Die Anonymen Alkoholiker helfen durch vermeintlich einfache Hilfsmittel. In Kitzingen seit 40 Jahren.
Ihre Lebensgeschichten hören sich an, als würden sie einem Drehbuch entstammen. Doch sie sind alle echt. Und die Menschen hinter den Geschichten leben mitten unter uns. Sie sind Alkoholiker. Anonyme Alkoholiker.
Da ist zum Beispiel Robert (alle Namen geändert). Robert erzählt viel und schnell. Kein Wunder: Er hat auch viel zu erzählen. "Ich war ein Rund um die Uhr-Säufer", sagt er. 20 Jahre hat er gesoffen. "Zehn davon exzessiv." Mit Anfang 40 ist er dann das erste Mal zu den Anonymen Alkoholikern gegangen. Seit 15 Jahren ist er trocken.
Oder Heinz. Heinz ist in einer Alkoholikerfamilie aufgewachsen. Eltern, Großeltern. Alle süchtig. "Wir waren richtig asozial", sagt er. Heinz hat als Kind gestohlen und ist in Häuser eingebrochen. "Das war ganz normal", erinnert er sich. Die Eltern haben ihn sogar dazu ermuntert. Ihr Argument: Die anderen Leute würden ja genug besitzen.
"Ich habe meine Mutter gehasst", sagt Heinz und es fällt ihm schwer, die Tränen zurückzuhalten. "Ich habe nichts normal machen können. Nichts." Saufen, Rauchen, Schnupfen, Sex. Heinz war nach vielen Dingen süchtig. Sein Leben sollte sich am 6. Januar 1989 ändern. Da ging er das erste Mal zu den Anonymen Alkoholikern.
Oder Rita. Rita ist eine so genannte Co-Abhängige.
Die Angehörige eines Alkoholikers. Oder war es. Ihr Mann ist mittlerweile verstorben. "Die Angehörigen haben es schwerer als die Süchtigen", sagt Robert. Er weiß das aus eigener Erfahrung. Seine Frau hat es ihm deutlich gemacht. "Die Angehörigen können ja nicht, wie die Süchtigen, über den Alkohol aus der Welt ausbrechen.
Und dann müssen sie auch noch für ihre alkoholkranken Männer lügen."
Robert hat schon nach seinem ersten Treffen bei den Anonymen Alkoholikern mit dem Trinken aufgehört, bei Heinz hat es neun Monate gedauert. Ein Mal in der Woche ist er zu den Treffen im Wilhelm-Högner-Haus gegangen, hat sich die Geschichten der anderen Abhängigen angehört und hat daheim weiter gesoffen. "Eines Tages habe ich mir selbst eingestanden, dass ich Alkoholiker bin", erinnert er sich. Dann sind die Dämme gebrochen. Heinz hat über Nacht alle Alkoholflaschen aus dem Haus geräumt und seither keinen Tropfen mehr angerührt. "Ich hatte Glück", sagt er. Ich hatte kein einziges Mal ein Delirium."
Ritas Mann ging es da ganz anders. "Er hat weiße Mäuse gesehen", erinnert sie sich. "Und die hat er dann mit seinem Gewehr gejagt."
Robert, Heinz, Rita. Ihre Geschichten sind gar nicht so selten, wie man vermutet.
Mehr als 2000 Gruppen der Anonymen Alkoholiker gibt es in Deutschland, in Unterfranken sind es 35. Eine davon ist in Würzburg. Dort wird täglich ein Treffen anberaumt. "Weltweit finden jede Woche mehr als 100000 Meetings statt", berichtet Robert. "Wir haben eineinhalb bis zwei Millionen Weggefährten."
Allein das tut gut: Das Gefühl, nicht alleine zu sein. Auch deshalb war Robert schon vom ersten Treffen schwer beeindruckt. "Ich habe begriffen, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der so ein Problem hat und dass ich etwas tun kann."
Tun, das heißt bei den Anonymen Alkoholikern vor allem zuhören und erzählen. "Unsere Lebensgeschichten halten uns trocken", sagt Robert. "Das ist wie eine Redetherapie." Medikamente hat er nicht gebraucht, um vom Alkohol los zu kommen. Geheilt ist er trotzdem nicht. "Wer einmal süchtig war, der ist immer süchtig", sagt er.
"Auch wenn er trocken ist."
Die Kitzinger Gruppe hat kürzlich ihren 40. Geburtstag gefeiert. Etwa 70 Menschen haben sich im Wilhelm-Högner-Haus versammelt. Die Tische feierlich gedeckt, Essen und nicht-alkoholische Getränke. Robert ist den Verantwortlichen des Wilhelm-Högner-Hauses dankbar für die großzügige Unterstützung über all die Jahre. Dort ist er nicht nur trocken geworden. Dort hat er gelernt, seiner Mutter zu vergeben. "Es gibt keine hoffnungslosen Fälle", sagt Robert. Selbst wenn die Lage noch so aussichtslos erscheint. "Es gibt Hilfe", bestätigt Heinz. "Man muss sie nur annehmen."
Info:
Die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker entstand 1935 in Akron, Ohio. Der Chirurg Bob und der Börsenmakler Bill litten unter der Krankheit Alkoholismus und stellten beim Gespräch fest, dass ihr Zwang zu trinken schwand, als sie sich offen über ihre Krankheit unterhielten.
1939 zählte die Gemeinschaft etwa 100 trockene Alkoholiker, Ende 1941 waren es schon 8000. Im Frühjahr 2008 waren es in 180 Ländern etwa 113000 Gruppen mit zirka zwei Millionen Mitgliedern.
Das Programm
Zwölf Schritte sollen den Anonymen Alkoholikern helfen zu genesen. Der erste Schritt ist die notwendige Voraussetzung für einen neuen Anfang. Er lautet: "Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind. Und unser Leben nicht mehr meistern konnten."
Kontakt: Die Kitzinger Gruppe trifft sich jeden Donnerstag, von 20 bis 22 Uhr, im Wilhelm-Högner-Haus in der Siedlung. Telefonischer Kontakt über 09321/35347.