In jeder Minute wird ein Mensch in Deutschland Opfer eines sexualisierten Übergriffes. Der Weiße Ring thematisiert das am "Tag der Kriminalitätsopfer".
Die Kriminalitätsstatistik der Polizei hält allein für das Jahr 2018 knapp 64 000 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung fest. Aber das sind nur die Fälle, die von der Polizei erfasst wurden. Die Dunkelziffer liegt sehr viel höher. Nicht einmal jede 15. Tat wird bei der Polizei angezeigt. Das belegen kriminologische Studien. Der Weiße Ring, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität, geht deshalb von bis zu einer Million Taten pro Jahr aus.
Nicht alle acht Minuten, sondern vermutlich in jeder einzelnen Minute des Tages wird demnach ein Mensch Opfer von sexualisierter Gewalt. Doch viel zu oft schweigen die Betroffenen über das Erlebte - aus Angst, Unwissenheit, Scham oder falsch verstandener Loyalität, weil die meisten Taten in den eigenen vier Wänden geschehen.
Ein Tabuthema
"Sexualisierte Gewalt ist extrem schambehaftet und wird noch immer gesellschaftlich tabuisiert", sagt Inge Schaller, Außenstellenleiterin der Außenstelle Kronach des Weißen Rings. "Viele Betroffene bringen nicht die Kraft auf, den sexuellen Übergriff zu thematisieren - vor allem, wenn er in den eigenen vier Wänden geschieht. Opfer sollten sich jedoch nie selbst die Schuld für das Verhalten des Täters geben."
Mit dem 29. "Tag der Kriminalitätsopfer" am 22. März will der Weiße Ring das Schweigen brechen: Aktionen in ganz Deutschland sollen die Öffentlichkeit für das Thema "Sexualisierte Gewalt" sensibilisieren und Betroffenen Mut machen, sich Hilfe zu holen.
Sexualisierte Gewalt: Das sind alle Formen von sexuellen Handlungen, die einer Person aufgedrängt oder aufgezwungen werden. Dazu gehören sexuelle Nötigung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch. Sexualisierte Gewalt ist oft Ausdruck eines emotionalen und wirtschaftlichen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter und Opfer. Vor allem Frauen sind solcher Gewalt ausgesetzt, in der Öffentlichkeit, im Beruf und zu Hause.
Partnerschaftsgewalt und häusliche Gewalt kann sich bis zum Mord und Totschlag steigern: 123 Frauen wurden laut der Kriminalitätsstatistik 2018 von ihren Partnern umgebracht, mehr als jedes dritte Tötungsopfer. Die Opfer kommen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten, aus allen Altersgruppen, Nationalitäten, Religionen und Kulturen.
Gewalt an Mädchen und Jungen
Sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen findet täglich und überall, häufig auch innerhalb der eigenen Familien statt. Schätzungen zufolge erfährt jedes fünfte Mädchen und jeder neunte Junge vor dem 18. Geburtstag (mindestens) einmal sexuelle Gewalt, die der Gesetzgeber als Straftat einstuft, also Nötigung, Missbrauch, Exhibitionismus oder Vergewaltigung. Nicht selten beeinflusst das Erleiden sexualisierter Gewalt den gesamten weiteren Lebenslauf. Sexuelle Handlungen an oder mit Kindern sind grundsätzlich strafbar.