Hermann Kastner klagt gegen die Gemeinde Neuenmarkt. Sie soll Schäden in Höhe von 78 000 Euro ersetzen, die durch die Überflutung seines Kellers entstanden.
Ziemlich enttäuscht verlässt das Ehepaar kurz nach 16.30 Uhr das Bayreuther Landgericht. "Ich hatte schon gehofft, dass etwas herauskommt und dass das alles endlich einmal vorbei ist", sagt Hermann Kastner. "Das alles" ist die Umschreibung des Neuenmarkters für den Ärger, den das verheerende Unwetter am 2. August 2014 seiner Familie und mehreren Nachbarn beschert hat. Er war besonders betroffen, denn der Keller seines Anwesens in der Waldenburger Straße 4 stand bis zur Decke unter Wasser.
Als Schaden hat er 78 945,68 Euro errechnet. Darauf blieb er aber sitzen, weil er im Gegensatz zu anderen Anliegern keine Elementarversicherung hat.Das Geld fordert er nun von der Gemeinde, in deren mangelhaften Kanalsystem er die Ursache für die Misere sieht und die er deshalb verklagt hat.
Doch die erste, gut dreistündige Verhandlung vor der Zivilkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Peter Tettmann bringt ihm nichts ein - außer eine weitere Wartezeit. Die Gemeinde, für deren Rechtsanwalt Karl-Friedrich Hacker aus Bayreuth eine gütliche Lösung nicht in Betracht kommt, muss zunächst nichts zahlen. Die Parteien einigen sich darauf, das auf Abwasseranlagen spezialisierte Ingenieurbüro Resch + Partner in Weißenburg mit einem Gutachten zu beauftragen. Und bis das vorliegt, wird wohl der Sommer 2017 ins Land gezogen sein.
Die Klageschrift, in der der Kulmbacher Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Christian Ebert, den Sachverhalt zusammengefasst hat, beginnt mit einem Rückblick auf die 1970er-Jahre. Demnach erschloss die Gemeinde damals das Gebiet der jetzigen Waldenburgerstraße/Königsbergerstraße/Tilsiterstraße als Neubaugebiet und ließ dafür einen ausreichend dimensionierten Kanal planen und bauen. Anfang 1990 wurde der Anschluss eines großen Wiesengrundstücks und dessen Entwässerung in den Kanal des Neubaugebiets beschlossen. 1996 und 2007 kam es zu ersten Kellerflutungen; dennoch wurde zusätzlich die landwirtschaftliche Nutzfläche am Radweg nach Schlömen in das strittige Kanalsystem entwässert.
Am 2. August 2014 dann der GAU für die Familie Kastner: Ihr Keller wird bei dem sogenannten Starkregenereignis nicht "nur", wie bei Nachbarn, 50 bis 60 Zentimeter überflutet, sondern das Wasser steigt bis auf 2,30 Meter an. Grund dafür ist eine geplatzte Kanalleitung auf dem Anwesen Günther in der Königsbergerstraße 2a, weshalb das Regenwasser oberirdisch austritt und über ein unbebautes Grundstück in Hermann Kastners Keller gelangt.
Höhere Gewalt?
Die Gemeinde bestreitet jedoch, dass das beschädigte Kanalstück die Hauptursache für die Schäden beim Kläger gewesen sein soll. Rechtsanwalt Hacker - Bürgermeister Siegfried Decker war nicht anwesend - macht höhere Gewalt geltend. Der Verweis darauf, so wiederum Rechtsanwalt Ebert, sei fehl am Platz. Er führt in der Klageschrift an, dass die Gemeinde bereits im Jahr 2000 unter Hinweis auf eine Querschnittsreduzierung des Kanals von 60 auf 20 Zentimeter beim Anwesen Günther dem Nachbarn Wanderer untersagt hatte, dort Schmutzwasser einzuleiten. Doch dieser habe erst im Jahr 2013 die Umbindung der Schmutzwasserableitung auf den Hauskanal vorgenommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, so der Anwalt, hätte die Beklagte den maroden und nach eigenen Angaben gefährlichen Kanal verschließen müssen. "So aber hat die Gemeinde in Kauf genommen, dass sich alle Risiken realisieren."
In den Prozess eingeführt wird auch das Gutachten des Deutschen Wetterdienstes.
39 Liter pro Quadratmeter
Demnach kommt es am 2. August 2014 in
Neuenmarkt zu "Gewittern und Regenschauern in starken Intensitäten". Innerhalb von zwei bis drei Stunden fallen werden Spitzenwerte bis zu 39 Liter pro Quadratmeter gemessen. Die Wiederkehrzeit dieses Ereignisses gibt der Wetterdienst mit acht Jahren an.
Die Zeugenbefragung der Nachbarn ergibt ein insgesamt einheitliches Bild. Dieter Sachs erinnert sich noch daran, dass es am Abend des 2. August 2014 auf dem Grundstück der Familie Kastner aussah, "als hätte eine Bombe eingeschlagen". Nach dem Ereignis sei die Nachbarschaft zusammengewachsen ("Wir verstehen uns alle sehr gut"). Man treffe sich des öfteren, auch mit Gemeinderäten, denen die Einleitung des Wassers aus dem Außenbereich, das beim Elektrohaus Wanderer in den gemeindlichen Kanal fließe, aufgezeigt worden sei. "Außer dem Integralen Hochwasserschutzkonzept, das irgendwann verwirklicht werden soll, hat sich aber bisher nichts getan. Nur der Bau eines Regenrückhaltebeckens wurde begonnen."
