Diese Liebe ist ultra - Fußball als Ersatzreligion

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"Das ist die schlimmste Demütigung für die gegnerischen Fans": Nürnberger Ultras mit der zerrissenen Bayern-Fahne. Foto: imago
"Das ist die schlimmste Demütigung für die gegnerischen Fans": Nürnberger Ultras mit der zerrissenen Bayern-Fahne. Foto: imago

Ohne die laute und bunte Unterstützung der Ultras wäre ein Stadionbesuch in der Fußball-Bundesliga nur halb so attraktiv. Doch Skeptiker sorgen sich, dass die Ultra-Fans mehr und mehr auch eine Leidenschaft für das Prügeln und den Krawall entdecken.

Nicht zu weich, nicht zu hart: Die sogenannten "Ultra-Fans" liegen irgendwo zwischen süßen Cheerleadern und hässlichen Hooligans. Beim Derby gegen die Bayern haben sich die fränkischen "Ultras" von fast allen Seiten gezeigt.

Wobei es die Ultras genau genommen gar nicht gibt. In Nürnberg heißt die größere Gruppe UN94 (Ultras Nürnberg 1994) und die kleinere Banda di Amici (Bande aus Freunden). Gemeinsam ist ihnen die leidenschaftliche Hingabe zum Club. "Ich bereue diese Liebe nicht": Mit diesem Slogan haben "die" Ultras aus Franken beim Schlagerspiel ihre "ruhmreiche" Elf gegen die "Nordtiroler" (ein echter Ultra nimmt den Namen der Münchner nicht einmal in den Mund) angefeuert.

In einer bunten Choreografie haben die Ultras der ruhmreichen Vergangenheit und des nicht minder ruhmreichen Zlatko "Tschik" Cajkovski gedacht.
Die große Blockfahne mit dem Konterfei des jugoslawischen Fußball-Lehrers wurde umrahmt von 15.000 rot und schwarzen "Foliendoppelhaltern". Das klingt nicht nur ein bisschen nach DDR, sondern schaut auch ein bisschen nach Nordkorea aus. Also nicht schlecht, sondern rein kunsthistorisch. Eine bunte Massensynchronisation sind diese "Choreos" eben.

Wir gegen die Anderen

Genau darum geht es beim Ultra-Sein, sagt der bekannte Fan-Forscher Jonas Gabler von der Leibniz-Universität zu Hannover. "Ultras aber auch anderen Fans geht es um das emotionale Erlebnis und das Ausleben von Emotionen in der Gruppe", sagt Gabler. Wir gegen die Anderen: Nach diesem Prinzip funktioniere die Identifikation auch in den fränkischen Ultra-Gruppen. Fußball als Ersatzreligion.

Man grenzt sich als Ultra-Fan also bewusst gegen andere ab. "Als Ultra-Fan denkt man die Rivalitäten automatisch mit", sagt Gabler. Bei den Ultra-Gruppierungen aus Nürnberg sei die Feindschaft beispielsweise zum Nachbarverein aus Fürth richtig stark. Die Münchner mögen die Clubberer freilich auch nicht sonderlich. Also eigentlich gar nicht. Deshalb haben sie die Fahne der Münchner Ultras mit dem schicken Namen "Schickeria" entwendet. Gut, die Polizei fand die Sache mit dem fränkischen Fahnen-Raub wohl nicht so lustig und hat, nach allem was man weiß, in Nürnberg ein paar Wohnungen durchsucht. Sei `s drum.

Dieser für die Münchner heilige Stoff tauchte just beim Derby wieder auf, in der Nordkurve des Max-Morlock-Stadions in spe. Und zwar erst im Ganzen und dann in Fetzen. Das brachte die Schickeria nicht in Sektlaune. "Das Banner des Erzrivalen in den Händen zu halten, das ist die schlimmste Demütigung für die gegnerischen Fans", sagt der Forscher.

Wie wild wollte die Schickeria anschließend aus ihrem Käfig ausbrechen, um die Demütigung gleich im Stadion zu rächen. Dazu ist es dank massiver Polizeikräfte nicht gekommen. Allein der Zaun hätte die wütende Menge nicht aufhalten können. Wer weiß also, was hätte passieren können? Antwort: Niemand. Genauer: Keiner will derzeit Öl ins Fan-Feuer gießen.

Jemand kam freilich auf die glorreiche Idee, ein "dreckiges Stück Stoff" im Internet zum Verkauf anzubieten und damit die Fan-Rivalitäten mit den "Tirolern" weiter anzuheizen. Dass aus der leidenschaftlichen Heldenverehrung plötzlich ernst wird, befürchten wohl in erster Linie die, die alle Ultras pauschal über einen Kamm scheren und Angst haben, dass dadurch der Fußball als lukratives Milliarden-Geschäft versalzen wird.

Gut für das Geschäft

So brav wie der Familienvater sind die Ultras freilich nicht. Ihre Leidenschaft gilt dem Spiel, ihre Liebe dem Verein. Ihre Eintrittskarte in den Kreis der Ultras ist kein teurer VIP- sondern ein billiger Stehplatz. Paradox ist daran, dass die Ultras mit ihrer Leidenschaft auch dem Geschäft auf die Sprünge helfen. "Die Ultras tragen maßgeblich zum Erlebnisfaktor im Fußballstadion bei", sagt der Wissenschaftler. Denn ohne die laute und bunte Unterstützung der Ultras in der Kurve wäre ein Stadionbesuch für die "normalen" Besucher nur halb so attraktiv.
Auch deshalb halten Insider wie Jonas Gabler die Ultras für schlau genug, bei aller Leidenschaft die Rivalität nicht eskalieren zu lassen. Traurige (Einzel)Fälle bestätigen bislang die Regel. Drei Club-Fans hat die Polizei nach dem Derby festgenommen. Das zeigt: Die Ultras verstehen sich insgesamt nicht als böse Hooligans. Was sind die schwer verliebten Jungs mit Fähnchen und Schal dann? "Die Ultras sind heute eine der größten Jugend-Bewegungen in Deutschland", sagt der Experte.