Wer nichts zu verbergen hat...

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Anhand einer solchen Vorlage müssen Vereine die Tauglichkeit ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter nachweisen.
Anhand einer solchen Vorlage müssen Vereine die Tauglichkeit ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter nachweisen.

Zur Verbesserung des Jugendschutzes müssen Ehrenamtliche, die mit Kindern arbeiten, der Vereinsführung ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das bringt die Beteiligten unter Umständen in eine heikle Lage.

Erwachsene, die regelmäßig mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten, sind verpflichtet, alle fünf Jahre mit einem erweiterten Führungszeugnis nachzuweisen, dass sie für eine solche Tätigkeit geeignet sind. So sieht es die Neufassung des Bundeskinderschutzgesetzes vor, die seit Januar 2012 in Kraft ist. Dieser Nachweis betrifft auch Ehrenamtliche, die als Übungsleiter, Jugendtrainer oder in ähnlichen Funktionen in Sport- oder Gartenbauvereinen, bei der freiwilligen Feuerwehr oder in der kirchlichen Jugendarbeit tätig sind. Der Gesetzgeber und die Jugendämter, die mit der Umsetzung betraut sind, nutzen diesen Weg, um verdeckten Missbrauchsfällen vorbeugend entgegenzutreten. Ein ehrbares Ziel, doch die Realisierung gestaltet sich schwierig.

"Wir haben in Bayern 71 Landkreise sowie 25 kreisfreie Städte und gefühlte 80 verschiedene Herangehensweisen, dem §72a im Sozialgesetzbuch VIII Rechnung zu tragen", sagt Luise Pusch, Bezirksvorsitzende der Bayerischen Sportjugend (BSJ) in Oberfranken. "Aus unserer Sicht wäre es am besten, wenn an zentraler Stelle, also im zuständigen Jugendamt oder der örtlichen Verwaltung, jemand säße, der den Ehrenamtlichen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellt, die sie dann dem Vereinsvorsitzenden vorlegen", sagt Pusch. So sieht es auch das so genannte Regensburger Modell vor (siehe unten), das umstritten ist und sich - wohl auch wegen eines befürchteten Mehr-Aufwandes - bisher nicht flächendeckend durchgesetzt hat.

Probleme mit dem Datenschutz

Grundsätzlich unterliegt die Kontrolle den Vereinen selbst. Das heißt, der Vorsitzende lässt sich das Führungszeugnis aller Ehrenamtlichen im Klub vorlegen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Problem: Im Führungszeugnis könnten Dinge stehen, die den Kinderschutz nicht betreffen und den Vereinsvorsitzenden nichts angehen. Datenschutz und Persönlichkeitsrechte würden also mit Füßen getreten. Dazu hat es der Vereinsvertreter, der zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet ist, schwer, einen Nachweis zu führen, denn kopieren oder speichern darf er das Führungszeugnis nicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies womöglich auch Verunsicherung, die der eh' schwierigen Suche nach Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, nicht zuträglich wäre.

Wegen dieses komplizierten und unsicheren Verfahrens sahen sich viele Jugendämter großer Kritik von Seiten der Vereine ausgesetzt. "Ich fürchte, dass es in der Bundesregierung keine Planspiele über die Auswirkungen des Gesetzes gab", erklärt Rolf Grube, stellvertretender Jugendamtsleiter der Stadt Coburg. Kein Wunder, dass es bis Mitte 2013 dauerte, ehe ein Leitfaden zur Umsetzung des Gesetzes ausgegeben wurde. Seitdem hat sich Grube intensiv mit dem Thema beschäftigt. In Abstimmung mit dem Landkreis Coburg wurde inzwischen ein praktikabler Ansatz gefunden. "Wir haben versucht, den Aufwand für die Vereine und Ehrenamtlichen so gering wie möglich zu halten, und bieten zwei Möglichkeiten an: Entweder der Ehrenamtliche legt seinem Vereinsvorsitzenden das Führungszeugnis vor - mit allen Konsequenzen - oder er kommt mit dem Führungszeugnis ins Landratsamt oder bei uns ins städtische Sportamt und lässt sich dort eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen, die er im Verein zeigt", sagt Grube.

Vereine schützen sich selbst

Der Coburger hält die Neuauflage des Gesetzes für ein wichtiges Signal, um die Bevölkerung für das Thema Missbrauch zu sensibilisieren und den Kinderschutz zu verbessern. "Früher hätten sich doch viele Vereinsverantwortliche gar nicht getraut, nach dem Privatleben der Ehrenamtlichen zu fragen. Jetzt sind sie gesetzlich dazu verpflichtet und können sich so auch selbst schützen", betont Grube, wohlwissend, dass die Vorlage eines Führungszeugnisses einen Täter, der es darauf anlegt, nicht abhalten wird. "Wenn aber etwas passiert, und es kommt heraus, dass derjenige kein Führungszeugnis vorgelegt hat, wäre der Image-Schaden für den Verein wohl irreparabel."

