Nürnberger Straßenambulanz hilft ohne Versicherung

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Roland Stubenvoll, Leiter der Straßenambulanz. Foto: Schalk
Roland Stubenvoll, Leiter der Straßenambulanz. Foto: Schalk
Krankenpflege-Schüler Daniel Lawal misst den Blutdruck einer Schwangeren. Die Nürnberger Straßenambulanz ist für sie die einzige Möglichkeit, sich untersuchen zu lassen. Foto: Schalk
Krankenpflege-Schüler Daniel Lawal misst den Blutdruck einer Schwangeren. Die Nürnberger Straßenambulanz ist für sie die einzige Möglichkeit, sich untersuchen zu lassen. Foto: Schalk
 

Die Nürnberger Straßenambulanz behandelt Patienten ohne Versicherung. Ein bis Jahresende befristetes Gesetz sollte solchen Menschen zurück in die Krankenkassen helfen. Das funktioniert jedoch nicht. Stattdessen nehmen die Probleme mit der Öffnung der EU sogar noch zu.

Roland Stubenvoll erzählt vom vergangenen Winter, von zwei Obdachlosen, die "da irgendwas am Fuß" hatten. Mit diesen Worten spazierten sie in die Straßenambulanz Franz von Assisi. "Die Füße waren erfroren", sagt der Leiter der Nürnberger Einrichtung. "Aber nicht nur ein bisschen. Der ganze Vorfuß war schwarz und musste amputiert werden." In die Caritas-Einrichtung kommen Menschen, die ein Schmerzmittel oder Antibiotikum brauchen. Manchmal auch welche mit einem bösartigen Krebsgeschwür, das schon lange hätte behandelt werden müssen. Und immer häufiger Kinder.

Stubenvoll leitet die Straßenambulanz seit 2004. "Damals hatten wir drei Kinder im Jahr. Heuer waren es etwa 150, außerdem 50 Schwangere." Nur ein Viertel der Patienten hier hatte 2004 keine Krankenversicherung. Heute sind es deutlich mehr als die Hälfte.


1,6 Milliarden Beitragsschulden

Um Unversicherten den Weg zurück in die Kassen zu erleichtern, beschloss die Bundesregierung im Sommer, dass ihnen die Beitragsschulden erlassen werden, wenn sie sich bei einer Versicherung anmelden. In der Vergangenheit schreckte viele, dass sie für die nicht-versicherte Zeit Zinsen von teils fünf Prozent im Monat nachzahlen sollten. Bei den gesetzlichen Kassen summierten sich die Beitragsrückstände so auf fast 900 Millionen Euro, bei den privaten auf etwa 750 Millionen Euro. Die Unversicherten bekamen heuer eine Möglichkeit, ihre Schulden ganz einfach loszuwerden. Sie hätten sich bis 31. Dezember anmelden müssen, dann wären die Schulden erlassen worden. Aber nur knapp 8000 der geschätzten 140.000 Betroffenen nutzten das bis Ende November.

Unversicherte Existenzgründer

Stubenvoll wundert's nicht. "Viele dieser Leute sind psychisch krank. Die bringen's nicht auf die Reihe." Ein Obdachloser, der keinerlei staatliche Hilfe in Anspruch nehme, fülle eben nicht gern Formulare aus.

Aber es gibt auch andere: Leute, die privat versichert waren, ein Geschäft hatten. "Wenn das nicht mehr läuft, sie die Beiträge nicht mehr zahlen, fliegen sie aus der privaten Kasse." Und dann gibt es noch die Existenzgründer und diejenigen mit Mini-Betrieben: In der gesetzlichen Kasse müssten sie als hauptberuflich Selbstständige den Höchstsatz von 586,69 Euro monatlich zahlen. Es gibt Möglichkeiten, das anzupassen. Wenn ein Gründungszuschuss vom Arbeitsamt gezahlt wird, ist sogar die günstigste Einstufung von 226,37 Euro möglich - für eine Nagelstudiobesitzerin oder die Ich-AG mit 500 Euro Einnahmen im Monat trotzdem oft zuviel.

Es gibt sehr unterschiedliche Geschichten. Ein großer Teil der Patienten ohne Versicherungskarte kommt derzeit aus Bulgarien oder Rumänien. "Sie hoffen auf ein besseres Leben. Sie dürfen herkommen, sie dürfen eine Wohnung mieten. Aber sie dürfen nicht arbeiten." Es sei denn, sie sind selbstständig. Stubenvoll berichtet von Konstruktionen, in denen Zimmermädchen als Selbstständige in einem Hotel arbeiten und 600 oder 700 Euro verdienen - zu wenig, um davon eine Versicherung zu zahlen.

Eine europäische Versichertenkarte wäre in Deutschland auch gültig. Aber Stubenvoll hört immer wieder, dass es solche Karten in Rumänien und Bulgarien nur gegen horrende Schmiergeldzahlungen gebe.

Etwa 1400 verschiedene Patienten wurden heuer in der Nürnberger Straßenambulanz behandelt: 20 Prozent mehr als 2012. Die Einrichtung ist bekannt, in Franken gibt es keine vergleichbare. "Die Caritas interessiert erst mal nicht, ob einer aus Fürth kommt oder aus Bukarest", sagt Stubenvoll. "Aber es kann auch nicht sein, dass wir jemanden aus einer anderen Stadt in eine Klinik schicken müssen und das Sozialamt Nürnberg muss dafür aufkommen."

Ab 2014 Freizügigkeit in der EU

In Würzburg betreibt der Franziskanerbruder Tobias eine kleine Ambulanz. "Ein klassischer Ein-Mann-Betrieb", ähnlich wie ihn Bruder Martin 1995 in Nürnberg gründete. Inzwischen sind hier 3,5 Stellen mit hauptamtlichen Pflegekräften besetzt. Hinzu kommen Praktikanten wie derzeit Daniel Lawal, der in Schwabach die Krankenpflegeschule besucht und an die 70 Fachärzte, die Behandlungen ehrenamtlich in ihren Praxen übernehmen.

Für jeweils drei Stunden am Vor- und am Nachmittag ist ein Arzt in der Straßenambulanz. Beide werden als Angestellte von einer Arztpraxis entsendet. Heuer stieg der Anteil der Unversicherten so stark, dass die Praxis draufzahlt. Deshalb wird jetzt mit der Stadt um einen höheren Zuschuss verhandelt. Die Caritas legt sowieso jedes Jahr 70.000 Euro drauf.

Stubenvoll geht davon aus, dass es kommendes Jahr noch schwieriger wird. Denn ab 1. Januar gilt in der EU die volle Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren. Sie dürfen hier arbeiten. "Dann machen sich vermutlich noch ein paar mehr auf dem Weg. Viele werden trotzdem kein Deutsch können und nicht die Qualifikationen haben, die hier gebraucht wird."