Sie haben Fitness-Kurse belegt und Zuschüsse von der AOK bekommen. Zu Unrecht? Darum geht es in einem Verfahren vor dem Bayreuther Amtsgericht.
Abrechnungsbetrug: ein schwerer Vorwurf. Er klingt nach willentlich geschönten Bilanzen, "vergessenen" Buchungsbelegen. Aber kann man die eigene Krankenkasse betrügen, wenn man einen geförderten Kurs oder die Rückenschule im Fitness-Studio bucht und sich dann die versprochene Bezuschussung der Vorbeugemaßnahme von der Versicherung gutschreiben lässt? Offenbar ja, wie eine aktuelle Verhandlung mit Kulmbacher Beteiligung vor dem Bayreuther Amtsgericht zeigt. Ein Fall voller Fallstricke, Missverständnisse und offener Fragen.
Von der Yoga-Matte auf die harte Anklagebank führte der Weg für eine Seniorin und ihren Lebensgefährten. Beide über 70, beide seit Jahren Kunden in einem Kulmbacher Fitness-Studio - und AOK-Versicherte. Die Versicherung fordert gerade betagtere Menschen dazu auf, sich beweglich zu halten, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen. Die (selbst ernannte) Gesundheitskasse hat ausgelobt, pro absolvierter Gesundheitsprävention 75 Euro Zuschuss zu zahlen.
Die Erstattung ist an mehrere Vorgaben geknüpft: Von einem Kurs müssen mindestens 80 Prozent der angebotenen Stunden absolviert worden sein. Dies muss vom Studio respektive dem Kursleiter bestätigt werden. Der Kurs muss zudem nachweislich einen festgelegten Start- und Schlusstermin haben.
Richter meldet Zweifel an
Punkte, an deren korrekter Einhaltung Amtsrichter Torsten Meyer nach der Befragung der Angeklagten sowie von Zeugen ernstlich Zweifel anmeldete. In der gestrigen Verhandlung hatte der Richter auch zwei der Kursleiter befragt - und zum Thema Nachweis-Praxis erstaunliche Antworten erhalten.
Ein als Zeuge geladener Yoga-Lehrer etwa bekundete, er habe niemals die Teilnehmerlisten gesehen, die aber wiederum als Beleg für die Krankenkasse dienen, um die Regelmäßigkeit der Kursbesucher der Versicherten zu dokumentieren. Die Zahl der Teilnehmer einer Gruppe habe zwischen acht und fünfzehn Personen gelegen, sagte der Mann. Als ihm Richter Meyer eine Liste vorhielt, auf der 49 Namen geführt wurden, entgegnete der Yogi: "Mit Verwaltung und Abrechnung habe ich nichts zu tun. Ich habe auch nie Bestätigungen über Kursbesuche ausgestellt."
Auf welcher Grundlage aber wurden dann die Bescheinigungen erstellt, mit denen wiederum die Versicherten zur AOK gingen? Darüber müsste eigentlich der Betreiber des Fitness-Studios dezidiert Auskunft geben können. Der 55-Jährige konnte aber auf manche konkrete Nachfrage von Richter und Staatsanwalt wenig zur Klärung des Sachverhalts beisteuern. Auf die berechtigte Frage etwa, wer die Listen für die einzelnen Kurse ausgefüllt hat, sagte der Zeuge: "Gute Frage. Das machen normalerweise die Thekenkräfte." Davon gibt es angeblich 15 im besagten Studio. Gegenkontrolle? Offenbar Fehlanzeige.
Aussage verweigert
Auch Rechtsanwalt Alexander Schmidtgall drang mit seinen Fragen nur selten durch beim Zeugen. Der Grund: Auch gegen den Studiobetreiber wird in dieser Angelegenheit ermittelt, er hätte sich also mit einer umfassenden Aussage vielleicht selber belastet. Zu klären ist, ob der Kulmbacher die AOK-Zuschüsse mit den Mitgliedsbeiträgen fürs Studio verrechnet hat. Auch das wäre ein Gesetzesverstoß. Der Versicherung war die undurchsichtige Abrechnungspraxis bereits im Jahr 2013 aufgefallen; damals hatte es eine Hausdurchsuchung beim Inhaber gegeben, dabei wurden Unterlagen konfisziert.
Das Studio ist zwar Kooperationspartner der AOK - was aber nicht dazu führen darf, so Richter Meyer, sich dadurch einen geldwerten Vorteil zu verschaffen. Der Inhaber verneinte das. "Es gibt andere Kassen, die zahlen pauschal 150 Euro für ihre Versicherten und keiner fragt nach. Da gibt's diverse Formalitäten, die man nicht immer so auseinanderhalten kann."
Auf das Angebot des Richters, bei den beiden angeklagten Senioren jeweils einen Fall von ungerechtfertigter Bezuschussung als Betrug zu werten, mit einer Geldstrafe von 600 Euro zu ahnden und das Verfahren einzustellen, ging Anwalt Schmidtgall nicht ein. "Beide gingen nie davon aus, etwas Unrechtmäßiges zu tun. So aber stünden sie als geständige Betrüger da."
Fortsetzung im Januar
Daher wird am 4. Januar weiter verhandelt. Dann sollen unter anderem Mitglieder des Studio-Personals sowie ein AOK-Sachbearbeiter vernommen werden. Die beiden Angeklagten stehen übrigens stellvertretend für viele weitere Kursgänger, die sich auf ähnliche Weise schuldig gemacht haben könnten. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren erstreckt sich laut Justizangaben auf 310 Personen. Mehr als 800 Teilnahmebescheinigungen seien demnach zumindest zweifelhaft zustande gekommen.
Hier scheinen die Richtigen wegen Betrug zu klagen ....
In Deutschland zockt jeder jeden ab. Das ist die Wahrheit
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Die gesetzlichen Krankenkassen geben pro Jahr etwas über eine Milliarde Euro aus, um ihre Patienten so krank wie möglich erscheinen zu lassen. Das hat eine Berechnung einer gesetzlichen Kasse für die „Welt am Sonntag“ ergeben. Demnach zahlen viele Kassen unter anderem Prämien an Ärzte, damit diese den jeweiligen Versicherten möglichst viele Diagnosen für Volkskrankheiten wie Diabetes, Osteoporose oder Adipositas bescheinigen. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf hochgerechnet 842 Millionen Euro jedes Jahr.
Quelle:
https://www.welt.de/wirtschaft/article158216146/Krankenkassen-machen-Patienten-kuenstlich-krank.html