Soweit wie in Coburg ist die Umsetzung des neuen Kinderschutzgesetzes noch nicht überall gediehen. Zwar ist Franken bei der Umsetzung insgesamt schon sehr weit, einige Landkreise feilen aber noch an ihrem Konzept. Bis die dortigen Jugendämter die Vereine in ihrem Sprengel anschreiben, besteht für die Klubs noch kein akuter Handlungsbedarf, auch wenn sie sich mit dem Kinderschutz natürlich schon intensiv befassen sollten.
Zudem scheint eine Vereinfachung in Sicht, mit der ehrenamtlichen Funktionsträger entlastet würden, ohne das Ziel eines wirksamen Kinder- und Jugendschutzes zu gefährden. Auf Initiative Bayerns prüft das Bundesjustizministerium momentan die Möglichkeit, in Form einer Unbedenklichkeitsbescheinigung mitzuteilen, ob eine Vorstrafe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorliegt. Die Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses, das deutlich mehr Informationen enthalten kann, wäre damit entbehrlich.

Regensburg hat es vorgemacht - nun ziehen viele Kommunen nach

Um sicherzustellen, dass auch ehrenamtlich Tätige dem Verein ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, hat das Kreisjugendamt Regensburg mit allen Trägern der freien Jugendhilfe, insbesondere mit den Vereinen, Vereinbarungen getroffen, die die Einsichtnahme in die erweiterten Führungszeugnisse und die gesamte Umsetzung regeln.
Das heißt: Ehrenamtliche können das erweiterte Führungszeugnis bei Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des Vereins bei der zuständigen Kommune kostenlos beantragen. Dieses Zeugnis kann nach Erhalt einem neutralen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Mitarbeiter des Bürgerbüros vorgelegt werden. Diese Vertrauensperson stellt eine so genannte Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, die dokumentiert, dass keine Eintragung mit Relevanz im Sinne des Bundeskinderschutzgesetzes vorliegt. Diese Unbedenklichkeitsbescheinigung - und nicht das Führungszeugnis selbst - kann dann dem Verein vorgelegt werden.
Dieses Modell hat vielerorts Schule gemacht: Zum Beispiel haben sich die Stadtverwaltung und der Vereinssportbeirat (VSB) in Herzogenaurach vor einem halben Jahr verbindlich darauf geeinigt. "Wir haben früh gemerkt, was da im Busch ist und schon Ende 2012 erste Gespräche geführt. Als dann klar wurde, dass der Landkreis Erlangen-Höchstadt in die gleiche Richtung geht, haben wir das Konzept gemeinsam auf den Weg gebracht", sagt VSB-Vorsitzender Walter Bauer, dem es vor allem um den Schutz der Ehrenamtlichen geht.

Landkreis Bad Kissingen: Bereits 2013 wurde eine Vereinbarung getroffen, in der sich die Städte, Märkte und Gemeinden im Landkreis bereit erklärten, die individuelle Prüfung der Führungszeugnisse auf Wunsch der Zeugnisinhaber vorzunehmen und Bescheinigungen auszustellen, aus denen hervorgeht, dass keine für das Bundeskinderschutzgesetz relevanten Einträge vorliegen. Damit werden den Verantwortlichen der Freien Träger u. a. Fehler bei der Datenspeicherung sowie die direkte Einsichtnahme ins Führungszeugnis und die Kenntnisnahme nicht relevanter Einträge erspart.

Landkreis Haßberge: Ende 2013 fing der Landkreis an, Informationsveranstaltungen für die Vereine abzuhalten und erstellte ein Konzept, das den Ehrenamtlichen eine weitere Möglichkeit bietet: "Wer sein Führungszeugnis weder beim Verein noch bei der Gemeinde vorzeigen will, kann sich auch bei uns im Jugendamt eine Unbedenklichkeitsbescheinigung abholen", sagt Franz Heinrich vom Amt für Jugend und Familie.

Landkreis Kronach: Seit wenigen Wochen ist auch der Landkreis Kronach an Bord. "Das Regensburger Modell ist die momentan praktikabelste Lösung, um das Gesetz umzusetzen", erklärt Landratsamtsmitarbeiter Bernd Pflaum. Zwar gebe es einen Vorstoß des Bayerischen Jugendrings, dass mit der Beantragung der Jugendleiter-Card (Juleica) eine Unbedenklichkeitsbescheinigung einhergeht und damit die Bürokratie noch weiter verschlankt wird. Doch das sei Zukunftsmusik.

