Seit Jahren wird der schlechte Zustand des Kulmbacher Bahnhofs kritisiert. Jetzt macht die Bahn eine Umfrage - allerdings zu einem neuen Begrüßungskonzept.
Schwer zu sagen, was deprimierender ist: eine Wetterlage wie am Mittwoch oder der Zustand des Kulmbacher Bahnhofs. Letzteres ist seit Jahren ein leidiges Dauerthema. Zugreisende, die zum ersten Mal in Kulmbach ankommen, reiben sich verwundert die Augen angesichts der fehlenden Barrierefreiheit und des wenig einladenden Zustands des gesamten Areals. Politiker aller Couleur bemühen sich seit Jahren vergeblich um eine Beseitigung des riesigen Sanierungsstaus.
Nun schien Bewegung in die Sache zu kommen, nachdem in der vergangenen Woche auf Facebook und Instagram nach Teilnehmern einer Befragung am und zum Kulmbacher Bahnhof gesucht wurde. Unsere Recherchen ergaben jedoch: Diese Umfrage ist alles andere als bahnbrechend.
Vier Interviews führte ein Mitarbeiter des Hamburger Marktforschungsinstituts "Mindline" am Mittwochnachmittag im Auftrag der Deutschen Bahn am Kulmbacher Bahnhof. Als erster Test-Kunde stand Benedikt Neugeboren dem Marktforscher eine Stunde lang Rede und Antwort. Der 25-jährige Kulmbacher studiert in Bayreuth und fährt regelmäßig mit dem Zug die Strecke Bayreuth-Kulmbach und zurück. Der Zustand des Kulmbacher Bahnhofs ist ihm eine echte Herzensangelegenheit, deshalb habe er sich auch für die Befragung angemeldet.
Überhaupt scheint der Zuspruch auf den Internet-Aufruf gut gewesen zu sein, denn alle Termine waren laut eines Bahnsprechers ausgebucht. Mit folgenden Worten hatte das Hamburger Marktforschungsinstitut um Interview-Teilnehmer geworben: "Liebe Kulmbacher! Im Auftrag der DB Station & Service AG möchten wir Dich gern zu Deinem Bahnhof befragen! Für ein 60-minütiges Interview, welches direkt am Bahnhof mit einem geschulten Interviewer stattfindet, erhältst Du als Dankeschön 50 Euro direkt in bar vor Ort. Im Interview möchten wir Dich um Deine Meinung zum Bahnhof bitten, einen Rundgang im/am Bahnhof machen und Dir verschiedene Dinge zur Bewertung zeigen. Dabei wird eine spannende Technik verwendet, nämlich eine Eye-Tracking-Brille (natürlich frisch desinfiziert). (...) Sie misst, wohin Du während der Befragung schaust. (...) Diese Forschungsstudie wurde von der DB Station & Service AG beauftragt, um Verbesserungspotentiale an verschiedenen Bahnhöfen zu ermitteln."
Um welche Verbesserungen genau es geht, wollten wir von der Bahn wissen. Ein Bahnsprecher aus München sagte dazu: "Im Rahmen eines Pilotprojektes wird zurzeit an einigen Bahnhöfen in Oberfranken ein neues Begrüßungskonzept für Bahnhofsbesucher erprobt. Dabei werden unter anderem auf die jeweilige Stadt bezogene Willkommensbotschaften auf Tafeln oder Plakaten ausgehängt." Beauftragt worden sei das Hamburger Marktforschungsinstitut damit vom Bahnhofsmanagement Bamberg. Es solle ermittelt werden, wie die Willkommensbotschaften, aber auch sonstige Informations- und Werbebotschaften am Bahnhof von den Kunden wahrgenommen werden.
Schäbiger als jede Raststätte
Grünen-Stadt- und Kreisrätin und Viel-Bahn-Fahrerin Dagmar Keis-Lechner, die den Interview-Aufruf auf Facebook geteilt und die erste Umfrage am Mittwoch am Bahnhof aus der Ferne verfolgt hat, findet für die jüngste Initiative der Bahn deutliche Worte: "Was ist denn in die DB gefahren? Jahrelang mahnen alle den runtergekommenen Kulmbacher Bahnhof an, dass er barrierefrei, sauber und modernisiert gehört, und nun das? Keine Autobahnraststätte ist derart schäbig. Die Schiene soll die Zukunft sein? So wird das nix!"
