Europa, lass keinen einzigen Flüchtling mehr ertrinken!

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Foto: Andy Rain/dopa
Foto: Andy Rain/dopa

Das Foto des toten Flüchtlingskindes an der Küste von Kos ist eine Zumutung, ein Schock. Seine Veröffentlichung ist nur dann legitim, wenn es unseren Umgang mit den Flüchtlingen konkret verändert. Europa muss endlich mehr tun, damit nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen.

Manche Bilder haben die Kraft, die Wirklichkeit zu verändern. Das Bild des nackten Mädchens zum Beispiel, das schreiend vor US-amerikanischen Napalm-Wolken flüchtete, hatte diese Kraft. Das 1972 nahe Saigon geschossene Foto untergrub die Legitimität des Vietnam-Kriegs und beschleunigte damit wohl entscheidend das Ende des Kriegs. Die amerikanische Gesellschaft hielt die bildliche Repräsentation des Kriegs schlicht nicht mehr aus.
Vielleicht haben Redaktionen in aller Welt dieses Vorbild im Sinn, wenn sie jetzt das Foto eines an der türkischen Küste ertrunkenen syrischen Flüchtlingskinds veröffentlichen.

Sie hätten mit guten Gründen auch einen der zahllosen Erwachsenen abbilden können, die seit Jahr und Tag tot an den Küsten Südeuropas tot angeschwemmt werden. Aber ein totes Kind potenziert den symbolischen Gehalt eines Fotos, auch das konnten die Redaktionen von oben beschriebenem Vietnam-Foto lernen.

Der Anblick des toten Flüchtlingskindes ist eine Zumutung, ein Schock. Seine Veröffentlichung und Rezeption sind nur dann legitim, wenn es unseren Umgang mit den Flüchtlingen konkret verändert. Obszön dagegen wäre es, wenn wir uns von dem Bild lediglich unser bürgerliches Selbstmitleid massieren lassen würden.

Ja, wir sollten ein solches Foto nicht mehr länger aushalten wollen. Aber nicht aus Sorge um unsere empfindsamen Seelen, sondern aus Mitleid und Respekt vor dem menschlichen Leben. Wir Europäer sollten Bilder von toten Flüchtlingen aber auch um unserer Selbstachtung willen nicht mehr aushalten wollen.

Der Tod dieses Kindes widerspricht allen Überzeugungen vom Wert eines jeden Individuums, die Europa zu einem so lebenswerten Kontinent gemacht haben. Was aus dem Foto folgen muss, ist ein klarer Handlungsauftrag für die europäische Politik. Sie muss den Kampf gegen das menschenverachtende Geschäft der Schleuser weiter verstärken. Einerseits. Andererseits hat Europa zu viele Schiffe und Flugzeuge, um Flüchtlinge auf klapprige, seeuntüchtige Boote zu zwingen. Europa sollte zumindest jene Menschen aus Syrien, deren Asylanträge ohnehin größtenteils akzeptiert werden, geregelt nach Europa holen. Mit Flugzeugen oder Schiffen. Es ist an der Zeit, das bisher Undenkbare zu denken.