"Sehe meine drei Töchter in der Blutlache": Ersthelfer erleidet Trauma bei Würzburger Messerattacke

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Würzburger Messerattacke führt zu Trauma: "Sehe meine drei Töchter in der Blutlache"
Auch nach fast zwei Jahren beschäftigt die Messerattacke von Würzburg noch immer viele Menschen. - etwa Gerhard Schwarzmann (r.) ...
Würzburger Messerattacke führt zu Trauma: "Sehe meine drei Töchter in der Blutlache"
Karl-Josef Hildenbrand (dpa) / Privat; Collage: inFranken.de

Die tödliche Messerattacke in Würzburg hat bei Gerhard Schwarzmann ein Trauma ausgelöst. Der Ersthelfer sah in Gedanken lange Zeit seine eigenen drei Töchter in der Blutlache liegen. Der 61-Jährige begab sich deshalb in eine spezielle Art von Therapie.

  • Tödliche Messerattacke von Würzburg löst Trauma bei Ersthelfer aus
  • Trotz jahrzehntelanger Erfahrung: Notarzt trägt belastende Erinnerungen davon
  • "Bilder von meinen Töchtern aus dem Kopf kriegen": 61-Jähriger erleidet Belastungsstörung
  • Zeuge spricht in ZDF-Doku über sein Schicksal - spezielle Therapie hilft ihm

Die Tat löste deutschlandweit tiefe Bestürzung aus: Bei einer Messerattacke auf arglose Passanten in Würzburg wurden im Sommer 2021 drei Frauen getötet und neun Personen verletzt. Beim Täter handelte es sich um einen Flüchtling aus Somalia. Der psychisch kranke Täter landete nach seinem angerichteten Blutbad in einer Psychiatrie. Das Gewaltverbrechen wühlt auch heute noch, fast zwei Jahre später, viele Menschen in Würzburg in ihrem Innern auf. Einer von ihnen ist Gerhard Schwarzmann - er wurde als Zeuge unversehens in das Geschehen mit hineingezogen. Mit schweren Folgen: Der tödliche Messerangriff hat ihn nachhaltig traumatisiert, wie er gegenüber inFranken.de berichtet. 

Messerattacke von Würzburg führt zu Trauma: Zeuge sieht in Gedanken eigene Töchter  - "ganz real"

Zu den Schwerverletzten der Würzburger Messerattacke zählte auch ein junges Mädchen aus der Region. Die Mutter der Elfjährigen wurde getötet. Im Gespräch mit inFranken.de erzählt Ersthelfer Dr. Gerhard Schwarzmann jetzt, wie er den Tag seinerzeit erlebt hat. "Ich bin in der Straßenbahn gefahren und habe auf einmal eine Verletzte gesehen", erinnert er sich an jenen 25. Juni 2021, der sein Leben anhaltend verändert hat. Ohne zu zögern, hält der erfahrene Notfallmediziner die Bahn an und eilt mit einem Verbandskasten in Richtung Barbarossaplatz.

"Ich habe gerufen: 'Ich bin Notarzt. Kann ich helfen?'" Doch ein anderer Ersthelfer, ein Chirurg, kümmert sich bereits um die verletzte Frau. "Dann hat einer geschrien: 'Im Woolworth liegen auch welche.'" Schwarzmann begibt sich laut eigener Schilderung ins Innere des Geschäfts. "Im Kaufhaus war keine Polizei, dort waren keine Sanitäter." Stattdessen stößt er auf Leichen und eine Schwerverletzte. Zu diesem Zeitpunkt sei noch nicht einmal bekannt gewesen, dass es sich bei den Örtlichkeiten um einen Tatort handelt.

In der neuen ZDF-Doku "Terra Xplore - Schluss mit belastenden Erinnerungen!" spricht der Mediziner in Hinblick auf jenen 25. Juni von einem Ereignis, in das er unvorbereitet hineingeraten sei - "ohne Vorwarnung, ohne Schutzkleidung. Von null auf hundert." "Ich habe für einen kurzen Zeitmoment - und das mehrfach hintereinander - anstelle der drei getöteten Frauen meine drei Töchter liegen sehen. In der Blutlache. Ganz real." Der heute 61-Jährige spricht gegenüber inFranken.de von einem Bild, "so wie man es teilweise aus Filmen kennt". Schwarzmanns Töchter sind zwischen zwölf und 17 Jahren alt.

"Bilder tun anders weh": 61-Jähriger schildert gruselige Flashbacks nach Würzburg-Horror

Das Erlebnis ist augenfällig derart nachdrücklich, dass es zu einer Zäsur im Leben des erprobten Notarzt-Profis führt. "Ich bin über 40 Jahre im Geschäft", sagt Schwarzmann. "Ich bin ein gewissermaßen ein Hardliner gewesen." Bis zu jenem Tag habe er nie gedacht, dass er jemals eine Belastungsstörung entwickeln könne. Doch anders als sonst betritt Schwarzmann diesmal als Privatperson den Einsatzort. "Ich glaube schon, dass das wirklich ein elementarer Unterschied war", hält er in der ZDF-Dokumentation fest. "Die Bilder tun anders weh, als ich es von anderen Einsätzen kenne", betont der Notarzt im Gespräch mit inFranken.de.