Landkreis Lichtenfels: Hier ist es so geregelt, dass sich grundsätzlich die Vereinsführungen die Führungszeugnisse vorlegen lassen. Sofern ein Ehrenamtlicher aber nicht möchte, dass der Verein Einsicht hat, kann er bei seiner Wohnsitzgemeinde eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen.

Stadt Bamberg: In der Stadt Bamberg hat man einen eigenen Ansatz gewählt: Die Jugendpflege hat mit den Vereinen eine Vereinbarung getroffen, dass diese sich alle fünf Jahre die Führungszeugnisse ihrer Mitarbeiter zeigen lassen und die Jugendpflege informieren, ob alles in Ordnung ist. Das wurde schon 2011 auf den Weg gebracht und läuft unproblematisch. 2016 wird die Jugendpflege die Vereine anschreiben - dann wird nämlich die nächste Einsichtnahme fällig.

Wissenswertes rund um das erweiterte Führungszeugnis

Ehrenamtliche müssen nicht zahlen: Das erweiterte Führungszeugnis wurde 2010 als Ergänzung zum einfachen Führungszeugnis eingeführt. Es kann bei der Wohnsitzgemeinde oder über das Online-Portal des Bundesamtes für Justiz beantragt werden. Die Bearbeitungsdauer beträgt in der Regel zwei Wochen. Grundsätzlich ist die Erteilung eines Führungszeugnisses gebührenpflichtig (13 Euro). Wenn allerdings die Bestätigung des Vereins vorliegt, ist die Erstellung des erweiterten Führungszeugnisses für ehrenamtlich Tätige kostenfrei. Vordrucke für den Antrag auf ein Führungszeugnis für Ehrenamtliche gibt es auf den Internetseiten der Landkreise.

Auch minderschwere Delikte sind aufgeführt: Im Gegensatz zum einfachen Führungszeugnis sind im erweiterten nun auch weitere Delikte im niedrigen Strafbereich aufgeführt (Erstverurteilungen unter 90 Tagessätzen Geldstrafe oder unter drei Monaten Freiheitsstrafe). Solche Delikte sind z.B.: Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, Ausbeutung von Prostituierten, Zuhälterei, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Menschenhandel, Kinderhandel, Verurteilungen wegen exhibitionistischer Handlungen oder wegen Besitzes und Verbreitung von Kinderpornografie.

Schwammige Formulierung: Das neue Gesetz soll den Kinderschutz umfassend verbessern, Prävention und Intervention voranbringen und alle Akteure stärken, die sich für das Wohlergehen von Kindern engagieren (Eltern, Kinderarzt, Hebamme, Jugendamt oder Familiengericht). Es stützt sich auf vier Eckpfeiler: Frühe Hilfen und verlässliche Netzwerke, verbindliche Standards, belastbare Daten sowie mehr Handlungs- und Rechtssicherheit. Ein Teilaspekt bei Letztgenanntem ist das erweiterte Führungszeugnis: Alle hauptamtlichen Mitarbeiter in der öffentlichen und freien Jugendhilfe werden zur Vorlage eines solchen verpflichtet. Bei Ehrenamtlichen ist die Formulierung schwammig: Träger der Jugendhilfe sollen sich einigen, für welche Tätigkeiten erweiterte Führungszeugnisse nötig sind - abhängig von der Art der Tätigkeit oder der Intensität des Kontakts zu Kindern.

Missbrauchsfälle: Häufigkeit, Täter, Aktionsradius

Rund 1800 Fälle von sex ualisiertem Missbrauch Minderjähriger wurden im vergangenen Jahr in Bayern von der Polizei erfasst. Die Dunkelziffer wird bis zu 20-mal höher geschätzt. Es ist bekannt, dass rund ein Drittel aller bayerischen Jugendverbände bereits mit Fällen sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen konfrontiert war. Die Täter kommen zu 66 Prozent aus dem Bekanntenkreis des Opfers. Die Täter sind zu 85 bis 90 Prozent männlich und leben heterosexuell. Die Täter kommen aus allen Altersgruppen. Sie sind meist Wiederholungstäter. Der Missbrauch wird bewusst geplant und herbeigeführt. Missbrauch findet nicht nur im Privaten statt. Täter gehen strategisch vor und halten sich dort auf, wo Kinder und Jugendliche sind. Der Sport ist durch die körperbezogene Bewegungskultur attraktives Terrain.