Ist der Wolf in Kulmbach willkommen?

3 Min
Scheuer Räuber: Vermutlich streifen Wölfe bereits durch Nordbayern. Nicht alle menschlichen Einwohner begrüßen Isegrims Rückkehr. Foto: Patrick Pleul/dpa
Scheuer Räuber: Vermutlich streifen Wölfe bereits durch Nordbayern. Nicht alle menschlichen Einwohner begrüßen Isegrims Rückkehr. Foto: Patrick Pleul/dpa
Schäferin Iris Pestinger versetzt den mobilen Herdenzaun für ihre rund 100 Tiere. Einen Wolf würde das Geflecht nicht aufhalten. Foto: Jochen Nützel
Schäferin Iris Pestinger versetzt den mobilen Herdenzaun für ihre rund 100 Tiere. Einen Wolf würde das Geflecht nicht aufhalten. Foto: Jochen Nützel
 

Ist die Willkommenskultur für den Wolf nur eine kurze Episode? Der Rückkehrer soll geschossen werden dürfen. Das fordern mittlerweile Jäger - und auch die Kulmbacher Schäferin Iris Pestinger will das zum Schutz ihrer Herde nicht ausschließen.

"Away, away!" Kaum hat Iris Pestinger das Kommando gerufen, reagiert die Herde und trabt den Hügel hinauf. Das Schafsblöken mischt sich mit Gebell. Bordercollie-Dame Lynn verrichtet ihre Arbeit: Ein Knuffen, jetzt folgen auch die Lämmer ihren Müttern. Wahre Bocksprünge vollführen die Wollknäuel, die im Winter zur Welt kamen. Lebensfreude pur. Natürliche Feinde? Fehlanzeige. Bis jetzt, denn ein Beutegreifer aus längst vergessenen Zeiten macht sich auf auch nach Oberfranken.

Der Wolf muss keine sieben Geißlein haben - ihm schmeckt auch ein Lämmlein. "Wenn es so weit ist und er hier durchzieht, dann nutzt mir das da nichts mehr." Iris Pestinger drückt eine Stange der mobilen Umzäunung fester in den Boden. Das Gestell ist leicht zu bewegen und lässt sich gut umziehen. Gegen Isegrim aber, wie der Wolf in der Fabel heißt, böte das Nylongeflecht keinen Schutz. "Noch sehe ich für meine 100 Tiere hier in Kulmbach keine akute Bedrohung." Aber sie macht sich Gedanken. "In Niedersachsen, wo ich herkomme, besteht die Gefahr durchaus."

"Wolferwartungsland" Franken

Aber auch der Norden Bayerns gilt seit längerem als "Wolf erwartungsland". Gut möglich, dass Einzelgänger aus der deutsch-polnischen Grenzregion sich hierher verirren. Canis lupus lupus, wie der Wolf lateinisch heißt, ist ein Langstreckenwanderer und legt auf der Suche nach einem Revier bis zu 1500 Kilometer zurück. "Ich habe prinzipiell nichts gegen den Rückkehrer Wolf", sagt Iris Pestinger. "Wir müssen uns nur klar sein: Ich werde dann die Schutzmaßnahmen erhöhen müssen. Dann heißt es: 1,80 Meter hohe doppelte Holzumzäunung statt einfacher, schnell aufzubauender Abschirmung. Und die Mehrkosten und der Mehraufwand werden an uns Schäfern hängen bleiben."

Nutzt eine tierische Abschreckung? "Es gibt speziell trainierte Herdenschutzhunde, die praktisch ihr ganzes Leben inmitten einer Herde verbracht haben und Schafe als Artgenossen ansehen. Man muss aber bedenken: Für dicht besiedelte Gebiete scheinen mir diese Hunde eigentlich keine Option." Sie wehren ja nicht nur den Wolf ab, sondern könnten auch Spaziergänger mit Hund attackieren, weil den der Sicherheitsexperte auf vier Pfoten als potenzielle Gefahr ausmacht.

