Mit 57 nochmal (fast) von ganz vorne anfangen: Roswitha Zimmermann aus Hutschdorf saß drei Jahrzehnte nicht mehr am Steuer eines Fahrzeugs. Jetzt wagte sie mit Profis den Neustart.
Roswitha Zimmermann nennt ihn "meinen Engel" - dabei ist Tom Grass gar nicht beim ADAC, sondern Fahrlehrer aller Klassen für die Fahrschule Kolb in Kulmbach. Für etwa 20 Stunden saß der 44-Jährige an der Seite der Hutschdorferin; unterstützte die 57-Jährige beim richtigen Abbiegen; lenkte ihren Blick auf den Schleifpunkt beim Anfahren am Berg. Und vor allem: Er beruhigte sie, wenn sie den Motor abwürgte und drohte, in Panik zu verfallen, weil es gerade mitten auf der Kreuzung passierte. "Das ist das entscheidende: diesen Ruhepol an meiner Seite zu wissen", sagt Roswitha Zimmermann und tätschelt ihrem Engel die breite Schulter. "Mit ihm kann nix schief gehen."
Ein Unfall und die Folgen Jetzt meistert die gebürtige Eichstätterin ihre Strecken allein - wenn auch bisweilen noch mit mulmigem Gefühl. Mehr als ein Vierteljahrhundert hat sie nicht am Steuer gesessen, dabei hat sie mit 18 ihren Führerschein gemacht, ist ganz normal gefahren - bis zu jenem Tag, als ihr ein (polizeibekannter) Rüpel die Vorfahrt nimmt und ihrem Auto in die Seite kracht. Die damals 20-Jährige ist zu dem Zeitpunkt schwanger und hat noch dazu ihre zweijährige Tochter auf dem Rücksitz. "Das war brutal für mich, ich bin ein Jahr lang in gar kein Auto mehr gestiegen."
Musste sie auch nicht. Ihr damaliger Mann bewältigt alle Fahrten - sie nimmt die Rolle der Beifahrerin ein. "Irgendwann verlernst du grundlegende Dinge", sagt sie mit hörbarem Bedauern in der Stimme.
Dass sie jetzt, mit 57, sich durchgerungen hat, Auffrischungsstunden zu nehmen, hat private Gründe: ein neuer Lebenspartner, ein neues Umfeld. Roswitha Zimmermann zieht der Liebe wegen aus Eichstätt weg nach Hutschdorf. "In meiner Heimat war der öffentliche Nahverkehr sehr gut ausgebaut, da brauchte ich kein Auto. Aber jetzt, wo ich hier auf dem Land lebe, meinen Vater im Seniorenheim in Thurnau besuchen möchte und gleichzeitig eine Arbeit suche, ist der Führerschein ein Muss." Und das Fahren, das ihr jetzt keiner mehr abnimmt.
"Eine klassische Vorgeschichte, mit der Leute wie Frau Zimmermann zu uns kommen", sagt Günter Möschel, Kundenberater beim Verkehrsinstitut Bayern im Goldenen Feld. "Es geht darum, seine Mobilität zu erhalten und damit ein Stück Freiheit, aber es geht auch darum, den täglichen Einkauf oder die Fahrt zum Arzt sicherzustellen."
Was Fahrlehrer Günther Ott aus Stadtsteinach nur bestätigen kann. "Oft sind es ältere Frauen, die ein Leben lang chauffiert wurden und nun ihren Lebenspartner verloren haben. Oder die ihren Partner aus gesundheitlichen Gründen nun selbst fahren müssen." Was Ott dabei auffällt: Die "Neubeginnerinnen" sind sehr sorgfältig, wollen sicher sein auf der Autobahn oder beim Einparken auf Großparkplätzen oder in der Tiefgarage.
Richtige Entscheidung Roswitha Zimmermann habe sich richtig entschieden, sich nicht einfach auf gut Glück wieder ins Verkehrsgetümmel zu stürzen, sagt Möschel. "Es geht ja schon damit los, dass nach vielen Jahren Pause der Fahrer nicht auf dem aktuellen Stand ist, was die Verkehrsrechtslage angeht." Zudem sei die psychologische Barriere nicht zu unterschätzen. "Oft fährt die Angst mit, und die ist ein schlechter Begleiter."
Tom Grass hingegen ist einer, der vom Mofa bis zum Bus alles professionell steuern kann. Und: Er hat die entsprechenden Zusatzqualifikationen, um gerade älteren "Fahrschülern" die Furcht zu nehmen und die Motivation zu stärken. "Der Fahranfänger mit 17 oder 18 ist da definitiv einfacher zu handhaben - allein schon deshalb, weil ich da nicht gegen falsch antrainiertes Verhalten ankämpfen muss." Jüngst saß eine 80-Jährige neben ihm im Auto. "Da braucht man ein gewisses Fingerspitzengefühl, denn ein älterer Mensch ist nicht immer so leicht zu begeistern, etwas dazu zu lernen."
Allerdings sieht der 44-Jährige auch die "kriegsähnlichen Zustände" auf den Straßen zunehmen. "Manchmal könnte einem der Kragen platzen, wenn man so unmittelbar mitbekommt, wie rücksichtslos sich Verkehrsteilnehmer verhalten. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass mancher Zeitgenosse gerade bei Fahrschul-Autos besonders auf Attacke fährt. Das ist bisweilen übel."
Roswitha Zimmermann pflichtet ihm bei: "Wenn mir das Auto mal auf der Kreuzung ausgeht, dann dauert es nicht lange und es wird gehupt und gedroht. Dabei wäre etwas mehr Verständnis und ein Mit- statt Gegeneinander doch so viel hilfreicher und entspannter für alle Beteiligten."
Und noch einen Tipp hat die 57-Jährige parat: "Als ich im Familienkreis sagte, dass ich mich zum Autofahren durchringe, habe ich gute Ratschläge bekommen und auch das Angebot, mit der Tochter oder dem Lebenspartner auf einem Parkplatz zu üben." Sie schüttelt den Kopf. "Das ist nett gemeint, aber ich würde mich immer wieder an den Profi wenden, weil er genau weiß, worauf es in brenzligen Situationen ankommt", sagt sie und blickt wieder ihren Engel an.
Dann steigt sie in ihren Golf und fährt wie selbstverständlich vom Hof der Verkehrsakademie.