Am Montag endet die Woche des Sehens mit dem Tag des Weißen Stockes. Den braucht Angelika zwar nicht, dem Unterricht kann sie jedoch nur mit speziellen Hilfsmitteln folgen, weshalb sie auf eine spezielle Schule geht.
Auf den ersten Blick sieht das Klassenzimmer der S 6 an der Graf-zu-Bentheim-Schule aus, wie jedes andere: eine Tafel, Tische mit Heften und Federmäppchen. Auf den zweiten Blick ist dann doch einiges anders: Die zwölfjährige Angelika knipst zum Beispiel jeden Morgen zuerst eine riesige Leselampe an, die an ihrem Pult angebracht ist. Ein Klassenkamerad hat eine Kamera, die Tafel und Arbeitsblätter vergrößern kann. Andere Kinder arbeiten mit Lupen und Okularen. Die Graf-zu-Bentheim-Schule gehört zum Würzburger Blindeninstitut.
Angelika wohnt in Kitzingen, geht aber seit der 3. Klasse auf diese Schule, weil sie dort die optimalen Bedingungen vorfindet - trotz ihrer Sehbehinderung. "Ich war erst auf einer normalen Grundschule. Aber meine Augen sind immer schlechter geworden, so dass ich Probleme hatte, die Tafel zu sehen." Schon damals half ein Mitarbeiter des Instituts Angelika bei den Hausaufgaben. "Der hat meinen Eltern vorgeschlagen, die Schule zu wechseln."
Das war vor gut drei Jahren. Inzwischen hat sich Angelika sehr gut eingelebt. Mit ihrer dicken Brille und der speziellen Lampe kann sie trotz einer Sehschärfe von nur 20 Prozent dem Unterricht gut folgen. Besonders gerne macht sie Mathe und Geometrie, Kunst und Musik. Nur Deutsch liegt ihr nicht so - "wegen dem Lesen".
Angelika gehört zu den so genannten "normalbegabten Sehbehinderten", die an der Graf-zu-Bentheim-Schule allerdings in der Minderheit sind.
"Die meisten gehen heute auf Regelschulen, wo sie von unserem mobilen sonderpädagogischen Dienst betreut werden", erklärt Konrektor Thomas Viereck. Diesen Dienst nehmen auch andere Förderschulen in Anspruch, um Kinder mit einer Sehschwäche besser unterstützten zu können. "Wir haben das Fachwissen, das dort zum Teil fehlt", berichtet Markus Held, Angelikas Klassenlehrer. "Es kann ja nicht jeder alles können." Er glaubt, dass diese Form des Unterrichts in Zukunft zunehmen wird. "Die Inklusionsdebatte legt das zumindest nahe - aber hellsehen kann keiner."
Schule als Schonraum Die Entscheidung, wo ein Kind beschult werden soll, liegt aber heute wie auch in Zukunft bei den Eltern und hängt natürlich von der individuellen Persönlichkeit sowie der Art und der Stärke der Einschränkung des jeweiligen Kindes ab. "Unsere Schule ist ein Schonraum, da wir mit fünf Grundschuljahren ein langsameres Tempo gehen können und kleinere Klassen haben als Regelschulen", erklärt Thomas Viereck. Darum sei seine Schule auch bei Eltern von nicht sehbehinderten Kindern gefragt. "Wir sind eine offene Schule, dürfen aber nur einen gewissen Prozentsatz nicht sehbehinderter Schüler aufnehmen." Deshalb müssten Anfragen immer wieder auch abgewiesen werden.
Der Großteil der 275 Schüler ist jedoch mehrfachbehindert, viele von ihnen schwer.
Neben der Sehförderung oder der Vermittlung blindenspezifischer Techniken steht daher die individuelle sonderpädagogische Förderung im Vordergrund. Im gesamten Institut gibt es auch ein breites Spektrum an vorschulischen Angeboten sowie Wohn- und Pflegegruppen, eine Berufsschulstufe sowie eine Werkstatt für Sehgeschädigte.
Im Alltag keine Probleme Angelika wird in der Würzburger Einrichtung jedoch nur zur Schule gehen - oder vielleicht irgendwann wieder auf eine Regelschule wechseln. Möglich wäre es, schließlich bearbeitet sie denselben Unterrichtsstoff wie andere Sechstklässler. "Ich fühle mich aber wohl hier." Ihren Alltag meistert Angelika problemlos - egal, ob sie mit ihren Hunden Gassi geht, mit dem Bus unterwegs ist, Fahrrad fährt oder mit ihrer Cousine Klamotten shoppt. Auch ihre Berufswünsche unterscheiden sich nicht von denen anderer Zwölfjähriger: "Kindergärtnerin oder Verkäuferin" könnte sie sich vorstellen. Nur eine Leseratte wird Angelika wohl nie werden.