Die Lage der geplatzten Abwasserleitung, die auf seinem Grundstück in der Königsberger Straße verläuft, war Heiko Günther bis zum Tag des Unwetters nicht bekannt. Der 36-Jährige, dessen Schaden von 180 000 Euro die Versicherung bezahlte, hat sogar ein Video gedreht, das die eineinhalb Meter hohe Fontäne zeigt, die aus dem abgesprengten Kanaldeckel emporschießt. Auch er kritisiert die Gemeinde: "Den Deckel haben sie wieder draufgemacht, doch das Loch haben sie gelassen."Er bestätigt auch, dass sich die Leitung dort verjüngt. "Dort stauen sich immer die Äste. Die hol' ich aber selber raus."
Rudolf Aknai ("Wie wenn's gestern gewesen wäre") hat ebenfalls genaue Erinnerungen an das Hochwasser. Seine Meinung hält er nicht zurück: "Man hat gewisse Menschen in eine Position gewählt, die Pflichtbewusstsein erfordert. Da sollte man die Bürger aber nicht im Regen stehen lassen."
Für Diplomingenieur Erich Hahn vom Büro IBP, der für die Gemeinde Berechnungen angestellt hat, ist die Verjüngung des Leitung beim Anwesen Günther "nicht sinnvoll". Dennoch reiche der Querschnitt für die Entwässerung der Siedlung aus. Problematisch werde die Situation aber, wenn Wasser von Außengebieten hinzukommt. Die Drainagen aus den Flächen bei Schlömen fallen seiner Ansicht nach nicht ins Gewicht.
Unendliche Leidensgeschichte
In dem vorliegenden Artikel lesen wir von einer „Querschnittsreduzierung des Kanals von 60 auf 20 Zentimeter“.
Hier drängt sich förmlich ein Vergleich mit dem Abwasser-Druckkanal des ’Zweckverbands Abwasserbeseitigung der Schorgasttalgemeinden’ (Wirsberg, Ludwigachorgast, Kupferberg, Guttenberg und Untersteinach) auf:
• Das Abwasser des Marktes Wirsberg (1819 Einwohner) wird vom dortigen Pumpwerk Wirsberg in einer Rohrleitung mit 184 mm Durchmesser nach Ludwigschorgast gepumpt.
• Hier kommt das Abwasser des Marktes Ludwigschorgast (975 Einwohner) und der Stadt Kupferberg (1032 Einwohner) hinzu und wird vom Pumpwerk Ludwigschorgast
(- dessen maximale Abflussmenge 26 Liter pro Sekunde beträgt -)
in einer Rohrleitung mit 258 mm Durchmesser nach Untersteinach gepumpt:
bis hierher haben wir also das Abwasser von 3826 Einwohnern.
• Bei Untersteinach kommt das Abwasser der Gemeinden Guttenberg (536 Einwohner) und Untersteinach hinzu (1848 Einwohner, sowie des dortigen Gewerbegebiets u. a. mit fünf metall-verarbeitenden Industriebetrieben).
• Vom Haupt-Pumpwerk Untersteinach
(- dessen maximale Abflussmenge 82 Liter pro Sekunde beträgt -)
wird das Abwasser von somit insgesamt 6210 Schorgasttaler Bewohnern in einer Rohrleitung mit 300 mm Durchmesser zur Zentralkläranlage der Stadt Kulmbach gepumpt.
Schon unmittelbar nach der Inbetriebnahme im Jahr 2002 haben die technischen Unregelmäßigkeiten angefangen und bis heute kein Ende gefunden. Der im Juni 2004 gegründete „Zweckverband Abwasserbeseitigung der Schorgasttalgemeinden" konstatiert in einem Protokoll wörtlich:
„Fehler bei der Planung, Bauausführung und Bauüberwachung, beim Bau der Pumpwerke und der Abwasserdruckleitung."
Seit mittlerweile über 12 Jahren schleppt sich beim Landgericht Bayreuth ein Beweissicherungsverfahren zäh dahin.
Über den aktuellen Stand dieses Verfahrens hat die Öffentlichkeit keine aktuelle Kenntnis.
Ein Ende dieser ’unendlichen Leidensgeschichte’ ist nicht in Sicht …
Nur zum Vergleich:
Im benachbarten Weißmain-Tal hat die gemeinsame Abwasseranlage der Gemeinden Trebgast (1645 Einwohner) und Ködnitz (1621 Einwohner) in deren Pumpwerk (nahe der ’Forstlasmühle’) heuer an einem trockenen Sommertag rund 40 Liter pro Sekunde (- von zusammen 3266 Einwohnern -) durch ihre Druckleitung mit 250 mm Durchmesser zur Kläranlage nach Kulmbach gepumpt: Ohne jegliche Probleme.