Tschechen und Deutsche lernen voneinander

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Die Freundschaft ihrer Schule mit dem Wiesentheider Gymnasium hat die Tschechin Hana Holasová geprägt. Foto: Karina Brock
Die Freundschaft ihrer Schule mit dem Wiesentheider Gymnasium hat die Tschechin Hana Holasová geprägt.  Foto: Karina Brock

Eine lustige Klassenfahrt nach London, Paris oder Prag - das stellen sich viele unter einem Schüleraustausch vor. Ein Austausch kann aber viel mehr sein, wie das Beispiel von Hana Holasová und des Wiesentheider Gymnasiums zeigt.

Nach Abitur und BWL-Studium arbeitet Hana jetzt seit drei Jahren bei der Sparkasse. Soweit nichts Ungewöhnliches. Außer, dass Hana Holasová Tschechin ist, in Liberec wohnt und jeden Tag ins 30 Kilometer entfernte Zittau nach Deutschland pendelt, um ihrer Arbeit nachzugehen. Und, dass sie dort, im Grenzgebiet, die tschechischen Kunden berät, sich mit ihren Kollegen aber fließend auf Deutsch unterhält.

Und dass sie, als sie die Wahl hatte, ihr Studium lieber in Deutschland absolvierte, als in ihrem Heimatland - "weil ich mir nicht vorstellen konnte, auf Tschechisch zu lernen". Die 27-Jährige hat eine ganz besondere Schulbildung hinter sich, die sie zu der offenen, zweisprachigen jungen Frau gemacht hat, die sie heute ist. Einen maßgeblichen Anteil daran hat das Steigerwald Landschulheim Wiesentheid (LSH).

Festakt zum Jubiläum


Hana Holasová ist eine von vielen Stipendiaten, die von der inzwischen 20-jährigen Freundschaft zwischen dem Gymnasium Wiesentheid und dem Gymnázium F. X. Saldy in Liberec profitierten. Diese Geschichte der Partnerschaft, des gegenseitigen Austauschs und voneinander Lernens feierten die Schulen am Donnerstag mit einem großen Festakt.
Lehrer und Festredner aus beiden Kommunen, Politiker beider Länder wie Staatsministerin Emilia Müller und natürlich ehemalige Schüler würdigten den langjährigen Austausch als aktive Völkerverständigung und interkulturelle Bildung.

"Es ist nicht an der Tagesordnung, dass solche Beziehungen über 20 Jahre halten", sagte Professor Alexander Thomas anerkennend. Was schade sei, denn selbst ein kurzer internationaler Austausch würden den Werdegang und die Persönlichkeit junger Menschen durchaus beeinflussen.

Der Aufenthalt wirkt lange nach


Das ist das Ergebnis einer Studie, die er an der Universität Regensburg durchgeführt hat. Herangezogen hat er über 500 Stichproben 27-jähriger Männer und Frauen, die zehn Jahre zuvor an einem von vier internationalen Austauschprogrammen teilgenommen haben: Schüleraustausch, Jugendgruppenbegegnung, Jugendkulturaustausch oder soziales Workcamp. Heraus kam, dass die "Langzeitwirkung von Kurzzeitaufenthalten" beträchtlich ist - obwohl die damals 17-Jährigen gerade mal zwei bis vier Wochen in dem anderen Land verbrachten. "14 Tage in einer Zeit, in der so viel passiert: erste Liebe, erster Liebeskummer, Stress mit den Eltern, Gedanken über die Berufswahl, die Zukunft überhaupt - das ist eine dramatische Zeit."

Trotzdem waren die Ergebnisse erstaunlich: Über 50 Prozent der Teilnehmer bewerteten diese Erfahrung im Nachhinein als wichtiger als Erlebnisse im Vereinsleben oder Urlaubsaufenthalte.

Andere Kulturen kennenlernen


Gerade Aufenthalte, in denen die Teilnehmer in Familien untergebracht waren, wurden als sehr bedeutsam und lehrreich eingestuft. 72 Prozent gaben an, dadurch Wissen über andere Kulturen erlangt zu haben, 53 Prozent meinten, sie seien durch die Erfahrung offener, flexibler und gelassener geworden, fast ebenso viele sahen Vorteile für die soziale Kompetenz und für die Fremdsprachenkenntnisse und für manche war ein solcher Austausch gar ein Wendepunkt in ihrem Leben. "Und wenn ein Schüleraustausch nur bringt, dass man die Hemmung verliert, sich in einer fremden Sprache mit fremden Menschen zu unterhalten - dann hat er sich schon gelohnt."

Genau in die "Versuchsgruppe" des Professors passt auch Hana Holasová - und sie kann seine Ergebnisse nur bestätigen. Für sie hat der Schüleraustausch in der 9. Klasse den Grundstein gelegt für alles, was danach kam. Als Schülerin der deutschen Abteilung am Gymnasium in Liberec bekam sie ab der 8. Klasse verstärkten Deutschunterricht und musste bereits ein Jahr später dem von Muttersprachlern gegebenen Unterricht in Mathematik, Physik, Erdkunde, Biologie und Geschichte in deutscher Sprache folgen. Die 11. Klasse absolvierte sie dann in Wiesentheid, das Abitur wiederum in Tschechien. Damit war sie sowohl zum Studium an tschechischen Hochschulen als auch - ohne besondere Eingangsprüfungen - zum Studium an deutschen Hochschulen berechtigt.

Der Anfang war schwierig


"Ich möchte die Erfahrung, ein Jahr in einem anderen Land gewesen zu sein, nicht missen", sagt sie heute. Auch wenn die ersten beiden Monate schwierig gewesen seien: "Fremde Leute, die andere Sprache, eine andere Kultur." Aber man werde selbstständiger, lerne viel über andere - aber auch über sich selbst.

Da sie die deutsche Art des Lernens in all den Jahren des deutschen Unterrichts verinnerlicht hatte, entschied sie sich am Ende auch für eine deutsche Fachhochschule, um BWL zu studieren. "Als deutscher Schüler lernt man mehr, selber zu denken. In Tschechien wird noch viel auswendig gelernt." Die Arbeit bei der Sparkasse in Zittau hat sich dann durch ihre Zweisprachigkeit und sicher nicht zuletzt durch ihre interkulturelle Kompetenz ergeben.

Holasová ist somit ein Paradebeispiel für das, was die Europaabgeordnete Anja Weisgerber meinte, als sie in ihrem Vortrag davon sprach, dass die Menschen aus dem Zweckverband Europa eine Gemeinschaft machen müssten. "Die Politik kann nur den Rahmen schaffen, die Schranken in den Köpfen müssen die Menschen abbauen. Ihre Schüler werden als Europäer erzogen - hier wächst Europa von unten her zusammen." Und das seit 20 Jahren.