So finden Flüchtlinge ihren Weg

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Anton Steinl aus Burghaig lässt sich von Hosein Dyab den Bart zurechtstutzen. Der 32-Jährige Syrer arbeitet seit August im Melkendorfer Barbershop von Frank Walther (Mitte). Er ist einer der ersten Schützlinge, die Steinl ehrenamtlich begleitet hat. Fotos: Peter Müller
Anton Steinl aus Burghaig lässt sich von Hosein Dyab den Bart zurechtstutzen. Der 32-Jährige Syrer arbeitet seit August im Melkendorfer Barbershop von Frank Walther (Mitte). Er ist einer der ersten Schützlinge, die Steinl ehrenamtlich begleitet hat. Fotos: Peter Müller
Anton Steinl sowie Edgar und Margit Schoberth (von links) wurden als erste offizielle Coaches für neu Zugewanderte vorgestellt.
Anton Steinl sowie Edgar und Margit Schoberth (von links) wurden als erste offizielle Coaches für neu Zugewanderte vorgestellt.
 

Der Landkreis will die Hilfen für neu Zugewanderte optimieren. Ehrenamtliche Coaches sollen Asylbewerber unterstützen.

Bei der Pressekonferenz im Landratsamt wird er als "Helfer der ersten Stunde" und "alter Hase" in Sachen Flüchtlingsbetreuung begrüßt: Anton Steinl aus Burghaig. Und in der Tat: Der 63-jährige gelernte Banker und spätere Versicherungsfachmann, der seit vier Jahren im vorgezogenen Ruhestand ist, kann bereits auf einen reichen Erfahrungsschatz in der Arbeit mit Asylbewerbern aufbauen. Neben Hosein Dyab (großes Foto) hat er unter anderen Nasrathullah P. aus Afghanistan (26, Ausbildung als Maurer), Idris H. aus Syrien (39, Fensterbauer), Aref A. aus Syrien (39, Anstellung im Trockenbau), Mahmoud D. aus Syrien (42, Fliesenleger), dessen Landsmänner Wijdan F. (17, Weiterbildung in der Altenpflegeschule) und seinen Bruder Mohammad (16, Berufspraktikum mit Deutschkurs beim BFZ) sowie Abdulghafoor G. aus Afghanistan (38, Minijob als Küchenhilfe) unterstützt. Sie alle begleitete der Burghaiger bei der Vermittlung und Suche nach einem Job, bei der Vertragsgestaltung, im Umgang mit dem Finanzamt und dem Jobcenter. Außerdem unterstützte er die Männer, die in der Mehrzahl verheiratet sind und Kinder haben, auch bei der Wohnungssuche und beim Umzug.

Doch jetzt hat Steinls ehrenamtliche Tätigkeit offiziellen Charakter: Er nimmt am Programm "Coaching für neu Zugewanderte im Landkreis Kulmbach" teil. Seine Motivation für dieses Engagement bringt er ohne Umschweife auf den Punkt: "Es gibt viele, die nach dem Renteneintritt einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen wollen, weil sie sonst Mattscheibe kriegen. Bei mir war das nicht anders, mir war stinklangweilig."


Überraschungen am Arbeitsplatz

Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Seine Arbeit nimmt er sehr ernst, denn: "Wer aus dem arabischen Raum kommt und in seiner Heimat keine Fremdsprache gelernt hat, beginnt in Deutschland als Analphabet. Es herrscht teilweise auch völlige Überraschung, dass man einerseits zur Arbeit pünktlich kommen muss, andererseits aber einen Anspruch auf bezahlten Urlaub hat."

Neben Anton Steinl werden sich künftig auch Edgar Schoberth und seine Frau Margit als Coaches engagieren. Der 77-Jährige ("Ich bin im aktiven Ruhestand") war als Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen auch international tätig und längere Zeit nicht in seiner Geburtsstadt Kulmbach. Er sieht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft und will seine reiche berufliche Lebenserfahrung bei der Integration einbringen: "Die Flüchtlinge haben ihre eigenen Antriebe, und die muss man in die richtige Richtung lenken", sagt Schoberth, der immer noch als selbstständiger Unternehmensberater arbeitet.

Seine Frau wird ihm eine große Hilfe und Ergänzung sein. Margit Schoberth (73) war sowohl in der Familie als auch in den jeweiligen Firmen immer an der Seite ihres Mannes. Sie verfügt über Erfahrungen sowohl in der Seniorenarbeit als auch im Umgang mit Ausländern:


"Mit Herz und Verstand"

"Mit früheren Mitarbeitern aus dem Libanon und aus Russland habe ich oft Gespräche geführt oder bin, wenn notwendig, mit ihnen auch mal zur Bank. Ich möchte den Asylbewerbern mit Herz und Verstand bei der Integration helfen und Perspektiven bieten."

Neben den drei offiziellen Coaches haben aktuell etwa zehn Personen ihre Bereitschaft signalisiert, mitzuarbeiten. Anton Steinls Wunschziel: "Man sollte ein Betreuungsverhältnis von 1:1 oder 1:2 anstreben, sonst wird's für den Einzelnen zu stressig."


