Drei Flüchtlingsfamilien in Ludwigsstadt schildern, was sie an Deutschland überrascht hat und was sie hier nicht verstehen können.
Egal, wie ihr Leben weitergehen wird. Eines werden Sara Abdulrahim Manla (25) und Samer Alwaki (34) immer mit Kronach verbinden. Vor sieben Monaten kam in der Frankenwaldklinik Tochter Sally zur Welt.
Als Samer 2015 in die Armee eingezogen werden sollte, entschlossen sich die Syrer, ihre Heimatstadt Aleppo zu verlassen. Der studierte Marktwirtschaftler und die Studentin für arabische Literatur ließen Geschäft, eigene Wohnung und Auto zurück. Fünf Monate blieben sie in Mersin (Südtürkei). Samer fand keine Arbeit, jeden Monat schrumpften die Ersparnisse. Deshalb entschieden sie sich, nach Deutschland zu gehen, als sie hörten, dass der Weg offen sei.
7000 Dollar zahlten sie einem Schlepper. Zunächst landeten sie in der Schweiz, eine Organisation half ihnen nach Deutschland. Einen Tag verbrachten sie in Deggendorf, danach einen Monat in Schweinfurt. Im November kamen sie
Ludwigsstadt, wo sie zunächst zusammen mit einem Onkel und dessen Frau eine 2,5-Zimmerwohnung in der Bahnhofstraße bezogen. Nach einem Monat erhielten sie den Aufenthaltstitel für drei Jahre.
"Der erste Eindruck war eine Katastrophe, nirgends waren Leute unterwegs", erinnert sich Samer. Im Gegensatz zu Aleppo, wo 2011 noch über zwei Millionen Menschen lebten, war Ludwigsstadt für sie zunächst "wie eine Geisterstadt". Zunächst fühlten sie sich allein, konnten die Sprache nicht, hatten kaum mehr Geld und wussten vor allem nicht, wo man einkaufen kann. Dann nahm Karin Weber, Flüchtlingsbeauftragte der Stadt, Kontakt auf - und das Ankommen begann.
Wenn auch langsam, zumindest bei Sara. "In arabischen Ländern trifft man sich viel öfter mit der Familie und den Nachbarn. Hier haben alle viel zu tun." Mittlerweile haben sie sich aber eingelebt. "Es war die richtige Entscheidung. Mein Bruder blieb in Mersin und fand einfach keine Arbeit", sagt Samer.
Das Paar ist sicher ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Er arbeitet bei Heinz Glas in Kleintettau, sind in eine 50-Quadratmeter-Wohnung umgezogen und haben sogar ein Auto gekauft. "Wir haben Freunde und Bekannte", sagt Sara, die in Gedanken aber immer auch in Aleppo ist. Dort zurück blieb ihre kranke Mutter. Für sie wäre die Reise zu anstrengend gewesen.
Deutschland kannten sie vor ihrer Flucht kaum. Sie hatten das Vorurteil, dass die Deutschen nie lachen würden und etwas gegen Ausländer hätten. "Das stimmt aber nicht. Viele sind freundlich, niemand war zu uns aggressiv", schildert Samer, der wie seine Frau schon gut Deutsch spricht. Auch mit den Behörden machten sie gute Erfahrungen. "In Syrien mussten wir immer Schmiergeld zahlen, hier läuft alles respektvoll ab."
Ein Bäcker versteht die Welt nicht mehr
Abduluhab Albadri ist hin- und hergerissen. Der 59-jährige Iraker erlebe in Deutschland eine "Liebe, die unermesslich ist." Überall habe man ihn, seine Frau Mona (52), seine drei Söhne (17/24/28) und die 15-jährige Tochter willkommen geheißen. Nur die Gesetze sprechen eine andere Sprache. "Alles ist positiv, bloß arbeiten darf ich nicht." Der Hintergrund: Wie viele Iraker besitzt die Familie keine offizielle Anerkennung, ist nur geduldet. Das bedeutet: Sie erhalten in der Regel kein Kindergeld, keine Aufenthaltserlaubnis und keine Zuschüsse - und können nicht arbeiten.
