Die Themen Unterbringung und Integration von Migranten sind in Ludwigsstadt präsenter denn je. Ehrenamtliche Helfer sind extrem gefordert.
"Die Ruhe nach der großen Welle" schrieben wir am 16. Februar 2018. Der Artikel beschrieb, dass das große Flüchtlingschaos im Landkreis Kronach vorbei ist beziehungsweise ausblieb. Einen eklatanten Anstieg der Kriminalität gab es nach Auskunft der Kronacher Polizei nicht. Außerdem gelang es den Behörden vergleichsweise schnell, die Menschen aus den Notaufnahmeeinrichtungen wie der Turnhalle des Schul- und Sportzentrums in dezentrale Unterkünfte zu verteilen. Und die Belegungszahlen dort sanken mittlerweile so deutlich, dass manche Einrichtungen schließen konnten. Entweder, weil die Menschen abgeschoben wurden, wegzogen oder weil sie nach ihrer Anerkennung auf dem freien Wohnungsmarkt fündig wurden.
Herausforderung Integration
"Von Ruhe ist deshalb aber bei uns keine Spur", sagt jedoch Ludwigsstadts Bürgermeister Timo Ehrhardt (SPD), der einen Aspekt betont, der im Artikel nicht zur Sprache kam. "Wenn die Menschen auf dem freien Wohnungsmarkt fündig geworden sind, geht die Herausforderung Integration ja erst richtig los." Gerade für Kommunen wie Ludwigsstadt, die sich überdurchschnittlich in der Flüchtlingshilfe engagiert.
"Es spricht sich natürlich herum, dass bei uns viel getan wird. Das ist ein Schneeballsystem", begründet Timo Ehrhardt, warum es verhältnismäßig viele anerkannte oder geduldete Flüchtlinge nach Ludwigsstadt zieht. Insgesamt leben, so die Auskunft der Kommune (Stand: 28. Februar 2018), aktuell 101 Personen im knapp 3500 Einwohner zählenden Stadtgebiet, die im Zuge der unter dem Stichwort "Flüchtlingskrise" bekannten Ereignisse nach Deutschland kamen. Auffallend: Während 2016 die Zahl derer, die Ludwigsstadt wieder verließen, noch überwog, zeigen die Jahre 2017 und 2018, als die Grenzen längst wieder dicht waren, einen anderen Trend. 62 hinzukommende Menschen stehen 19 verlassenden gegenüber. Ehrhardt: "Da musst du auch schauen, dass du deine ehrenamtlichen Helfer zusammen hältst."
Überzeugte Helferin vor kräftezehrender Aufgabe
Beispielhaft für diese Aussage ist Karin Weber, die in diesem Text symbolisch steht für einige extrem engagierte Helfer in Ludwigs
stadt. Als wir die Flüchtlingsbeauftragte der Stadt besuchen, ist im Rathaus gerade die Hölle los. Jeden zweiten Mittwoch findet dort das "Café International" statt, bei dem es Angebote für Flüchtlinge gibt und sie mit den ehrenamtlichen Helfern ins Gespräch kommen können. Es herrscht ein herzlicher Umgang, Kinder springen wild durcheinander, es gibt afghanische Suppe, deren intensiver Duft die Räume durchzieht. Und mittendrin Karin Weber, für die es an diesem Nachmittag kaum eine Minute der Ruhe gibt.
Deshalb haben wir schon einige Tage vorher Kontakt zur 67-Jährigen aufgenommen, die immer noch absolut überzeugt von ihrer Tätigkeit ist. "Mir geht es gut und ich möchte, dass es anderen auch gut geht. Deshalb setze ich mich - von Anfang an bis heute - ein, diesen Menschen zu helfen, wo es nötig ist - egal, welcher Religion sie angehören." Gleichwohl kennt Weber nach gut zweijähriger ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit auch die negativen Seiten. "Flüchtlingshilfe besteht nicht aus Mensch-ärgere-dich-Nicht-Spielen mit den Kindern. Man kommt zu nichts."
Wie viele zusätzliche Gänge und Fahrten Weber bereits mal schnell erledigt hat, kann sie nicht mehr zählen. "Oft habe ich jemanden zum Arzt gefahren oder irgendwo abgeholt, weil ich dachte, es sei extrem dringend, was es dann aber gar nicht war." Manchmal habe sie, die oft einfach nicht Nein sagen könne, sich auch ausgenutzt gefühlt. "Ich habe gedacht, es wird ruhiger, aber es wird nicht ruhiger", sagt Weber.