Seine schrecklichen Erfahrungen lassen den Würzburger Mediziner auch nach dem Tag der Messerattacke nicht los. Der Arzt des Uniklinikums Würzburg wendet sich wegen seiner Flashbacks schließlich an die Psychiatrie des Krankenhauses. "Ich habe gesagt: 'Ich muss die Bilder von meinen Töchtern aus meinem Kopf kriegen.'" Die Folgen der Bluttat am Würzburger Barbarossaplatz machen sich auch heute noch im Alltag des 61-Jährigen bemerkbar. "Ich reagiere ganz anders, wenn jemand hinter mir läuft." Dies komme selbst in Bezug auf seine eigenen Kinder vor.

"Da ist mir schon öfter eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen, schildert er die körperlichen Reaktionen infolge des erlittenen Traumas. Er berichtet von Unwohlsein und Angstgefühlen. "Auch ein Frösteln, Wut, Trauer und Entsetzen spüre ich." Die Bilder der Opfer machen sich zudem wiederkehrend im Geist des Arztes bemerkbar. Sie treten demnach teils auch in verfremdeter Erscheinungsform auf. "Ich habe zum Beispiel die Toten, aber auch Helfer, so gesehen wie in der Darstellung von Munchs 'Der Schrei'." Der Titel ist das bekannteste Bildmotiv des norwegischen Malers Edvard Munch.

"Es geht nicht mehr": Notarzt begibt sich nach Messerangriff in spezielle Traumatherapie

"Mit ganz großen Augen, offenem Mund." Schwarzmann nimmt darin Entsetzen wahr. "Das Nichtwahrhabenwollen, dass das passiert ist. Die Trauer, auch der Schmerz, die Tragödie und der Tod." Es sei erstaunlich, was Bilder, Gerüche und Laute mit einem machen, sagt Schwarzmann. "Obwohl man ja weiß, dass man dort nicht mehr ist", hält er mit Blick auf den Tatort fest. Doch erst als er einen Vortrag über sein Eingreifen im Kaufhaus halten soll, wird ihm laut Eigenaussage bewusst, dass er so nicht weitermachen kann. "Da habe ich gemerkt: 'Ich brauche Hilfe. Es geht nicht mehr.'

Nach dem Messerangriff wurde in Würzburg eigens eine Traumaambulanz eingerichtet. Hier findet schließlich auch Gerhard Schwarzmann die professionelle Unterstützung, die er benötigt. Mithilfe der sogenannten EMDR-Methode versucht der 61-Jährige, seine einschneidenden Erlebnisse aufzuarbeiten. EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing. "Das heißt, eine Traumaverarbeitung mittels Augenbewegung", erklärt Dr. Marion Schowalter im TV-Beitrag. "Es geht darum, dass sich der Gerhard in eine traumatische Situation hineinversetzt", sagt die Psychotherapeutin. "Sich wieder hineinfühlt. Sich wieder ein schlimmes Bild vor Augen führt."

Sie leite den Patienten anschließend an, seine Augen zu bewegen, schildert Schowalter den Ablauf einer Sitzung. "Und allein diese Augenbewegung hilft, dass er in einen Verarbeitungsprozess kommt." Ausführliche Informationen zum Thema gibt es auf der Webseite des wissenschaftlichen Fachverbands wissenschaftliche Fachverband EMDRIA Deutschland e.V.

Besondere Therapie hilft Notarzt - Mediziner geht ungewöhnlichen Schritt

Dank der EMDR-Methode gelingt es Schwarzmann letztlich, immer mehr loszulassen. "Die Therapie ist jetzt erst einmal abgeschlossen", konstatiert er. "Ich könnte sie aber jederzeit wieder aufnehmen." Mit seinem erlittenem Trauma geht der Notarzt mit jahrzehntelanger Erfahrung bewusst offen um.

"Ich halte zu dem Thema auch Vorträge. Es geht mir darum, die Hemmschwelle zu senken und das Thema zu etablieren", hält Schwarzmann im Gespräch mit inFranken.de fest.

Auch seinen Kollegen und Kolleginnen in der Notfallmedizin wolle er an seinem Beispiel zeigen: "Leute, das kann sogar mir passieren." Das Ereignis vom 25. Juni 2021 hat demnach bei vielen Menschen nachhaltig Spuren hinterlassen. "Der Angriff war im Herzen Würzburgs und hat die Würzburger in ihrem Herz getroffen."