Die Leichtathletik befindet sich in einer Krise, der Breitensport läuft den leistungsorientierten Athleten den Rang ab. Doch hinter den Kulissen tüfteln die Verantwortlichen bereits an Lösungen.
Frank Terassa wirkt ruhig und sachlich, seine Antworten sind durchdacht. Eigenschaften, die er gut gebrauchen kann: Früher hat der 38-jährige Diplominformatiker selbst Leichtathletik betrieben, inzwischen nehmen ihn jedoch seine Aufgaben als Trainer beim TSV Ebermannstadt und als oberfränkischer Bezirksvorsitzender des Bayerischen Leichtathletik-Verbands (BLV) voll in Beschlag. Im Interview erklärt er, woran die Leichtathletik in Oberfranken krankt, welche Lösungsansätze es gibt und warum Wimpel und Nadeln als Anreiz für ehrenamtliche Arbeit heute nicht mehr genug sind.
Mit welchen Problemen hat die Leichtathletik in Oberfranken zu kämpfen?Frank Terassa: Oberfranken ist, was Leichtathletik betrifft, eher ein Randbezirk mit einer schwierigen Infrastruktur. Wir haben viele kleine und kaum große Vereine. Darum können wir Kinder und Jugendliche kaum leistungsbetont fördern, und wenn, dann ist es schwierig, sie ab einem gewissen Alter auch im Bezirk zu halten. Denn was Ausbildung und Studium betrifft, gibt es in anderen Bezirken deutlich größere Anreize.
Was man ganz rapide merkt, ist, dass das sportliche Niveau der Kinder und Jugendlichen immer mehr nachlässt, speziell im Alter zwischen acht und vierzehn Jahren. Die Trainingsbereitschaft, das sportliche Können, die sportlichen Grundfähigkeiten sind immer schlechter ausgeprägt. Ich glaube, das liegt daran, dass die Akzeptanz für den Sport grundsätzlich zurückgeht. Kinder bewegen sich immer weniger, in der Schule wird immer weniger Wert auf Sport gelegt. Ein Beispiel ist die aktuelle Diskussion um die Erhaltung der Bundesjugendspiele.
Das andere Problem ist, dass die Bereitschaft vieler Eltern, sich ehrenamtlich in einem Verein zu engagieren, zurückgeht. Viele sind zwar bereit, etwas zu tun - das bezieht sich aber nur auf ihre Kinder.
Sie haben die Strukturschwäche in Oberfranken angesprochen. Aber ist es bei kleineren Vereinen nicht möglich, den Nachwuchs individueller zu trainieren?Natürlich, man kann die Kinder individueller trainieren - dafür gibt es andere Probleme. Zum einen stellt sich die Frage: Wie finanziert man dieses individuelle Training? Und: Wie aquiriert man passende Trainer und Mitarbeiter? In der Regel werden kleine Vereine von ein bis zwei Leuten geschmissen, die sich um alles kümmern - auch um das Schüler- und Jugendtraining. Dadurch wird es wieder schwieriger, für ein adäquates Training zu sorgen. Wenn die Nachwuchs-Athleten erfolgreich sind, dann werden die Fahrten zu Wettkämpfen weiter, sie brauchen Betreuer, und diese ganzen Kosten müssen erst einmal gestemmt werden. Und die finanzielle Situation ist - egal ob im Verband oder bei kleineren Vereinen - nicht mehr so rosig wie noch vor zwanzig oder dreißig Jahren.
Woran liegt es, dass die finanzielle Situation schlechter geworden ist?Zum einen liegt es daran, wenn man den Landes- oder Bundesverband hernimmt, dass vor allem Staatsmittel rapide gekürzt worden sind. Zum anderen haben sich auch viele Sponsoren von der Leichtathletik abgewandt und sind zu medial attraktiveren Sportarten gewechselt. Das ist dann ein Teufelskreis: Weniger Aufmerksamkeit bedeutet weniger Sponsoren. Und das bedeutet: weniger Geld. Größere Vereine, die vielleicht Leistungsgruppen haben und dadurch mehr Erfolg einfahren, haben es da leichter. In Oberfranken können das aber nur die Leichtathletik-Gemeinschaften in Bamberg und Hof sowie der UAC Kulmbach in Stadtsteinach leisten, bis vor zehn Jahren auch die LG Fichtelgebirge. Doch auch die hat inzwischen massiv mit Trainer- und Nachwuchsmangel zu kämpfen.