"Region ist nicht vorbereitet"

Bliebe als Alternative, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Iris Pestinger würde das im Einzelfall bejahen. "Man sollte das nicht für alle Zeiten ausschließen. Sollte ein Wolf in bestimmten Gegenden immer wieder Schaden anrichten, dann sollte er auch zum Abschuss freigeben werden dürfen." Unsere Region sieht sie auf den Wolf nicht genügend vorbereitet. "Es gehören Notfallsysteme eingerichtet. Wenn die ersten Risse auftauchen, muss dieses System greifen. Aber es fehlt die rechtsverbindliche Grundlage."

Immerhin: In Norddeutschland regelt seit November 2014 die "Richtlinie Wolf" die entsprechende Entschädigung bei Verlusten. Aber nicht nur das: Niedersächsische Nutztierhalter können Fördermittel für Schutzmaßnahmen vor Übergriffen durch Wölfe beantragen. Darunter fallen Elektrozäune und Zubehör, aber auch die Anschaffung besagter Herdenschutzhunde.

Jägerstiftung für Jagdfreigabe

Die "Jägerstiftung Mensch und Natur" favorisiert ganz klar eine Aufweichung der Schutzregeln für den Wolf. Geschäftsführer Marc Henrichmann sagt, die Jäger betrachteten den Wolf durchaus als Bereicherung für die heimische Tierwelt. "Wir sollten allerdings aus meiner Sicht einen Unterschied machen
zwischen ,Freude' über die Rückkehr und ,Akzeptanz'."

Was die jüngsten Sichtungen von Wölfen in der Nähe von Siedlungen angeht, schlägt der Jagd-Obmann kritische Töne an: Wölfe, die offenkundig keine Scheu gegenüber dem Menschen zeigten, erschreckten ihn genauso "wie die Vorstellung, dass mein Kind beim Spielen plötzlich einem Wolf Auge in Auge gegenübersteht". Mittlerweile sagen Kindergärten in Gebieten mit Wolfsichtungen sogar ihre Walderlebnistage ab. Gefährlich werde es, sagt Henrichmann, wenn die Tiere plötzlich ohne Scheu vor dem Menschen umherziehen. "Ich befürchte, dass wir schon bald echte Bedrohungen von Menschen durch Wölfe erleben könnten."

Seine Quintessenz: "Wir müssen langfristig Kompromisse finden - angesichts begründeter Ängste in der Bevölkerung, konkreter wirtschaftlicher Sorgen bei Schäfern und Landwirten sowie übertriebener Begeisterung sogenannter Naturschutzorganisationen. Und das bedeutet auch: In bestimmten Fällen muss es eine Regulierung des Wolfes geben. Und dazu gehört der Wolf in das Jagdrecht."

Keine Gefahr, keine Konkurrenz

"Solange es keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, sehen wir keine Veranlassung für uns, tätig zu werden", sagt Heinrich Rauh, Sachgebietsleiter Jagdrecht im Landratsamt. Rauh verweist auf das Landesamt für Umweltschutz und dort auf die Experten für "Wildtiermanagement große Beutegreifer" (dazu zählen neben dem Wolf auch Bär und Luchs). Das Amt selber sieht, so steht es im Managementplan für den Wolf, keine Gefahr für den Menschen. "Der Wolf ist von Natur aus vorsichtig und weicht dem Menschen aus. Seit der erneuten Anwesenheit von Wölfen in Deutschland hat es keinen Angriff gegeben." Was die Konkurrenz zwischen Wolf und dem Jäger Mensch angeht, so stellt das Landesamt klar: "Wölfe erbeuten bevorzugt Tiere, die für menschliche Jäger weniger attraktiv sind: junge, sehr alte sowie geschwächte Tiere."

Wolfgang Dötsch vom Bund Naturschutz Nürnberg würde sich, was die natürliche Auslese angeht, darüber freuen, wenn der Wolf als Gegenspieler des Rotwilds in die Wälder zurückkehrte. Der Riss von Haus- und Nutztieren wie Schafen mache nicht einmal ein halbes Prozent der Wolfsnahrung aus; er ernähre sich vor allem von Rehen, Wildschweinen, Hirschen und Feldhasen. Ein Fuchs stelle für Nutztiere eine bedeutend größere Bedrohung dar.

So sind die Beutegreifer wie Wolf, Bär und Luchs geschützt