Bildungsstand und Berufe der Asylbewerber: "Die Bandbreite ist groß"

Knapp 500 Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber sind im Landkreises untergebracht. Diese Zahl ist in der Öffentlichkeit einigermaßen bekannt, allerdings wissen die wenigsten Bürger, aus welchen Ländern diese Menschen kommen und welchen (Aus-)Bildungsstand sie haben. Sind es in der Mehrzahl Analphabeten oder vielleicht überwiegend Handwerker? Sind unter ihnen eventuell sogar viele Ärzte, Lehrer oder Ingenieure? Welche sprachlichen Kompetenzen haben sie? Und können sie die in Wirtschaftskreisen geäußerte Hoffnung erfüllen, den Fachkräftemangel zu lindern?

Peter Müller, der sich am Landratsamt Kulmbach um den Aufbau eines Netzwerks für die Flüchtlingsarbeit kümmert und ein Coaching für Neuzugewanderte organisiert (siehe oben stehenden Artikel), stellt generell fest: "Die Bandbreite der Berufe ist groß." Er relativiert diese Aussage aber sofort: Die Erwartungshaltung, dass es sich um Leute handelt, die relativ zügig in den Arbeits- oder Fachkräftemarkt überführt werden könnten, sei fehl am Platz. "Die Kammern setzen hierfür realistisch bis zu sechs Jahre an."


184 anerkannte Asylbewerber

Im Landkreis Kulmbach leben (Stand 15. Oktober) 476 Personen im Anerkennungsverfahren, davon sind 199 dezentral untergebracht, 48 sind als unbegleitete Jugendliche registriert. Die bisher anerkannten Asylbewer ber gliedern sich wie folgt auf: 184 Personen mit Fahrerlaubnis (FE) und 58 mit subsidiärem Schutz aus Syrien; 17 mit FE und neun mit subsidiärem Schutz aus dem Irak; sechs aus Afghanistan; eine Person mit subsidärem Schutz aus Eritrea.

Aus Datenschutzgründen geben die Jobcenter keine Details weiter, es existieren aber bereits bei 80 Flüchtlingen genaue Erhebungen über Alter, Ausbildungsstand und erlernten oder ausgeübten Berufen. Peter Müller verweist dazu auf die neueste, detaillierte Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, deren erste Welle mit gut 2300 Personen abgeschlossen ist. Die Ergebnisse könnten in Bezug auf die Ausbildung in etwa auch auf den Landkreis übertragen werden.

Bei der Einordnung beziehungsweise dem Status der zugewanderten Menschen muss laut Müller grundsätzlich differenziert werden:

• Flüchtling gemäß der Genfer Konvention;

• Asylsuchender nach Paragraf 16a des Grundgesetzes;

• subsidiärer Schutz (Herkunft aus einem Kriegsgebiet, in dem das Weiterleben nicht möglich ist);

• Herkunftsland, für das ein Abschiebehindernis vorliegt.

Von der Situation des Einzelnen sei dessen Zugang zum Arbeitsmarkt abhängig, erläutert Müller. Je höher der Schutzstatus, desto höher sei die Bleibeperspektive. Fluchtländer mit guter Bleibeperspektive seien Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia. Wenn eine Entscheidung getroffen worden sei, gelangten die Flüchtlinge entweder in die Zuständigkeit der Agentur für Arbeit oder in die Jobcenter, wo dann eine Kompetenzfeststellung erfolge. Im Boot seien dann auch der Verband der bayerischen Wirtschaft, IHK, HWK, AGABY (Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns) und IDA (Initiative Deutschunterricht für Asylbewerber/innen).

Als wichtigstes Kriterium für gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt nennt Müller die Erlangung der Sprachkompetenz. "Sie können aber einen Asylbewerber nicht zwei Jahre in einer Schule mit Deutsch zutexten, sondern er muss mit Praktika an den Beruf herangeführt werden." Zudem müsse klar sein, dass jemand, der in Syrien als Maurer gearbeitet hat oder Lkw gefahren ist, diese Tätigkeiten ohne Zusatzqualifikationen in Deutschland nicht ohne weiteres gewerblich ausüben dürfe.


Oft verklärtes Bild der Zukunft

Müller macht auch keinen Hehl daraus, dass bei zugewanderten Analphabeten oft ein sehr verklärtes Bild ihrer Zukunft vorherrscht - etwa nach dem Motto: "If I can stay in Germany, I will study engineering" (Wenn ich in Deutschland bleiben kann, werde ich Ingenieurwissenschaften studieren). Dies werde wohl nicht funktionieren. Möglicherweise seien solche Menschen aber geeignet für andere Berufe. Mit Blick auf eine Erhebung, wonach bis zum Jahr 2030 weitere 750 000 Pflegekräfte benötigt werden, gehe es auch um die Frage, welches Bild in den Köpfen der Flüchtlinge aufgebaut werden muss.

Grundsätzlich gelte: "Wer die entsprechenden sprachlichen Kompetenzen erwirbt und durch Integration zur dauerhaften Sicherstellung seines Lebensunterhalts beiträgt, der hat die größeren Chancen."


Coaches gesucht

Personenkreis Alle, die an der ehrenamtlichen Arbeit mit Flüchtlingen interessiert sind, können sich melden.

Ansprechpartner Im Landratsamt stehen als Koordinatoren Peter Müller und Yvonne Bittermann zur Verfügung (Telefon 09221/707123).

Angebot Der Landkreis führt ab 9. Januar eine Seminarreihe für alle am Ehrenamtl interessierte Bürger durch. Es soll ein Netzwerk initiiert und die Betreuung von neu Zugewanderten optimiert werden.