Bestehen diese Schwierigkeiten in allen Disziplinen, oder ist es beim Laufen anders?Beim Laufsport ist es so, dass alles, was mit Leistung zu tun hat, zurückgeht. Auf der anderen Seite nimmt das Bewegungs- und Gesundheitsbewusstsein ein wenig zu, speziell bei den Erwachsenen. Dadurch haben Volks- und Breitensport-Veranstaltungen Zulauf, doch kaum noch jemand ist bereit, sich in Vereinsstrukturen einzufügen. Die Leute sind bereit, relativ viel Geld für einen Laufkurs oder einen Trainingsplan zu zahlen, wollen aber - trotz des geringen Jahresbeitrags - nicht in einen Verein. Sie sind bereit, einen Halbmarathon oder einen Marathon mitzumachen, die Teilnehmerfelder nehmen zu, gleichzeitig sinkt aber das Leistungsniveau. Es laufen zwar immer mehr Leute, doch das ist nicht organisiert, und es ist aus Verbandssicht sehr schwierig, diese Sportler organisatorisch zu erfassen.
Und wie lässt sich das lösen? Eine schwierige Frage. Es mag ein Klischee sein, aber ich glaube, es geht ein bisschen in Richtung Dienstleistungs-Gesellschaft: Wir müssen es als Verband schaffen, uns von unserer Mentalität her soweit öffnen, um zu sagen: Wir bieten Dienstleistungen an. Die Leute zahlen zum Beispiel einen einmaligen Betrag und können dadurch vergünstigt an bestimmten Läufen teilnehmen, haben aber keine Vereins- oder Verbands-Verpflichtungen. Das könnte zum Beispiel dazu beitragen, die Leute wieder einzufangen. Wir diskutieren schon seit mehreren Jahren, was wir in der Leichtathletik tun können. Es sind die unterschiedlichsten Überlegungen da, zum Beispiel das Etablieren einer Laufkarte. Die Leute zahlen Beispielsweise einen Betrag X, können auf einen Pool von Trainingsplänen zugreifen und bekommen Vergünstigungen bei Partner-Unternehmen. Das ist bislang immer daran gescheitert, ein durchgängiges und plausibles Konzept auf die Beine zu stellen.
Welche Ansätze gibt es, um das Nachwuchsproblem in den Griff zu bekommen?Wir haben zum Beispiel seit 2012 die Kinder-Leichtathletik. Das ist ein Konzept für Kinder bis zwölf Jahre, bei dem es darum geht, einen alternativen Bewegungsansatz in Richtung der fünf Grunddisziplinen Rennen, Laufen, Springen, Werfen und Mehrkampf reinzubringen. Alternativer Bewegungsansatz bedeutet, die Kinder laufen zum Beispiel keine 50 Meter auf der Bahn gegen die Stoppuhr, sondern eine Slalomstrecke im Rahmen einer Staffel oder eine Sprintstrecke über Hindernisse. Es geht darum, die Disziplinen auf eine spielerische Art und Weise und im Mannschaftsgedanken zu erarbeiten. An diesem Projekt scheiden sich aber noch immer die Geister, weil etwa die alteingesessenen Leichtahleten sagen: ,Das ist alles Mumpitz, wir sind eine Leistungs- und Individualsportart und müssen das den Kindern nahebringen.' Und es ist in der Tat schwierig, diese Gratwanderung hinzubekommen.
Wenn man sich die Situation ansieht - bedeutet das nicht, dass man das Konzept der Leichtathletik und des Verbandes von Grund auf neu denken müsste?Das ist richtig. Wir müssen uns als Verband einfach viel mehr auf die aktuelle gesellschaftliche Struktur und auch ein Stück weit auf die Konsum-Mentalität einstellen. Das steht allerdings in Kontrast zu unserem Ziel als Verband, denn wir haben die Aufgabe, den Leistungssport zu unterstützen - und daran hängen eben auch die ganzen Fördergelder.