Psychologe: Hass des Attentäters von Würzburg muss riesig gewesen sein

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Ein Polizist betritt in Ochsenfurt das Kolping-Heim, in dem der 17 Jahre alte Angreifer aus Afghanistan als Flüchtling gelebt hatte. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa
Ein Polizist betritt in Ochsenfurt das Kolping-Heim, in dem der 17 Jahre alte Angreifer aus Afghanistan als Flüchtling gelebt hatte.  Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa
Thomas Mücke
Thomas Mücke
 

Der Psychologe Thomas Mücke hat viel Erfahrung mit radikalisierten Jugendlichen. Attentate wie das in Würzburg hält aber auch er für nicht zu verhindern.

Violence Prevention Network (VPN) heißt ein Verbund von Pädagogen und Psychologen, die in der Prävention sowie der Deradikalisierung extremistisch motivierter Gewalttäter tätig sind. In Bayern kümmern sich derzeit zwei Mitarbeiter um Jugendliche, die sich religiös radikalisiert haben sowie auch um Muslime, die sich dem IS angeschlossen haben, inzwischen aber nach Deutschland zurückgekehrt sind.

Der Freistaat unterstützt die Arbeit des VPN mit jährlich 400.000 Euro. Mitbegründer und Geschäftsführer von VPN ist Thomas Mücke.

Wundert Sie, dass eine solche Attacke wie jetzt in Würzburg überhaupt passiert ist oder dass sie erst jetzt passiert ist?
Thomas Mücke: Es ist ja keineswegs das erste Mal, dass ein Jugendlicher mit einem muslimischen Hintergrund gewalttätig geworden ist. Erst Ende Februar hat eine 15-Jährige am Hauptbahnhof in Hannover einem Bundespolizisten ein Messer in den Hals gerammt. Das Mädchen hatte sich den Ermittlungen zufolge religiös radikalisiert und verstand sich als Teil der salafistischen Bewegung.

Ist das Gewaltrisiko bei jugendlichen Flüchtlingen besonders hoch?
Nein, das lässt sich so pauschal nicht sagen. Es widerspricht sogar meinen Erfahrungen, dass von den jugendlichen Flüchtlingen, die im Lauf der vergangenen zwei Jahre nach Deutschland gekommen sind, eine besondere Gefahr ausgeht.

Selbst dann nicht, wenn sie gesellschaftlich nur schlecht integriert und auf sich allein gestellt sind?
Wenn dies der Fall ist, steigt sicherlich das Risiko. Dann sind besonders auch männliche Jugendliche ansprechbar für totalitäre Ideologien wie den Salafismus. Weil dieser eine als unübersichtlich empfundene Welt klar in Gut und Böse einteilt und weil er entwurzelten Jugendlichen eine geistige und oft auch ganz konkrete Heimat anbietet. Da gibt es dann Leute, die sich um die Jugendlichen kümmern.

Muss es sich Deutschland zum Vorwurf machen, sich zu wenig um jugendliche Flüchtlinge zu sorgen?
Nein. Ich habe den Eindruck, dass sehr wohl erkannt worden ist, das jugendliche Flüchtlinge eine besondere Zuwendung benötigen. Dass sie schnell in das Schulsystem integriert werden und dass sie Deutsch lernen müssen. Der Attentäter aus Würzburg ist ja in einer Pflegefamilie untergekommen. Auch das zeigt, dass man sich um ihn gekümmert hat. Das Würzburger Attentat ist kein Anlass zur Selbstkritik.

Allerdings gibt es Tausende unbegleiteter Flüchtlinge, deren Aufenthaltsort vollkommen unbekannt ist.
Das stimmt. Der Würzburger Fall hat damit aber nichts zu tun.

Was ist mit Jugendlichen, die von Krieg und Flucht traumatisiert sind?
Auch diese Jugendliche bekommen Hilfe. Sicherlich nicht alle, weil dazu schlicht die personellen Kapazitäten fehlen. Ich habe in meiner Arbeit aber noch mit keinem traumatisierten Flüchtling zu tun gehabt, der gewalttätig geworden ist.

Wenn sich die deutsche Gesellschaft also kümmert: Aus welchen Quellen speiste sich der Hass des Würzburger Attentäters?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann es darauf keine seriöse Antwort geben. Amokläufe Jugendlicher gibt es immer wieder und aus ganz unterschiedlichen Gründen und Motiven. Dass die Wut und der Hass des 17-Jährigen riesig gewesen sein müssen, ist aber offensichtlich. Dafür spricht schon die Art und Weise seines Attentats. Er hat den Menschen in die Augen schauen können, als er sie angegriffen hat. Das verbindet ihn mit dem Attentäter von Nizza, der seine Opfer überfahren hat. Sicher ist wohl auch, dass er in selbstmörderischer Absicht gehandelt hat. Darauf lässt sein Angriff auf die Polizisten schließen.

Was bedeutet es, dass offenbar eine IS-Flagge in seinem Zimmer gefunden worden ist?
Das bedeutet zunächst einmal, dass er mit dem IS und dessen Zielen wohl sympathisiert hat. Nicht mehr und nicht weniger.

Ist der IS inzwischen die ultimative Chiffre für die radikale Ablehnung der Gesellschaft? Kann deshalb jeder im Namen des IS töten, ohne zuvor den IS-Treueschwur geleistet zu haben?
Dieses Muster erkennen wir schon länger, zuletzt beim Attentat in Nizza. Der IS dient immer häufiger als Ventil, seine Wut und seinen Hass zu artikulieren und die Gesellschaft für die empfunden Demütigungen und Deklassierungen grausam zu bestrafen. Diese auf die Spitze getriebene Verachtung, die der IS symbolisiert, kann gerade für Jugendliche sehr anziehend sein. Dafür muss der Täter gar nicht sonderlich religiös sein oder sich aufwendig radikalisiert haben. Er reicht, wenn er sich selbst als IS-Kämpfer fühlt und bezeichnet. Man darf auch nicht vernachlässigen, dass der IS desto populärer wird, je mehr über ihn und seine grausamen Taten berichtet wird. Wir sprechen von klassischen Nachahmungstätern.

Ist dies eine Kritik an den Medien?
Nein. Zudem braucht der IS für seine Propagandazwecke die klassischen Medien gar nicht mehr. Das erledigt er in den sozialen Netzwerken selbst.

Handelt es sich bei Attentätern wie dem 17-Jährigen um einen völlig neuen Tätertyp?
Ja. Weil die Radikalisierung oft in den eigenen vier Wänden und sehr schnell passiert, ist er kaum vor seiner Tat zu stoppen. Das ist nur dann möglich, wenn er sich über einen längeren Zeitraum in einer bestimmten Szene bewegt. Im Übrigen gibt es diesen Tätertypus auch im Feld des Rechtsradikalismus.

Wovon sprechen Sie?
Das Gros der Menschen, die zuletzt Asylunterkünfte angegriffen haben, waren nicht in der rechtsradikalen Szene vernetzt. Das waren Einzeltäter, die mit rechtsextremen Ideen zwar sympathisiert haben, aber keiner Gruppe angehört haben und auch nicht auf deren Befehl hin gehandelt haben.

Bei diesem Tätertypus scheitert dann auch die Aufklärungs- und Deradikalisierungsarbeit des Violence Prevention Networks.
Ja, das müssen wir uns wohl eingestehen. Wir können nur dann helfen, wenn Angehörige und Bekannte eine Radikalisierung bemerken und sie uns melden.


Das Gespräch führte Christoph Hägele.