Chan-jo Jun, Rechtsanwalt aus Würzburg, klagt erneut gegen ein großes soziales Netzwerk: Twitter. Der Kurznachrichtendienst habe nicht nur wiederholt illegale Inhalte freigeschaltet, sondern sich danach auch noch geweigert, dieses zu löschen.
Seit der Übernahme durch US-Milliardär Elon Musk macht Twitter fast täglich Schlagzeilen - und zwar keine guten. Sowohl Werbekunden als auch Nutzer*innen machen sich Sorgen, in welche Richtung die Plattform sich nun entwickelt. Musk hatte angekündigt, die Regeln für Inhalte komplett zu überarbeiten. Die Befürchtung: Hassrede, Beschimpfungen und Falschnachrichten könnten zunehmen. Twitter hatte aber schon vor der Übernahme Probleme mit kritischen Inhalten. Das zeigt eine neue Klage des Würzburger Anwalts Chan-jo Jun auf.
Am 24. November soll sich der Kurznachrichtendienst vor dem Landgericht Frankfurt verantworten, das kündigte Jun auf Twitter an. Der Medien-Anwalt hat einen Eilantrag auf eine einstweilige Verfügung gestellt. Das heißt, es geht erstmal um eine vorläufige Entscheidung zur Sicherung von "dringlichen Ansprüchen". In diesem Fall: rechtswidrige Inhalte sollen entfernt werden. Es sei der erste Fall dieser Art - zumindest nach bisheriger Recherche, räumt Jun in seinem Tweet ein.
Anwalt aus Würzburg klagt gegen Twitter: Illegale Tweets werden nicht gelöscht
Worum geht es also genau? Twitter habe sich wiederholt geweigert, illegale Inhalte zu löschen, so Jun. Er vertritt den Antisemitismus-Beauftragten der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume. Dieser sei "seit langer Zeit immer wieder Angriffen ausgesetzt" gewesen, erklärt Jun dem BR. Auf Twitter wurden "nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen" über Blume verbreitet, zum Beispiel eine angebliche Affäre mit einer Minderjährigen. Twitter habe die entsprechenden Tweets aber nicht löschen wollen. "Wir sehen eine Regelmäßigkeit, dass Twitter nicht bereit ist, deutsches Recht anzuwenden und seine User vor allem bei übler Nachrede und Verleumdung zu schützen", sagt Jun.
Dutzende illegale Tweets seien nach Meldung und Prüfung online geblieben oder sogar neu veröffentlicht worden, teilte der Rechtsanwalt auf Twitter mit. Im Kern geht es also auch um die Moderation von Inhalten auf der Plattform - ein Problem, das sich durch die Musk-Übernahme noch verschärfen könnte. Denn von den Massenentlassungen bei Twitter war auch das Team für Content Moderation betroffen, bestätigte der Leiter der Abteilung "Safety & Integrity", Yoel Roth. Offiziell heißt es, die Entlassungen werden nichts an den bisherigen Abläufen ändern. Es gibt also immer noch Mitarbeitende, die illegale Inhalte sichten und entscheiden, ob sie gelöscht werden oder nicht. Jun gibt jedoch zu Bedenken, dass die Moderation künftig stärker durch Algorithmen erfolgen könnte: "Musk will alles über Algorithmen lösen. Der Schutz von Meinungsfreiheit und Menschenwürde erfordert jedoch immer noch Menschen."
Hinweis darauf geben auch die Äußerungen der Twitter-Anwälte. Sie halten die manuelle "Prüfpflicht" für unzumutbar. Der Betrieb der Plattform werde dadurch gefährdet oder zumindest unverhältnismäßig erschwert, heißt es in einem Schreiben, das Jun teils veröffentlicht hat. "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass das einfach nicht funktioniert. Zwar kann man Algorithmen verwenden, um rechtswidrige Inhalte zu finden. Aber die Entscheidung, ob etwas wirklich entfernt werden muss, muss am Ende ein Mensch treffen. Das kostet Geld", erklärt Jun dem BR.
"Plattform würde zusammenbrechen": Twitter hat offenbar Probleme beim Inhalte moderieren
In einem Twitter-Thread beruft sich Jun auf den Fall der österreichischen Politikerin Eva Glawischnig, der vor dem Europäischen Gerichtshof landete. Facebook wurde vom Gericht dazu verpflichtet, die gemeldeten Beiträge sowie gleiche oder sinngleiche Inhalte zu löschen. Der Fall habe "klargestellt, dass automatisierte Verfahren eingesetzt werden können, aber nicht die Grenze der Zumutbarkeit bilden", so Jun. Der Prozess solle nun die Frage klären, ob sich Musk hinter der künstlichen Intelligenz verstecken darf. "Oder ist ihm - wovon ich überzeugt bin - zuzumuten, ausreichend ausgestattete Moderations-Teams für manuelle und qualifizierte, gerichtlich überprüfbare Entscheidungen vorzuhalten?"
Twitter hat sich bislang nicht öffentlich zu dem Gerichtsverfahren geäußert. Jun rechnet aber laut BR mit einer schnellen Entscheidung. Ähnlich dem Glawischnig-Urteil will der Anwalt zudem erreichen, dass auch "kerngleiche Verleumdung" von Twitter entfernt werden muss und nicht nur die vorgelegten Tweets. Dies soll auf der gesamten Plattform geschehen, denn durch "Geo-Blocking" ist es auch möglich Inhalte nur regional zu sperren. Dies sei aber leicht zu umgehen. "Hier argumentiert Twitter jedoch vor Gericht, dass die Plattform zusammenbrechen würde", schreibt Jun. Wer eine so große Meinungsplattform betreibt, sollte aber zumindest der Grundanforderung nachkommen, das Recht einzuhalten. "Wenn Twitter sagt, das Geschäftsmodell kommt nicht ohne Rechtsverletzung aus, verdient es keinen Schutz."