Auch in der Stadtverwaltung waren die Marktforschungs-Interviews Thema. "Die Stadt Kulmbach wurde bereits über mehrere Kanäle darüber informiert, dass das Marktfoschungsinstitut ,Mindline' im Auftrag der Deutschen Bahn Befragungen zum Kulmbacher Bahnhof durchführt", so Zweiter Bürgermeister Frank Wilzok, der derzeit Oberbürgermeister Ingo Lehmann vertritt. Man begrüße die Umfrage, da insbesondere die Menschen befragt werden, die regelmäßig am Bahnhof sind und auch die Schwachstellen und Problembereiche des Areals kennen. Die Stadt halte stetigen Kontakt mit den Verantwortlichen der Bahn und arbeite weiterhin mit Nachdruck an einer Verbesserung der Situation. "Insbesondere ein barrierefreier Ausbau hat für uns höchste Priorität, was Oberbürgermeister Ingo Lehmann auch kürzlich in einem Schreiben an Konzernbevollmächtigten Klaus-Dieter Josel betont hat", so Wilzok.
Förderprogramm und Finanzspritze
Förderprogramm Ende Januar wurde bekannt, dass der Bahnhof Kulmbach mit der höchsten "Priorität A" für das Förderprogramm für die Herstellung für Barrierefreiheit an Bahnhöfen des Bundesverkehrsministeriums gemeldet wurde. Dafür sollen kleinere Bahnhöfe wie Kulmbach mit täglichen Zustiegen zwischen 1000 und 4000 ausgewählt werden. Ob Kulmbach den Zuschlag bekommt, ist noch nicht entschieden. Finanzspritze Eine Finanzspritze von 260 000 Euro aus dem Sofortprogramm des Bundes für attraktive Bahnhöfe gab es im August für den Kulmbacher Bahnhof. Mit dem Geld sollen Reparatur- und Verschönerungsarbeiten durchgeführt werden. Die Aufträge sind inzwischen vergeben, ab der letzten Oktoberwoche beginnen die Arbeiten, so ein Bahnsprecher.
Glosse
Bahn! Stell' die Weichen doch richtig!
Du weißt ganz genau, wo Handlungsbedarf besteht, liebe Bahn! Noch bevor Du in ein paar Wochen den Kulmbacher Bahnhof sicher umfassend verschönern wirst, denkst Du natürlich längst weiter: Wäre es nicht prima, wenn Reisende, deren Stimmung nach der Ankunft angesichts des Gebäudezustands schon ein kleines bisschen eingetrübt ist, nicht wenigstens mit ein paar fröhlichen Bildchen positiv gestimmt werden könnten?
Sicher hast Du Dir schon vorgestellt, dass sich die Poster und Transparente ja vielleicht auch so großflächig anbringen lassen, dass die unansehnlichsten Stellen damit zugekleistert werden könnten. Ein paar bunte Plastikpflanzen, viele Duftbäume in den Noten "Bahnhofsaroma" und "Weichenfrische", vielleicht die passende Illumination - da könntest Du schon einiges erreichen, meinst Du sicher, liebe Bahn.
Und wenn das nicht möglich ist, wirst Du Dir denken, vielleicht lässt Du dann ja ein paar der neumodernen Brillen vor Ort, die den Besuchern einen schönen, modernen und sauberen Bahnhof vorgaukeln könnten. Virtual Reality hilft in Zeiten bitterer Realität manchmal.
Bliebe dann nur noch das Problem der Barrierefreiheit, das sich vielleicht ja ebenfalls mit einem kleinen Taschenspielertrick lösen ließe, liebe Bahn: Du verpflichtest einfach Magier David Copperfield, der Reisende am Bahnsteig 3 verschwinden und vor dem Bahnhof wiederauftauchen lassen könnte.
Oder, da wäre noch eine ganz verwegene Idee: Kümmere Dich doch endlich einmal ernsthaft um den Kulmbacher Bahnhof - ein Förderprogramm gibt's, das dabei helfen könnte. Die Kulmbacher wären sich dann sicher: Du weißt tatsächlich ganz genau, wo Handlungsbedarf besteht, liebe Deutsche Bahn! Alexander Müller