmer ernährt sich von geretteten Lebensmitteln.  Foto: Bernd Settnik, dpa/Archiv
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Raphael Fellmer lebt als Lebensmittelretter mit seiner Familie in Berlin - ohne Geld, aber gut. Wie das funktioniert, erzählt er bei Vorträgen in Franken.

Zeitungen, Radio, Fernsehen, alle wollen dasselbe von Raphael Fellmer. Wissen, ob es stimmt. Ob es funktioniert: Ohne einen Cent besser und ökologischer zu leben, mitten in Berlin, mit Frau und Kind. "Klar funktioniert das", sagt Fellmer und lacht. Dann muss er los, Lebensmittel retten.

Sein Traum von einer Welt ohne Konsumzwang begann 2010. Nach seinem Studium machte sich der damals 30-Jährige auf zu einer Reise, die ihn von Holland nach Mexiko und in die USA führte. Bewusst nahm er kein Geld mit - und kam gut zurecht. 2011 kehrte er mit seiner Frau nach Berlin zurück, seine Tochter wurde geboren.

2012 trat die kleine Familie in den Konsumstreik, begann mit dem Retten von Lebensmitteln und beschloss, ohne Geld glücklich zu werden. "Ich will Geld nicht", sagt der sympathische Mann mit sanfter Stimme und streicht seine langen Haare zurück.
"Ich brauche es nicht und ich glaube an eine Welt, in der Geld keine Rolle mehr spielt."


Er will den Wandel vorantreiben
Seine Überzeugung "für eine Kultur des Teilens gegen Verschwendung und Überfluss" vertritt er öffentlich: Mit Vorträgen, zum Beispiel beim Bamberger Hochschultag am 14. Mai, und durch Medienauftritte im Radio und Fernsehen. Geld nimmt Fellmer dafür nicht, auch sein Buch "Glücklich ohne Geld" hat er ehrenamtlich geschrieben.

Dass ihn die Talkshows berühmt gemacht haben, ist ihm nicht wichtig. Er nutzt sie, sagt der Berliner Lebenskünstler, für die Verbreitung seiner Idee: "Ich möchte den Menschen bewusst machen, dass sie viel für die Erde und alle Lebewesen tun können. Ich möchte den Wandel vorantreiben."

Den Wandel. Was er selbst dafür tut? Wovon lebt er eigentlich? Und wie? "Wir wohnen in Berlin bei einer Familie mit drei Kindern. Sie stellt uns ein Zimmer zur Verfügung, den Rest teilen wir." Fellmers helfen in Haus und Garten, "aber es ist kein Tauschverhältnis. Der anderen Familie ist es einfach wichtig, uns zu unterstützen".

Das schließt die Bezahlung von Rechnungen zum Beispiel für Strom ein, den Fellmers natürlich ebenso verbrauchen wie Gas und Wasser. Also fließt doch Geld in seinem Umfeld? "Klar bin ich auch Teil des Kapitalismus und ich verbrauche auch Energie", sagt Fellmer. "Aber ich bezahle nichts dafür, ich habe mit Geld nur indirekt zu tun."
Er verdiene nichts, er gebe nichts aus, er habe sich dem Energieraub und der Bürokratie entzogen. Auf die Frage, ob er nicht gerade deshalb auf Kosten anderer oder der Natur lebe, antwortet er: "Kinder leben ja auch nicht geldfrei, werden aber in einer Gesellschaft groß und können sich entfalten. So sehe ich mich auch."


Bloß nichts wegwerfen
Dass manche denken, er führe ein Juxleben - Fellmer kennt die Reaktionen auf seine Philosophie. Die meisten seien aber, sagt er, positiv. Immer wieder unterstützen ihn Menschen mit Kleiderspenden oder Haushaltsgeräten. Fürs Essen sorgt er selbst: Aus der Idee, für den Eigenbedarf abends bei einem Berliner Bioladen übrige Lebensmittel abzuholen und vor dem Wegwerfen zu bewahren, entwickelte Fellmer auf der Basis von "Foodsharing" die Initiative "Lebensmittelretten" samt gleichnamiger Internetplattform.

Von Berlin aus zog sie ihre Kreise bis nach Österreich und in die Schweiz. Fellmer und sein Team kümmern sich um die Organisation: Jeden Tag holen 4000 Helfer bei 600 Betrieben vom Bäcker bis zum Discounter Waren ab, nach festen Uhrzeiten oder auf Zuruf. "Das soll zur vollsten Zufriedenheit der Firmen passieren, um die Lebensmittelverschwendung effektiv einzudämmen", sagt Fellmer.


Die Idee vom Ökodorf
Für ihn ist dieses Engagement mehr als ein Vollzeitjob - ohne Verdienst. Sowieso arbeiten alle ehrenamtlich mit, vom Programmierer bis zum Anwalt, und funktioniert alles zu 100 Prozent geldfrei: "Weil die Menschen einen Sinn darin sehen".

So wie in Eotopia. Einem veganen Ökodorf, das in Frankreich entstehen soll und in das Fellmer mit seiner Familie bald umziehen will. Eine Internetseite in fünf Sprachen (www.eotopia.org) gibt es schon, ein Grundstück auch. Ein Kernteam aus 20 Visionären - darunter Fellmer - hat es zum symbolischen Preis von einem Euro für 99 Jahre gepachtet.


Autark leben
"Wir werden völlig autark sein, unser Essen und unsere Energie selbst produzieren", sagt Fellmer. "Wir wollen zeigen, wie man Nachhaltigkeit modern leben kann, ohne ins Mittelalter zurück zu müssen." Er schwärmt von Windrädern und Permakultur, Workshops und Festivals.

200 Menschen aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Berufen sollen einmal im Ökodorf wohnen. Ob ihr geldfreies Leben funktioniert, wird man sehen - das Projekt wird medial begleitet. Spätestens dann heißt es wieder: Auftritt Raphael Fellmer.