Die Weihnachtszeit gilt auch als die Zeit der Nächstenliebe. Letztere geht über religiöse Unterschiede hinaus. Das konnte man an einem Adventstag in der Küche der Familie Ringlstetter in Rothenkirchen beobachten.
An diesem Adventsnachmittag ist die Küche der Ringlstetters Abenteuerspielplatz und Weihnachtsbäckerei gleichermaßen. Die zwei jüngsten Gäste entdecken Lesebrillen, setzen sie auf und tapsen grinsend durch die Wohnung. Die zwei älteren Mädchen sitzen mit Teenagerin Aliyah (Name geändert) am Küchentisch und bereiten die Lebkuchen vor: Sie häufen Teigkugeln auf Oblaten, richten sie auf dem Backblech an und verzieren die ofenfrischen Plätzchen mit Schokoglasur.
Weihnachtsgebäck? Etwas völlig Neues! Es braucht ein paar Minuten, bis sich Aliyah und ihre Geschwister an die Zutaten trauen. Weihnachtsgebäck, das ist neu für sie. Weihnachten überhaupt. Sie kennen das islamische Opferfest, und das Fastenbrechen nach dem Ramadan. Aliyah lächelt, als sie die arabischen Namen dieser Feste ausspricht.
Es sind für sie die höchsten im Jahr. Die Geburt Jesu feiern die muslimischen Familien in ihrer syrischen Heimat nicht. Dass die junge Frau ein Kopftuch in der Farbe der Weihnacht trägt, ist Zufall.
"Aber es geht uns hierbei auch nicht um Religion. Es geht darum, gemeinsam etwas zu unternehmen", sagt Ursula Ringl stetter. Dass gerade Weihnachtszeit sei, sei eher Zufall. Ein Lächeln umspielt ihre Lippen, wenn sie sieht, wie sich die Gäste, die als Fremde nach Deutschland gekommen sind, in ihrer Gesellschaft öffnen.
Seit Oktober leben die fünf Kinder mit ihrer Familie als Kontingentflüchtlinge in dem ausgedienten Altenheim des Arbeiter-Samariter-Bunds in Rothenkirchen. Aus der umkämpften syrischen Heimat mussten sie fliehen (der
FT berichtete am 27.
Oktober). Dass ihnen Asyl gewährt wurde und sie im Kreis Kronach eine Bleibe gefunden haben, hat sie vielleicht vor Schlimmem bewahrt; sie leben und sind gesund. Kulturellen Anschluss hätten sie ohne Menschen wie Ursula Ringlstetter und einen Freiwilligenkreis, der sich in Rothenkirchen gebildet hat, wohl aber nur wenig.
Ein Wörterbuch hilft Zu diesem Kreis zählt auch Mirja Treuner. Die junge Frau gibt der Flüchtlingsfamilie in dem ausgedienten Altenheim zwei Mal die Woche Deutschunterricht. Für den Fall, dass an diesem Nachmittag beim Plätzchenbacken Kommunikationsprobleme auftauchen, hat sie ein Wörterbuch Deutsch-Arabisch neben sich liegen. Weil Aliyah und ihre Geschwister mittlerweile recht gut Deutsch sprechen, braucht sie das Buch selten. "Mit dem Sprachunterricht helfe ich nicht nur der Familie.
Ich lerne automatisch auch selbst etwas Arabisch", sagt Mirja Treuner, während sie einen Lebkuchen mit Schokolade bestreicht.
Ringlstetter, Treuner und die Hand voll anderer Rothenkirchener, die den syrischen Flüchtlingen in der neuen Heimat unter die Arme greifen, tun das ausschließlich ehrenamtlich. Aus Nächstenliebe. Religiöse Unterschiede spielten da eine untergeordnete Rolle, findet Treuner.
Auch in Kronach gibt es Menschen, die in der Weihnachtszeit den Gedanken des Teilens zelebrieren. Vor der Gemeinschaftsunterkunft trifft unser Reporter eine Bürgerin, die mit silbern verpackten Geschenken durch den Eingang tritt. Sie besucht eine äthiopische Familie, die in dem Haus wohnt.
Öffentlich machen will die Frau ihr Engagement aber nicht.
Die wenigsten der 38 Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft sind Christen und kennen Weihnachten aus der Heimat, weiß Hausverwalter Harry Dittrich (59). Im letzten Jahr wohnte noch eine Familie im Haus, die ihn bat, einen Christbaum zu organisieren. In diesem Jahr war es dahingehend ruhig, sagt er. Auch in den Gängen und an den Fenstern ist von Schmuck meist nichts zu sehen. Nur in einem Fenster im Erdgeschoss schmücken zwei kleine Sterne eine Scheibe.
Den Bedarf abklären Doch Weihnachten hin oder her - mittlerweile bekommen die Flüchtlinge der Unterkunft oft Gaben von anonymen Spendern. Manchmal sogar kofferraumweise. Die Sachen werden nahe der Häuser ausgeladen und zurückgelassen. "Das ist nett gemeint, aber der falsche Ansatz", meint Dittrich.
Denn viele der Kleider, Möbel und Gebrauchsgegenstände blieben liegen, weil die Asylbewerber sie nicht benötigen. "Wer spenden will, sollte davor fragen, was gebraucht wird", meint Dittrich.
Damit will er niemanden am Geben hindern. Denn es fehlt an vielen Dingen: mal an Geschirr, mal an Pfannen, dann an Rasierern oder Fernsehern. Von Luxusgegenständen ganz zu schweigen.
Kontaktdaten Die Weihnachtszeit mag für viele ein Anreiz sein, mit den gestrandeten, geduldeten Menschen im Landkreis zu teilen. Hausverwalter Harry Dittrich hat sich als Koordinator angeboten. Wer geben will, kann ihn anrufen und fragen, was im Haus benötigt wird (erreichbar unter unter Ruf: 09261/3086676 oder 09221/4079713). Oder selbst den Kontakt zu Asylbewerbern in der Gemeinschaftsunterkunft oder der Nachbarschaft suchen. Weil Weihnachten ist oder einfach nur so.