Alfred Dorfer: Satire hat auch Grenzen

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Alfred Dorfer Foto: Archiv
Alfred Dorfer Foto: Archiv
 
Dorfer in Nürnberg. Foto: Nikolas Pelke
Dorfer in Nürnberg. Foto: Nikolas Pelke
 

Mit dem Film "Indien" wurde Alfred Dorfer auch in Deutschland bekannt. Weniger bekannt ist hierzulande, dass der Wiener seit 2011 einen Doktortitel innehat. Am Rande eines Auftritts im Nürnberger Burgtheater spricht Dorfer über die Folgen der Pariser Anschläge für den Humor.

Herr Dorfer, Wie bewerten Sie den Angriff auf die Satiriker in Paris und die Debatte, wie weit Satire gehen darf?
Dorfer: Es gibt diesen schönen Satz von Kurt Tucholsky: Satire darf alles. Das ist natürlich Unsinn. Wenn Satire alles dürfte, dann müssten wir diesen französischen Satiriker Dieudonné nicht anklagen, der auf der Bühne antisemitische Hetze betreibt. Der Satire ist wie allem eine Grenze gesetzt.

Was kann die Satire in undemokratischen Systemen leisten?
Die Ventilfunktion ist stärkste Funktion von Humor und Satire. Das ist der Grund, warum man in der DDR bis zum Schluss Kabarett zugelassen hat. Natürlich mit einigen Auflagen und der Zensur.

Was steht nach den Anschlägen von Paris auf dem Spiel?
Im Grunde geht es darum, inwieweit die Befürchtung vor solchen Angriffen unsere Grundwerte verändern. Inwieweit verändert das die Stimmung, den vorauseilenden Gehorsam und die damit verbundenen Sicherheitsgeschichten, die dann die Grundwerte wieder einschränken? Siehe USA.

Wer oder was bedroht unsere Freiheit heute am meisten?
Das Geniale an der heutigen Zeit ist, dass man es geschafft hat, der Macht ihr Gesicht zu nehmen. Es gibt dieses schöne Zitat von Wolfgang Borchert: "Und er hatte keinen, dem er die Faust ins Gesicht schlagen konnte..." Der direkte, personifizierte Gegner ist eigentlich gesichtslos geworden. Wie im modernen Krieg der Drohnen. Auch für Satiriker ist es schwieriger geworden, des Gegners habhaft zu werden. Ein Aufsichtsrat ist kein greifbarer Gegner. Wenn ein kleiner Handgriff von der Schweizer Nationalbank über Nacht halb Polen in die Pleite stürzen kann, dann wissen wir, welcher Wahnsinn in diesem System steckt. Natürlich kann man recherchieren und sagen: Es ist der Herr XY.

Wie das zum Beispiel die Kollegen aus der "Anstalt" im ZDF versuchen?
Das liegt genau auf meiner Linie. Gut, wie die Burschen das machen.

Zum Beispiel den "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe mit seinen vielen Kontakten zu mächtigen Organisationen anzuprangern?
Genau. Von Seiten der Presse und der Medien wird ja immer so getan, als wäre man besonders objektiv.

Das führt uns zum aktuellen Unwort des Jahres.
Den Vorwurf des Lügenpresse gibt es, seitdem es die freie Presse gibt. Unter Lüge versteht jeder etwas anderes. Pegida färbt den Begriff aus ihrer Perspektive. Aber ich glaube, Pegida wird ein schnelles Ablaufdatum haben. Die weitaus interessantere Frage ist doch: Ist Pegida erst der Anfang? Ich glaube, es wird eine ähnliche Bewegung geben, die sich breiter aufstellt und vertikal durch die Gesellschaft gehen wird, die vom Rand in die Mitte rückt. Dass die Frustration eine breitere Basis bekommt, das ist die Geschichte, die ich sehe. Dann sind wir wieder relativ knapp in den 30er Jahren.

Meinen Sie die Schere zwischen Arm und Reich?
Sobald die Armut massiv den Mittelstand erreicht, wird es gefährlich. Mit der Erfüllung der Grundbedürfnisse kann man heute arm werden. Es entsteht eine Armutsstruktur, die tief in den Mittelstand geht. Dann ist der Nährboden geschaffen für eine heterogene Massenbewegung. Ob dann das Feindbild der Islam oder Ausländer ist, bleibt sekundär.

Spielt Neid also eine Rolle?
Natürlich. Dadurch entsteht eine Entsolidarisierung. Die läuft schon. Das führt zu einer kruden Situation für den Einzelnen. Dann kommt wieder Borchert ins Spiel. Dann möchte man jemanden haben, den man konkret angreifen könnte.

Wie versuchen Sie den "Gegner" einzukreisen auf der Bühne?
Ich versuche, mich selbst als jemanden von der anderen Seite zu personifizieren. Ich habe eine Nummer, in der ich einen Mann aus der Wirtschaft spiele, der relativ smart und sympathisch, aber auch ein bisschen überheblich ist. Der die schlimmsten Dinge erzählt zum Beispiel über die Grausamkeiten des Kolonialismus. Dann branden dir vom Publikum die echten Gefühle entgegen. Man zieht den Hass auf sich. Ich sage an einer Stelle: "Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Frauenwahlrecht ein Luxus, den kein Mensch braucht." Dann spürst du plötzlich großen Unmut im Publikum. Es gibt aber auch immer ein paar Idioten, die klatschen.

Sie bestehen auf Espresso vor dem Auftritt, weil Sie Filterkaffee hassen. Das steht in Ihrer Bühnenanweisung. Ist das nicht schon eine Form des Totalitarismus?
Interessante Frage: Ist Geschmack eigentlich undemokratisch? Ist Geschmack per se diktatorisch? Damit meine ich jetzt nicht meine Aggression gegen Filterkaffee. Sondern: dass es dich zu Dingen hinzieht. Dass du andere Dinge einfach ungesteuert verachtest. Wie ein verhasstes Gemüse, das man nicht mag.

Woher kommt eigentlich dieser Hass zwischen Österreichern und Deutschen?
Mit den Urlaubern aus Nordrhein-Westfalen hatten wir ein Problem, weil sie sich schlecht benommen haben. Die haben sich wie eine Besatzungsmacht aufgeführt. Mittlerweile hat sich das völlig gedreht. Bei der WM in Brasilien waren bereits 30 Prozent der Österreicher für Deutschland. Das wäre vor 30 Jahren undenkbar gewesen. Ich finde das gut.

Bleiben Sie Kabarettist, oder verschreiben Sie sich ganz der Wissenschaft?
Ich habe einen Lehrauftrag an der Uni Graz im Fach Germanistik. Das macht mir großen Spaß. Die Habilitation ist sicher auch ein Thema. Außerdem habe ich ein Theaterstück geschrieben, und natürlich arbeite ich auch an einem neuen Soloprogramm, dass hoffentlich Anfang 2017 fertig ist.