Im "Estragon" in Nürnberg stehen HIV-Positive am Herd

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Guiseppe schwenkt trotz seiner Krankheit im Nürnberger Restaurant "Estragon" die Pfanne. Foto: Matthias Hoch
Guiseppe schwenkt trotz seiner Krankheit im Nürnberger Restaurant "Estragon" die Pfanne.  Foto: Matthias Hoch

Dank besserer Medikamente können HIV-Infizierte inzwischen länger berufstätig bleiben. In einem Nürnberger Restaurant stehen Infizierte sogar am Herd. Angst vor Ansteckung müssen aber weder Gäste noch Kollegen haben.

Wer Guiseppe einen Gefallen tun möchte, nennt ihn einfach einen stinknormalen Koch. Es gibt auf den ersten Blick auch keinerlei Gründe, ihm dies zu verwehren. In dem Nürnberger Restaurant "Estragon" schnippelt der 46-Jährige täglich acht Stunden lang Gemüse, brät Fleisch oder rührt Löffelbiskuits, Mascarpone und Eigelb zu einem Tiramisu zusammen. Einerseits.

Andererseits unterscheiden Guiseppe dann doch drei Buchstaben von dem, was man sich gemeinhin unter einem stinknormalen Koch vorstellt: HIV. Wann und wie er sich mit dem Virus angesteckt hat, weiß Guiseppe entweder nicht mehr genau, oder er möchte es lieber für sich behalten. "Das muss bei uns auch keiner sagen", sagt Helmut Ehrhardt. Er ist Prokurist des "Estragons". Dort arbeiten in der Küche und im Service neben gesunden und voll belastbaren Menschen auch HIV-Positive wie Guiseppe.


Ein Klima der Ermutigung

Rund 80.000 Menschen leben in Deutschland mit dem HIV-Virus im Körper. Zwei von drei sind berufstätig, schätzt die Deutsche Aids-Hilfe in Berlin. Sie arbeiten als Lehrer, Friseure oder Ärzte, und sind im Durchschnitt nicht öfters krank als ihre Kollegen.

Das ist ein Verdienst neuer Medikamente, die den Krankheitsverlauf bremsen und den Symptomen ihre Intensität nehmen. Noch vor 20 Jahren waren die Mitarbeiter der Aidshilfe in erster Linie als Trauer- und Sterbebegleiter gefragt. Heute gilt ihr Einsatz immer häufiger der Frage, wie HIV-Positive ihren Job weitermachen oder wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Dieser Herausforderung begegnet die Nürnberger Aidshilfe seit 2005 mit ihrem Restaurant "Estragon". "Wir wollten unseren Leuten eine sinnvolle und befriedigende Arbeit anbieten. Und wir wollten nie eine Selbsthilfeprojekt sein, sondern ein offenes Restaurant", sagt Erhardt. Was das "Estragon" aber doch von anderen Restaurants unterscheidet, ist das Klima der Offenheit und Ermutigung. Die HIV-Positiven müssen nichts verheimlichen, sondern können Ängste, Beschwerden und individuelle Befindlichkeiten frei kommunizieren. Offen und pragmatisch, so wie es dem Ideal Erhardts entspricht.

Manfred Schmidt, Vorstand bei der Nürnberger Aidshilfe, rät Betroffenen dagegen zu Vorsicht und Reflexion: "Manchmal ist es besser, die Krankheit vor den Arbeitskollegen geheim zu halten." Denn HIV öffnen einen assoziativen Hallraum mit ressentiment- und angstbesetzte Vorstellungen über Drogen, Homosexualität und einen zügellosen Lebensstil.

Angst vor Stigmatisierung

Aus Angst vor Stigmatisierung verschweigt deshalb nach Schmidts Einschätzung noch immer das Gros der Infizierten seine Erkrankung.

Auch Guiseppe hat anders reagiert, als sich das sein späterer Chef Ehrhardt vielleicht gewünscht hätte. Er hat die Diagnose für sich behalten - und in einem Ansbacher Restaurant einfach weitergekocht: "Ich habe mich nicht getraut. Ich wusste nicht, wie die Menschen auf meine Infektion reagieren." Mit der Angst um sein eigenes Leben und auch davor, einen Kollegen oder einen Gast anzustecken, musste Guiseppe allein zurechtkommen. Als das dröhnende Beschweigen nicht mehr auszuhalten war, bewarb er sich im "Estragon".

Gegen Auflagen hat der 46-Jährige aber zu keiner Zeit verstoßen. Eine Meldepflicht für HIV-positive Köche gibt es nicht. Das war auch dem Küchenchef des "Estragons" so nicht bewusst. "Bevor ich hier angefangen habe, wusste ich über Aids eigentlich gar nichts", sagt Nico Schlehaider. Er zählt zu jenen Mitarbeitern, die nicht HIV-positiv sind.

Schlehaider musste erst lernen, dass die Ansteckungsgefahr in der Küche gegen Null geht. Sowohl für die Gäste als auch die Kollegen selbst. "Es gibt keinen Grund für entsprechende Verbote, denn HIV kann beim Kochen nicht auf andere Menschen übertragen werden", bestätigt Winfried Strauch. Um das Virus zu übertragen, müsse Blut unmittelbar auf Blut treffen. "Das kann nicht einmal dann passieren, wenn ein Gast im Mund ein Wunde hätte, sagt der Leiter des Bamberger Gesundheitsamts.

Volles Haus

Die Hygienevorschriften oder Arbeitsabläufe im "Estragon" unterscheiden sich deshalb auch nicht von anderen Restaurants. Ebenso wenig sehen die Verantwortlichen einen Grund, mit ihren HIV-positiven Mitarbeitern öffentlich hausieren zu gehen. "Wir wollen keinen Mitleidsbonus", sagt Erhardt. In der Speisekarte erfährt der Gast lediglich, dass das Restaurant Menschen bei beruflichen Wiedereingliederung hilft.

Die mediterran inspirierte Küche des "Estragon" genießt einen guten Ruf: Die Bewertungen im Internet und ein volles Haus an einem gewöhnlichen Nachmittag im Januar zeugen davon. Noch wichtiger ist Ehrhardt aber, von der Wirklichkeit am Ende doch bestätigt worden zu sein: "Wir wollten zeigen, dass HIV-Positive im Arbeitsleben problemlos integriert werden können." Es gibt keinen Grund, Guiseppe nicht einen stinknormalen Koch zu nennen.



Arbeiten mit HIV


Rechtslage
Rein rechtlich können Menschen mit HIV in jedem Berufsfeld arbeiten. Dies gilt sogar für Ärzte oder Menschen, die in der Kranken- und Altenpflege tätig sind.

Einschränkungen
Ausnahmen gibt es lediglich bei bestimmten chirurgischen Tätigkeiten, wenn die Viruslast des infizierten Mitarbeiters nicht unter der Nachweisgrenze ist.