Der Musiker im Kronacher "Struwwelpeter"-Chef

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Samuel Rauch zeigt gerne das Logo des Kultur- und Jugendzentrums (Juz) in Kronach, den Struwwelpeter. Foto: Sarah Dann
Samuel Rauch zeigt gerne das Logo des Kultur- und Jugendzentrums (Juz) in Kronach, den Struwwelpeter.  Foto: Sarah Dann

Samuel Rauch prägt mit seinem Team vom "Struwwelpeter" zahlreiche Jugendliche in Kronach und als Popularmusikbeauftragter die Bandszene von Oberfranken. Beide Ämter erfüllt er enthusiastisch, weiß aber, dass er die Posten irgendwann wieder für Jüngere freimachen wird.

Samuel Rauch hat ein ziemlich cooles, buntes, plakatlastiges Büro. Also für einen Chef. Seit 2009 ist der Diplom-Sozialpädagoge und -Soziologe Leiter des Jugendzentrums "Struwwelpeter" in Kronach. Seit Oktober 2012 ist er ehrenamtlicher Popularmusikbeauftragter für Oberfranken. Wir sprachen mit ihm über beide Ämter, über "echtes" Coolsein mit 36 Jahren und Jugendliche, die sich nach Regeln sehnen.

Steckt in Ihnen mehr Musiker oder Popularmusikbeauftragter?
Samuel Rauch: Sehr, sehr, sehr schwierige Frage. Bei mir haben sich die Dinge so ergeben. Als sich das mit der letzten Band aufgelöst hat, ging es just mit dem Struwwelpeter weiter. Und die Arbeit hier ist extrem anspruchsvoll und vielschichtig. Ich habe gemerkt, wie früher nebenbei eine Band betreiben, das kann ich nicht.
Als die Stelle von Cornelius Sturm frei wurde, habe ich gedacht, es würde mich schon interessieren, jungen Bands etwas weiterzugeben und die Szene zu unterstützen. Das Amt oder die Funktion des Popularmusikbeauftragten kannte ich ja schon aus der Zeit, als wir selbst bei "Rock in Oberfranken" mitgemacht haben. Nach drei, vier Jahren im Struwwelpeter hat sich alles gut ergeben. Man muss aber auch sehen: Das ist ein Ehrenamt. Man hat eine gewisse Kraft, die man da reinstecken kann, aber sie ist begrenzt. Ich glaube aber schon, dass der Musiker, der in einem steckt, der Grund ist, wieso man das macht.

Was hat sich in der oberfränkischen Musik- und Bandszene verändert?
So viel hat sich gar nicht verändert und trotzdem alles. Man muss wissen, dass es zu regionalen Verschiebungen kommt. Wo früher 20 Bands am Start waren, ist es heute tot. Wo vor fünf oder zehn Jahren gar nix los war, lebt die Szene.
Ich weiß, als wir damals noch gespielt haben, gab's in Bamberg - obwohl die Stadt ja groß ist - gerade mal fünf Bands, trotz super Live-Locations. Heute gibt's dort unglaublich viele Bands, wie auch in Hof. Früher war Lichtenfels eine totale Band-Hochburg ... Veränderungen sind ganz normal. Die Erfahrung, die ich jetzt als Popularmusikbeauftragter gemacht habe, ist, dass eine Band-Szene genau da entsteht, wo Strukturen vorhanden sind oder geschaffen werden: Probemöglichkeiten, Spielstätten und ehrenamtliche Organisationen oder Initiativen, die Konzerte veranstalten. In Coburg gibt's das BGS-Gelände, da proben schon immer unglaublich viele Bands. Seitdem gibt's dort auch eine beliebte Band-Szene. Da geht's schon los, dass du einen Keller oder so brauchst, um überhaupt auf die Idee zu kommen, eine Band zu gründen.
Wo das nicht passiert, gibt es halt auch keine Szene. Und zu einer Szene gehört nicht nur, dass es irgendwelche Bands gibt, sondern es gehört auch die Infrastruktur dazu.

Würden Sie sich nicht lieber um große Bands kümmern? Oder in Berlin, Hamburg, ... zu tun haben?
Ich arbeite bewusst hier in der Region, weil ich sehr heimatliebend bin. Nicht umsonst ist das Amt des Popularmusikbeauf tragten in der Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberfranken angesiedelt. Ich finde es wichtig, in seinen eigenen Lebensraum zu investieren. Was wir im "Struwwel" ja auch machen. Klar, es werden immer welche zum Studieren weggehen. Wichtig ist zu erkennen: Wenn ich mir eine Zukunft gestalten will, dann kann ich mir die auch hier gestalten.

Fehlt es Ihnen nicht, selbst auf der Bühne zu stehen?
Manchmal schon, aber in den allermeisten Fällen nicht. Es ist wahrscheinlich so ein psychologisches Ding, dass ich irgendwie fast eine Bühnen-Aversion entwickelt habe. Ich veranstalte saugern und weiß, was man braucht, damit sich die Bands wohlfühlen. Dass es in den Fingern juckt, habe ich ganz selten.
Daheim mache ich noch Musik und schreibe manchmal noch Lieder. Aber ich habe gerade nicht die Muße, das in der Art und Weise zu machen, wie ich mir das vorstellen würde: wenn dann g'scheid.

