Grüße an den Herrn Kollegen

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Die Woche
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Mit Journalisten-Erinnerungen befasst sich die Ausgabe uns Sport-Wochen-Rückblicks.

Ein Kollege ist in den Ruhestand gegangen. Nicht irgendein Kollege. Wir waren uns einst nahe, obwohl wir meines Wissens nie auch nur ein Wort miteinander gewechselt haben. Kein „Hallo“ und kein „Wie geht's dir so?“. Und doch hatten wir, nun ja, soll man sagen: eine Beziehung, ein Verhältnis zueinander?

Ich musste die vergangenen Jahre immer mal wieder an ihn denken, immer dann, wenn mein Blick vom Schreibtisch nach links oben ging. Nicht das Foto des Kollegen hängt dort, sondern einer seiner Artikel. Kein Meisterstück, wenn man seine brillanten Werke kennt, die er zeit seines Autorenlebens mit spitzer Feder erschaffen hat, aber doch ein Original – so bissig und sarkastisch, wie nur er es konnte. Das Besondere an diesem Werk erschließt sich, wie das oft ist bei Kunst, nur dem Kenner. Streng genommen, verstanden und verstehen es bis heute nur ganz wenige: er und ich und einer meiner guten Freunde, mit dem ich einst in den Stadien des 1. FC Nürnberg und des FC Bayern München unterwegs war. Nicht für diese Redaktion, und vielleicht war es das, was den Kollegen derart spotten ließ.

„Wie man Sportjournalist spielt“, ist seine „Anmerkung“ überschrieben. Wann genau sie erschienen ist, kann ich nicht sagen, weil es bloß die Kopie des Zeitungsartikels von damals ist – es muss irgendwann zu Beginn der neunziger Jahre gewesen sein. Der Text, ist, wenn man so will, eine gnadenlose Abrechnung – mit zwei Wichtelchen, eingehüllt in viel zu große und viel zu bunte Sakkos, zwei Wichtel also, die in dieser Zeit unterwegs waren für ein – Moment, ich muss kurz nachlesen – für ein „Käseblatt“. Ja gut, man hätte die Formulierung charmanter wählen können, wie Franz Beckenbauer, der uns liebevoll als „Schülerzeitung“ adelte. Aber charmant sein mochte der Kollege nicht. Er wollte dem Le-ser erklären, dass das, was wir taten, kein Journalismus ist, und wir keine Journalisten sind. Bis zum Tag, als sein Artikel über uns erschien, glaubten wir, ihm egal zu sein – kleine Lichter aus seiner Sicht. Doch es war wohl eher so, dass wir ihm mächtig auf den Zeiger gingen. Nicht, dass wir uns von seinem Text angegriffen fühlten, schon gar nicht beleidigt oder verletzt. Wir waren jung und unbedarft und eher ein wenig amüsiert, wie man uns in 168 Zeilen einer renommierten Regionalzeitung bloß derart huldigen konnte.

Eine Frage trieb uns freilich noch lange danach um: Was hatte den Kollegen dazu gebracht, derart in die Tasten zu hauen? War es unser selbstgewisses, ja geradezu pfauenhaftes Flanieren vor den Spielen auf dem heiligen Rasen? War es unsere provozierende Art, bei Spielerinterviews jedes Mal schamlos ins Bild der Fernsehkameras zu laufen? War es jener Geschenkkorb voller Milchprodukte, den wir einst beim Journalistentipp in Stuttgart abgeräumt und genüsslich an ihm vorbeigetragen hatten? Ich hätte den Kollegen nach meinem Seitenwechsel von jener zu dieser Zeitung fragen können, was ihn damals bewegt hat – mehr als zwei Jahrzehnte hatte ich jetzt Zeit dazu. Aber nie ergab sich die Gelegenheit. Nie lief er mir im Flur über den Weg und fing ein Gespräch mit mir an über Gott oder die Welt oder beides. Ich werde die Antwort wohl nie mehr erfahren, denn er ist jetzt im Ruhestand.

Pech gehabt, Kollege, umgekehrt wirst du nie erfahren, dass ich dich geschätzt und bewundert habe für deinen Schreibstil; dass ich manche deiner Worte und Formulierungen gerne aufgegriffen (und noch heute parat) habe; dass (nicht nur) ich oft bedauert habe, dass du dich zuletzt als Autor so rar gemacht hast. Und so bleibt dem SoSpo (sogenannter Sportjournalist) von einst, dem ehemaligen HaSpo (hauptberuflicher Sportjournalist) nur zu wünschen: alles Gute im Alter – und nichts für ungut.

Vielleicht hängt dieser Artikel ja künftig auch zu Hause über seinem Schreibtisch.