Bei Herbert Brücker steht das Telefon nicht mehr still: Mit seiner Studie über die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien rückt der Nürnberger Wissenschaftler in der kontroversen Debatte die Sachlage zurecht.
Weihnachten ist bei Herbert Brücker heuer ins Wasser gefallen. "So einen Medienboom habe ich nicht vermutet. Das hat mich meine halben Weihnachtsferien gekostet", erzählt der Wissenschaftler. In seinem schlichten Büro im Schatten der Bürotürme der Bundesagentur für Arbeit hat sich der Professor die Zahlen zur Zuwanderung, Beschäftigung und zum Leistungsbezug von Bulgaren und Rumänen genau angeschaut und analysiert. Mit dem Ergebnis, dass man von "Armutszuwanderung" pauschal nicht sprechen könne.
Dass es Probleme beispielsweise in Städten wie Dortmund und Duisburg gibt, zeigen die Zahlen zwar auch. Aber deutschlandweit sei das Bild viel besser. In München zum Beispiel. Aber gerade in der Landeshauptstadt wird vor einer massenweisen Zuwanderung in die Sozialsysteme gewarnt. Anlässlich der zum Jahreswechsel erfolgten Öffnung des Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren, will die CSU den Zugang für Ausländer zum deutschen Sozialsystem erschweren. Mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" hatte die Partei einen rauen Ton in der Diskussion angeschlagen.
In zahlreichen Interviews muss Herbert Brücker nun erklären, warum die Fakten eine andere Sprache sprechen. "Wir haben wenige empirische Belege für den Missbrauch von Sozialleistungen", wird der Leiter des Forschungsbereiches "Internationale Vergleiche und Europäische Integration" beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg später vielleicht auch den beiden Fernsehteams sagen, die sich neben ein paar Radiostationen und Zeitungsverlagen noch für heute angekündigt haben.
Falsches Bild Brücker habe sich mit seinen Kollegen vom Institut beispielsweise die Zahlen der Kindergeld-Empfänger von den Statistikern der Bundesagentur geben lassen. Demnach sei der Anteil der Kindergeldbezugsberechtigten, wie es im schönen Amtsdeutsch heißt, unter der rumänischen und bulgarischen Bevölkerung niedriger als unter der deutschen. Dieses Bild passe eben nicht zu der Befürchtung, dass kinderreiche Familien aus Südosteuropa nach Deutschland kommen, um hier allein vom Kindergeld zu leben. Freilich seien einige Medienberichte von drastischen Zuständen nicht ungerechtfertigt, räumt der Wissenschaftler ein, der auch als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bamberg arbeitet und selber in Berlin wohnt. In der Hauptstadt gebe es Problemhäuser mit Prostitution und Kriminalität.
Skandalträchtige Anekdoten Diese drastischen Beispiele seien aber nicht repräsentativ für die rund 400 000 hier lebenden Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Die Medien würden mit skandalträchtigen Anekdoten aber leider zu häufig argumentieren. Dagegen wehrt sich Brücker in jeder Debatte. Dass Dinge verallgemeinert werden, die nicht verallgemeinert gehören, das ärgert ihn auch an der politischen Diskussion, wenn das Thema nur auf den Missbrauch verkürzt werde. "Ich bin dabei der letzte, der Probleme kleinredet." Schließlich sei es die Aufgabe des 1967 von der Bundesanstalt für Arbeit gegründeten, unabhängigen Forschungsinstituts, "Probleme zu analysieren, um Dinge besser zu machen". So bringt das Brücker knapp auf den Punkt, während ein Fernsehteam für das nächste Interview die Kamera aufbaut.
Steuerbetrug häufiger Der Professor bringt Phänomene in vernünftige Relationen. Deshalb ärgert ihn auch die verkürzte Debatte. Sozioökonomisch sei der Steuerbetrug von einer ganz anderen, weit größeren Dimension. Steuerhinterziehung sei aber weniger sichtbar als die Zuwanderer aus Bulgarien oder Rumänien, die in der Hoffnung auf Gelegenheitsjobs an ein paar Straßenecken stehen und denen dennoch das Vorurteil entgegenschlägt, dass sie nur hier sind, um die Sozialsysteme auszuplündern. Das sei eine verschwindend kleine Minderheit. Das sei überhaupt das Übel in der Debatte, dass ganze Bevölkerungsgruppen dadurch stigmatisiert werden. Nur rund 550 Fälle habe es im letzten Jahr gegeben, in denen das Aufenthaltsrecht entzogen wurde. Das sei eine verschwindend kleine Minderheit. Von wegen wer betrügt, der fliegt.
Richtige Anreize schaffen Und dagegen wehrt sich Brücker sicher auch im nächsten Gespräch über seine Zahlen. Dass in der Öffentlichkeit suggeriert wird, es gebe einen massiven Betrug und Missbrauch von Leistungen. "Das gefällt mir nicht", sagt Brücker wohl in Anspielung auf Facebook, während das Telefon klingelt. Einen erhobenen Daumen würde er der politischen Mega-Debatte sicher nicht geben. Das Phänomen ist ihm dafür wohl insgesamt zu klein. "Rufen Sie in einer Stunde nochmal an", sagt der Professor und legt den Hörer wieder auf die Gabel. Man müsse eben die Sozialsysteme so organisieren, dass sie die richtigen Anreize schaffen. Sinnvoll sei nicht, dass Ausländer sich umgehend arbeitssuchend in Deutschland melden und Hartz IV kassieren können. "Das ist der rationale Kern der Diskussion", sagt Brücker zum Abschied.
... interessante Aussage von Horst Seehofer. Diese Aussage bedingt dann aber auch zwangsläufig, dass Uli Hoeneß, die Vorstände der Bayerischen Landesbank und viele andere gleichartig arbeitende "Stützen" unserer Gesellschaft fliegen. Sind die alle schon weg?