In ihnen scheint viel (beruflicher) Ehrgeiz zu stecken. Sie haben immer gesagt, dass es große Fußstapfen waren, in die sie beim "Struwwel" treten mussten. Was haben Sie in Kronach geprägt?
Es ist schön, dass meine Position im Jugendzentrum so eine Öffentlichkeit hat, aber im Endeffekt ist es halt auch "nur" die Leitung von einem Juz - ich bin nicht der Bürgermeister. Ich behaupte, dass es nicht meine Aufgabe ist, Kronach zu prägen, sondern das Haus hier. Und damit in gewisser Weise auch die Jugendszene vor Ort. Aber es gibt auch Jugendliche, die nicht in den "Struwwel" kommen. Wichtig ist, dass das Haus belebt ist. Das haben wir geschafft. Mit einem sehr kleinen hauptamtlichen Team muss ich schon sagen, dass ich unsere Leistung toll finde.
Ohne die Ehrenamtlichen könnten wir das nicht schaffen. So ein Haus braucht ganz viel Leben und auch Liebe zu den Menschen in einer gewissen grundsätzlichen Einstellung. Dann ist die Frage, was ich erreicht habe, nicht so wichtig.

Vor zwei Jahren war es an den Wochenenden etwas schwierig mit den Jugendlichen. Wer hat am Wochenende die Schlüsselgewalt?
Die Schlüsselgewalt haben wir etwas eingeschränkt. Die Jugendlichen sind am Donnerstag und Sonntag alleine da. Wir mussten vor gut eineinhalb Jahren darauf reagieren, dass immer wieder an der Grenze unseres Geländes Jugendliche getrunken haben. Die Situation hat die Ehrenamtlichen schlichtweg überfordert.
Außerdem machen wir abends ein bisschen eher zu, weil wir gemerkt haben, dass die Jugendlichen eher am Nachmittag und am Abend kommen, um Hausaufgaben zu machen, zu quatschen, zu kicken ... Ab 18 Uhr gibt es mit Altersnachweis dann auch Bier. Freitag und Samstag sind jetzt auch Hauptamtliche da, einfach um besser auf die Situationen reagieren zu können. Die Selbstverwaltung der Jugendlichen ist das eine, die haben sie aber trotzdem noch an anderen Tagen, die Sicherheit ist aber eben auch ganz wichtig. Seit wir den Dienstplan so geändert haben, kam nix mehr von der Polizei.

Worin liegt für Sie der Reiz, mit Jugendlichen zwischen 16 und 27 Jahren zu arbeiten?
Eine Altersgrenze haben wir gar nicht. Wir machen auch mal gezielt was für Jüngere, damit wir auch die Kinder mit ihren Eltern erreichen. Eltern sind die besten Multiplikatoren. Hier im Haus passiert täglich so viel. Es ist immer wieder anders, immer wieder neu.
Seit ich im "Struwwel" angefangen habe, ist mein Lieblingsspruch: "Wo gehobelt wird, fallen Späne." Wir mussten zum Beispiel schon ganz viele Türen im Juz reparieren, einfach weil das Haus genutzt wird, so viele Menschen ein- und ausgehen ...

Welches Ziel verfolgen Sie persönlich hinter ihrer Arbeit?
Es gibt kein Ziel, das irgendwie erreicht wäre. Alles fertig - das gibt's gar nicht. Es sind kleine Ziele, die man erreichen will, häppchenweise. Das Allerwichtigste ist, was die Jugendlichen vom Juz denken.

Und was sind ihre Pläne für die nächsten Jahre?
Bausachen gibt es immer. Wir wollen zum Beispiel einen, ... mhm ... sagen wir nicht Biergarten ..., einen Limogarten bis nächstes Jahr im Sommer bauen. Und die Scheune soll neu gemacht werden, weil es nach draußen ziemlich laut und im Winter drinnen ziemlich kalt ist. Außerdem würden wir gerne ein Projekt mit den unbegleiteten jungen Flüchtlingen in der direkten Nachbarschaft starten. Wir sind aber schon ziemlich ausgebucht und müssen manchmal auch Anfragen absagen.

Ihr Vorgänger Lars Hofmann hat ja Anfang 40 den Job schon abgegeben. Sie sind jetzt 36. Ist es manchmal schwierig, cool zu sein?
Das jetzt überhaupt nicht. Ich fühle mich hier schon akzeptiert. Aber es ist auch so, dass ich seit dem ersten Tag weiß, dass der Struwwelpeter keine Stelle ist, die man für immer und ewig ausübt. Ich reflektiere immer wieder: "Bin ich hier der Richtige?!"
Letztlich kommt es auf die Echtheit an. Das heißt: Wenn ich richtig sauer bin, schimpfe ich auch mal mit den Jugendlichen. Und genau diese Echtheit schätzen sie. Auch weil sie wissen, ich würde nie jemanden loben, wenn es nicht so wäre. Jugendliche wollen klare Ansagen, Möglichkeiten, sich zu erproben.

Es heißt ja immer wieder, wie schwierig es ist, Nachwuchs zu finden. Erleben sie das im Juz auch?
Überhaupt nicht ..., wobei, was heißt überhaupt nicht. Wir hatten jetzt bei "Festung rockt" über 85 Helfer. Davon trifft sich das Festivalteam von 17, 18 Jugendlichen regelmäßig im Jahr um vorzubereiten. An den Kids im Café sieht man, aus welchem Pool man schöpfen kann. Den Ehrenamtlichen muss man aber auch immer wieder mitgeben, dass es ohne jeden einzelnen nicht geht - bei "Festung rockt" wie in der Gesellschaft ... Das ist unsere Aufgabe.

Das Gespräch führte Sarah Dann.