Das Amtsgericht Lichtenfels stellte das Verfahren wegen Körperverletzung und Beleidigungen ein.
Den seltenen Fall von Körperverletzung, zugeschrieben einem älteren Menschen, behandelte am Dienstag das Amtsgericht. Eine 85-jährige Bad Staffelsteinerin betrat gestützt den Saal 14, um sich zu einer Tätlichkeit und massiven Beleidigungen vernehmen zu lassen. "Ich höre sehr schlecht", erklärte die Dame gegenüber Richter Stefan Jäger. Er und Staatsanwältin Rona Schmidt hatten sich auf Temperament und Gebrechen der älteren Frau einzustellen.
Der Strafbefehl sprach von einer Körperverletzung und massiven Beleidigungen, die im August 2017 in einem Bad Staffelsteiner Mehrfamilienhaus passiert sein sollen. Die 85-jährige soll dabei eine 17-Jährige mit "Miststück" und "elendes Mistvieh" beleidigt, sie bei einer Gelegenheit in den Keller gesperrt und bei anderer Gelegenheit mit einem Plastikbecher geschlagen haben. Während der Anklageverlesung musste Staatsanwältin Rona Schmidt allerdings näher an die Beschuldigte heranrücken, sie begab sich somit an den Richterplatz und las laut vor.
"Es hat nie stattgefunden", erklärte die Beschuldigte nach der Verlesung resolut. Doch die alte Dame war während der Verhandlung noch von einer weiteren Sorge beherrscht: "Ich hab Angst, ich bin dann vorbestraft." Immer wieder traf die Seniorin Bemerkungen zu dem Vorgebrachten, was ihr eine freundlich formulierte Rüge von Richter Stefan Jäger einhandelte: "Wenn Sie alles kommentieren, dann werden wir keine Freunde mehr."
Während die Zeugen, die 17-jährige Jugendliche und ihre Mutter, vor der Tür darauf warteten, in den Zeugenstand geholt zu werden, sollte ihr 79-jähriger Opa bzw. Vater eine Lanze für die Angeklagte brechen. Er war es auch, der die alte Dame beim Eintreten in den Saal stützte und an ihren Platz führte und nun sollte der Mann selbst für eine Aussage vor Richter Stefan Jäger bereitstehen.
"Das will sie nicht wahrhaben"
Beschwichtigend hob er die Arme und erklärte, den Sachverhalt womöglich aufklären zu können. Dabei berichtete er davon, dass die Beschuldigte, die im selben Haus wie sein Sohn mit Frau und Tochter gewohnt habe, seelische Probleme habe, zudem Anzeichen von Demenz und in "gewissen Realitäten" lebe. Vor allem aber in der Vergangenheit. "Das will sie aber nicht wahrhaben", fügte er noch hinzu.
Der Mann nahm offensichtlich so etwas wie eine kleine Betreuerrolle für die Angeklagte ein. Der Einsperrung der 17-Jährigen im Keller hielt er zugute, dass keine Absicht dahinter gesteckt haben mochte, sondern dies dem Umstand geschuldet war, dass einmal Einbrecher im Haus waren und sein Sohn der 85-Jährigen einst ins Gewissen redete, sie solle den Keller immer abschließen. Möglicherweise befand sich also just zum Zeitpunkt des Abschließens der Teenager im Keller.
Mittlerweile, so der 79-Jährige, hätten sein Sohn und dessen Familie das Mehrparteienhaus verlassen, es gebe somit keinen Kontakt mehr zwischen der alten Dame und dieser Familie. Diese Aussage sollte dazu beitragen, das Verfahren abzukürzen.
Es war Richter Stefan Jäger, der ins Spiel brachte, das Verfahren einzustellen. Zum einen darum, weil die Verletzungen der 17-Jährigen über Hautabschürfungen nicht hinausgingen und er für eine Prozessfortführung hätte ein Gutachten über den Zustand der Seniorin einholen müssen, andererseits darum, weil durch den Wegzug "eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben" sein. Dieses Ansinnen bedurfte des Einlenkens der Staatsanwaltschaft. Nach kurzer Zeit und Absprache wurde stattgegeben.
Große Erleichterung daraufhin bei der 85-Jährigen, die sich immer wieder erkundigte, ob sie auch wirklich nicht vorbestraft sei. "Ich wollte so nicht sterben. Mein Vater dreht sich sonst im Grab rum."