Mareike ist Mitte 20, aus einem kleinen Frankenwalddorf - und vor knapp zwei Jahren zum Islam konvertiert. Die einstige Katholikin hat sich aus freien Stücken für diesen Glauben entschieden, mit allem was dazu gehört - bis auf eines.
Die Gummibärchen liegen schon seit einigen Tagen auf Mareikes (Name von der Redaktion geändert) Schreibtisch. Bekommen hat sie sie von einem ihrer neuen Arbeitskollegen. Warum sie sie nicht isst? Weil Gelantine drin ist. Doch Mareike ist keine Vegetarierin, auch keine Veganerin. Mareike ist Muslimin. Seit November 2012.
Auf den ersten Blick sieht man ihr das nicht an. Statt Kopftuch trägt sie blond gefärbtes Haar, statt Schleier Jeans und Shirt. Mareike wirkt wie jede andere junge Frau mit Mitte 20 auch. Sie kommt aus einem katholisch geprägten Ort im Landkreis.
Über ihren damaligen Freund, der Moslem ist, kam sie zu diesem Glauben. "Nein, er hat mich nicht dazu gedrängt", sagt Mareike und lacht. Ihre Mutter habe das zunächst gedacht. Mareike erzählt ihrer Mutter erst nachdem sie konvertiert ist davon - und das obwohl die beiden ein gutes Verhältnis haben. "Sie hatte schon ein Problem damit. Da hat es öfters mal gekracht", erinnert sich Mareike an damals. Heute haben sich die Wogen geglättet. Ihre Mutter - streng katholisch - akzeptiert die Glaubensrichtung ihrer Tochter. "Das Argument ,Wenigstens glaube ich überhaupt‘ hat gezogen", sagt Mareike mit einem verschmitzten Grinsen. Überhaupt ist Mareike ein lebenslustiger Mensch, hat gerne mal einen flotten Spruch auf den Lippen - ein richtiger Kumpeltyp eben. Sie und Muslimin - ja, da staunen einige.
Sie habe sich einfach für den Glauben ihres damaligen Freundes interessiert. Oder wie Mareike es sagt: "Ich hab' ihn gefragt: ,Und woran glaubt ihr da eigentlich so?‘" Vieles empfindet sie als schlüssig, zum Beispiel, dass man nur an einen Gott glaubt, nicht an die Dreifaltigkeit. Also liest Mareike Bücher über den Islam und merkt, dass für sie dieser Glaube "viel mehr Sinn macht", besser zu ihr passt. "Wenn man hört, dass es da etwas gibt, bei dem genau an das geglaubt wird, was man selbst schon die ganze Zeit angenommen hat - das ist faszinierend", beschreibt Mareike.
Im Urlaub - gut ein halbes Jahr, nachdem sie sich zum ersten Mal mit ihrem Freund über dessen Glauben unterhalten hat - hat sie eine Art Schlüsselerlebnis: Ihr Freund, der durch ihr Interesse erst wieder richtig seinen Glauben lebt, besucht eine Moschee. Mareike wartet draußen auf ihn, bis sie beschließt, sie könnte sich die Moschee ja auch mal von innen anschauen. "Ich war so ergriffen. Ich weiß nicht warum, aber ich musste weinen", beschreibt sie.
Da steht für sie fest, dass sie konvertieren wird. Sie sucht sich eine Moschee in der Nähe ihres damaligen Wohnortes. "Wo ist denn hier der Imam? Ich will konvertieren", sagt sie dort zu zwei Frauen, die ihr am Eingang entgegenkommen. Mit einer der beiden ist sie heute eng befreundet. Überhaupt hat Mareike mittlerweile einen muslimischen Freundeskreis.
Beten in der Umkleidekabine Auch wenn man es rein äußerlich nicht vermuten würde, dass sie überhaupt Muslimin ist, Mareike steht fest hinter dem Glauben, hält sich an die Regeln. Daran, dass fünfmal täglich gebetet wird, zum Beispiel. Wenn es sein muss, verschwindet sie dazu in ihrer Mittagspause schon mal in eine Umkleidekabine - sonst würde es wohl schwer, das Beten in den Arbeitsalltag zu integrieren, insbesondere in einem Großraumbüro. Auch hinter den Vorgaben, keinen Alkohol zu trinken, kein Schweinefleisch zu essen, keinen Sex und keine Beziehung vor der Ehe zu haben, steht sie.
Mittlerweile sickert es auch so langsam in ihrem kleinen Heimatort durch, dass Mareike Muslimin ist. "Sag mal, dei Maala ist aus der Kirche ausgetreten, warum?", werde ihre Mutter immer mal wieder angesprochen. Ein Problem darauf zu antworten, hat sie nicht mehr, sie hängt es aber auch nicht an die große Glocke. Genau wie Mareike. "Wenn ich weggehe und mir jemand ein Bier anbietet, dann erzähl' ich dem jetzt nicht gleich meine ganze Geschichte. Das bringt ja auch nichts, wenn der- oder diejenige schon leicht angedüdelt ist." Dann greift sie schon mal zur Notlüge, behauptet, sie sei gefahren. Wenn sie jemand fragt, warum sie kein Fleisch ist, ist sie Vegetarierin. "Bin ich ja auch, irgendwie."
Kopftuch führt zu Zwiespalt So vermeidet sie komische Situationen. Die Angst vor solchen ist es auch, warum Mareike noch über der Frage grübelt, ob sie denn Kopftuch tragen soll oder nicht. "Dann sieht man es mir gleich an. Dann wird im ganzen Dorf getratscht", hat sie noch Hemmungen. Doch nicht nur wegen dem, was die Leute über sie denken. Sondern vielmehr auch deshalb, weil sie anders aufgewachsen ist als viele andere Musliminnen. "Die Frauen sind quasi die Perlen des Islams. Sie verhüllen ihre Schönheit, um sich zu schützen, um nicht von Männern belästigt zu werden. Aber ich fühle mich nicht belästigt", beschreibt Mareike den Zwiespalt, in dem sie steckt.
Sie kennt die Vorurteile, die viele Muslimen gegenüber haben, dass viele sie pauschal für Terroristen halten. "Man muss unterscheiden zwischen Extremisten und Muslimen, genau wie zwischen Tradition und Religion", sagt Mareike dazu. Die Religion habe sie nur friedlich kennen gelernt.
Extremismus heißt sie in keiner Weise gut. Vieles werde immer mit der Religion begründet, dabei habe es damit nichts zu tun, sondern vielmehr mit Tradition, geht sie auf Ehrenmorde oder Zwangsheirat ein. Traurig findet sie, dass Terroristen mit ihren Anschlägen so viel Schaden anrichten - auch was die restlichen 1,5 Milliarden Muslime weltweit angeht. Immerhin sehen diese sich dann immer dem Vorurteil, auch Terroristen zu sein, ausgesetzt.
Die Beziehung zu ihrem Freund ist zerbrochen - ausgerechnet am Glauben. Heute sagt sie selbst, sie wolle nicht, dass ein Mann wegen ihr zum Islam konvertiert. Mit einem Andersgläubigen eine Beziehung einzugehen, kann sie sich aber auch nicht vorstellen. "Ich vertraue einfach darauf, dass Gott mir gibt, was das Beste für mich ist", sagt Mareike und grinst.
Die Gummibärchen liegen immer noch vor ihr auf dem Tisch. Der Glaube ist eben stärker als die Versuchung.
Das Thema ist viel zu ernst, um einen Kommentar abzugeben.