Bereits 2006 verließ die Familie aus religiösen Gründen die irakische Hauptstadt Bagdad. Sie sind Angehörige der sunnitischen Ausprägung des Islams, die Mehrheit dort sind Schiiten. Die beiden Gruppen bekämpfen sich immer wieder heftig. Bis 2011 lebten die Albadris in Syrien. Als dort der Krieg ausbrach, gingen sie zurück nach Bagdad, wo man drohte, sie umzubringen.
Über die Türkei kamen sie 2015 nach Deutschland. Im Landkreis angekommen, lebten sie einen Monat in Mitwitz, dann zwei Jahre in Lauenstein. Seit drei Monaten wohnen sie in Ludwigsstadt.Zwei der Söhne erhielten zumindest eine vorübergehende Arbeitserlaubnis und arbeiten befristet bei Heinz Glas. Abduluhab arbeitete in Bagdad in einer Bäckerei und würde gerne in einer Küche helfen. "Das ist aber nicht so einfach. Ein Arbeitgeber muss bei Geduldeten einiges bestätigen", sagt Mohammad Abu-Ta`a. Der Palästinenser lebt seit 1967 in Deutschland und ist von der Stadt Ludwigsstadt als Ansprechpartner für die Flüchtlinge angestellt. Beim irakischen Ehepaar muss er im Gegensatz zu den anderen Gesprächspartnern fast alles übersetzen.
"Ich möchte arbeiten", beteuert Abduluhab immer wieder. Dann könnten auch die erwachsenen Söhne, die momentan für ihre Eltern mitsorgen, ausziehen. Denn sie sind gut integriert und sprechen auch gut Deutsch. Abduluhab betont, dass er nicht freiwillig Bagdad verlassen habe. "Warum soll ich meine Nachbarschaft und meine Freunde aufgeben, wenn alles in Ordnung ist?" Das Ziel des Ehepaars lautet: "Hier bleiben, hier sterben, und bis dahin ein Leben ohne Angst und in Frieden genießen."
Aus der Kurdenstadt in den Frankenwald
akri Hasan (50) arbeitete in Kobane in Nordsyrien als Lkw- und Baumaschinenfahrer. Als 2014 die Schlacht um die Kurdenstadt tobte, floh er mit seiner Frau und den sechs Kindern in den Libanon. 1,5 Jahre später ging es mit dem Flugzeug in die Türkei, um von dort nach Deutschland weiterzuziehen. Über Passau, München und Schweinfurt kamen sie nach Ludwigsstadt.
Was hier anders ist? "Nicht viel, außer dass es kälter ist", sagt Sohn Lazkeen Hasan. Auch die kulturellen Unterschiede sind für ihn keine große Umstellung. "In Syrien gab es auch Christen. Wir sind es also gewohnt, dass die Religionen unterschiedlich sind." Der 21-Jährige spricht fast fließend Deutsch und macht eine Ausbildung.
Aziz Hasan (31) ist mit Lazkeens Schwester verheiratet. Im Frankenwald fühlen sie sich wohl. Vor allem sind sie von der Hilfsbereitschaft überwältigt. "Die Menschen sind sehr gut zu uns", sagt Lazkeen. Ihre Zukunft sehen die drei Männer in Deutschland. Lazkeen will weiter lernen, nach der Ausbildung studieren - eventuell Architektur oder Mechanik-Ingenieur.
Gute Arbeit finden
Für Aziz, der in Kobane englische Übersetzung studierte, steht als Nächstes seine Sprachprüfung im Deutschen an. Danach will er eine gute Arbeit finden; seine Frau ist gerade zum zweiten Mal schwanger. Später will er vielleicht mit seinem Englisch-Studium weitermachen. Der schwierigste Fall der Familie ist Vater Bakri. Denn einen separaten Führerschein für Schaufelradbagger, den er in Deutschland bräuchte, hat er nicht. "Aber ich würde jede Arbeit machen. Wenn ich nur daheim sitze, werde ich sauer."
Aufruf an Arbeitgeber
Wenn ein Arbeitgeber einen Job für Bakri, Abdul oder zwei weitere jüngere Iraker hat, die derzeit - wie Übersetzer Abu-Ta`a ausführt - in einem Schrotthaus in Ebersdorf leben, aber kräftig anpacken können, der kann sich beim Ludwigsstadter Helferkreis oder bei unserer Redaktion (redaktion.kronach@infranken.de) melden.