Die Problematik sei vielschichtig, aber eines sei unbestritten. "Viel zu wenige leisten viel zu viel", sagt Weber. Dennoch stimmt sie Kanzlerin Merkel bei ihrem "Wir schaffen das" zu. Weber fügt aber an: "Es bedarf auch einer besseren Hilfe von Ämtern." Und dann ergänzt die Flüchtlingsbeauftragte: "Wir in Ludwigsstadt haben damals den Ansturm aus der DDR geschafft. Und wir können schon auch jetzt sagen, dass wir es schaffen den geflüchteten Menschen hier zu helfen."
Ehrenamtliche besser zu unterstützen
Dass die Ehrenamtlichen trotz aller Belastungen ihre Überzeugung nicht verlieren, ist das Ziel von Bürgermeister Timo Ehrhardt (SPD), der die Flüchtlingsarbeit in seiner Stadt deshalb professionalisiert hat. So gibt es zum Beispiel einen "Runden Tisch Asyl". An ihm sitzen neben Ehrhardt unter anderem Flüchtlingsbeauftragte Karin Weber, Peter Kratkai, der Vorsitzende des Diakonievereins, Sascha Fritzsche, Jugendreferent der evangelischen Kirche, und Claudia Ringhoff, Leiterin des Modellprojekts "Aktive Bürgerschaft". Neben der Aufgabe, sich besser um die Vereinsstruktur im Ort zu kümmern, hat das Projekt den Anspruch "Kompetenzzentrum Migration" zu sein. Die Teilnahme-Urkunde wurde im Dezember 2017 verliehen. Finanziert wird das Projekt vom bayerischen Sozialministerium, Träger ist der Caritasverband des Landkreises Kronach.
Leiterin Claudia Ringhoff beschreibt ihre Tätigkeit so: "Ich bin das Medium zwischen Flüchtlingen und ehrenamtlichen Helfern und will Strukturen schaffen." Ihr Ziel: die Integration von Flüchtlingen in Ludwigsstadt zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu machen. Dabei helfen sollen Netzwerke an Schulen, Kindergärten und in Vereinen. Auf die Frage, was in der Stadt in Sachen Migration schon sehr gut laufe, antwortet sie: "Bürgermeister Ehrhardt hat eine klare Position und möchte die Integration von Flüchtlingen auch in Bezug auf den demografischen Wandel nutzen." Außerdem hätten sich der Runde Tisch und das Cafè International etabliert und sei die Stadtgröße perfekt geeignet, um Netzwerke zu bauen.
Und was klappt nicht? Ringhoff: "Je mehr man für Flüchtlinge tut, desto mehr kommt Neid auf. Wir müssen uns daher bemühen, die Menschen davon zu überzeugen, dass jeder etwas von unserer Arbeit hat, zum Beispiel indem in Vereinen Mannschaften bestehen bleiben, weil Flüchtlinge integriert wurden." Dass dies mal besser und mal schlechter gelinge, das weiß auch Ringhoff. Das hätten auch die Wahlergebnisse gezeigt. Die AfD schnitt in Ludwigsstadt mit 11,4 Prozent gut ab, lag jedoch knapp unter dem Kreisdurchschnitt von 11,8 Prozent.
Doch nicht nur die breitere gesellschaftliche Anerkennung ist für Ringhoff ein Thema. "Die Familienhelfer sind oft an der Belastungsgrenze. Eigentlich muss die Arbeit auf viel mehr Schultern verteilt werden." Des Weiteren bräuchte es mehr Alphabetisierungshelfer und Sprachpaten und eine höhere Bereitschaft zum Vermieten an Flüchtlinge. "Es ist schwierig, immer wieder passende Wohnungen zu finden."
Kommune setzt an
Genau an den beiden letzteren Punkten setzt die Kommune an. Der Palästinenser Mohammad Abu-Ta`a, der schon seit 1963 in Deutschland lebt, ist auf Stundenbasis bei der Kommune angestellt, um zu übersetzen und die Flüchtlinge bei ihren Problemen zu begleiten. Außerdem saniert die Stadt derzeit ein baufälliges Gebäude in der Kronacher Straße (siehe auch Interview mit Timo Ehrhardt).