Salto rückwärts bei Fehrer

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Alle Hände voll zu tun: Die Produktion bei Fehrer läuft seit Wochen wieder auf Hochtouren. So wie hier in der Heißschaum-Anlage.
Foto: Ralf Dieter

Marina Hall ist glücklich. Überglücklich. „Ich hätte die Welt umarmen können“, sagt sie. Kein Wunder: Die 56-Jährige hatte ihre Kündigung bereits in der Tasche. Seit Montag weiß sie: Es geht weiter bei Fehrer.

Marina Hall ist glücklich. Überglücklich. „Ich hätte die Welt umarmen können“, sagt sie. Kein Wunder: Die 56-Jährige hatte ihre Kündigung bereits in der Tasche. Seit Montag weiß sie: Es geht weiter bei Fehrer.

Weil die Auftragslage immer besser wird, nimmt der Kitzinger Automobilzulieferer jetzt alle Kündigungen zurück, informierte Tom Graf, Vorsitzender der Geschäftsführung, bei der Betriebsversammlung am Montag. Aktuell geht es um 92 Beschäftigte, die Ende November entlassen worden wären. Schon im Februar hatten deutlich gestiegene Umsatzzahlen für den Erhalt von 30 anfänglich bedrohten Jobs gesorgt.

Holger Lenz ist seit 35 Jahren bei Fehrer. Als Betriebsratsvorsitzender geht er in seine vierte Amtsperiode. Das emotionale Auf und Ab der letzten Monate haben auch bei ihm Spuren hinterlassen. Als „vorsichtig optimistisch“, beschreibt er seine Stimmungslage. Euphorie will trotz der guten Nachricht nicht aufkommen. Zu viele Änderungen hat es in den letzten Monaten gegeben. Und in den kommenden Wochen und Monaten steht den Betriebsräten und allen anderen Arbeitnehmern sehr viel Arbeit ins Haus, denn das Abrücken der Fehrer-Spitze von zuletzt geplanten 180 Entlassungen hat gute Gründe: Die Standorte Kitzingen und Wiesentheid seien bis 2017 ausgelastet, betont IG Metall-Bevollmächtigter Walther Mann. Im Bereich Heißschaum gebe es sogar eine „Überauslastung“. Lenz spricht von rund 20 Prozent über Plan in diesem Bereich. Im Gesamtkonzern liege die Auslastung rund acht Prozent über Plan.

Auch die Abteilung Kaltschaum in Kitzingen läuft voll auf Touren. Zwei der Anlagen, die eigentlich ins Ausland verlagert werden sollten, blieben in Kitzingen. Der Grund: Die Abrufzahlen der Automobilhersteller sind deutlich gestiegen. Gerade BMW und Mercedes haben ihre Aufträge erhöht. Ein Trend, der laut Lenz bereits Ende des letzten Jahres absehbar war. Warum die Kündigungen Ende Januar dennoch zugestellt wurden? Lenz zuckt mit den Schultern. „Vielleicht lag es an den Betriebsratswahlen“, sagt er. Wer auf der Wahlliste auftaucht, genießt einen zusätzlichen Kündigungsschutz. Und der wirkt ein halbes Jahr nach.

Nach den jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen sind diese Überlegungen irrelevant. Alle Kündigungen werden zurückgenommen. Die entsprechenden Schreiben gehen heute an die betroffenen Mitarbeiter. Die haben bis zum 9. Mai Zeit für eine Antwort. Wer bei Fehrer bleiben will – und das werden sicher die allermeisten sein – kann sich auf eine Menge Arbeit einstellen. Von normal 15 Schichten soll die Arbeitszeit auf 18 Schichten angehoben werden. Im Heißschaumbereich wird dieses Modell bereits gefahren. In allen anderen deutschen Standorten soll es bis zum dritten Quartal diesen Jahres eingeführt sein – und mindestens bis Ende 2016 Gültigkeit haben.

Der Höhenflug des Automobilzulieferers, der laut Graf im Vorjahr den Umsatz um acht auf 433 Millionen Euro steigern konnte, wird nicht nur bedrohte Arbeitsplätze retten. Fehrer braucht Walther Mann zufolge selbst dann zusätzliches Personal, wenn alle 92 Mitarbeiter im Unternehmen bleiben, die jetzt ein Angebot für ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erhalten. Fehrer brauche insgesamt 341 Leute in Kitzingen und Wiesentheid.

Dass der jahrelange Abwärtstrend vorbei ist und Entlassungen kein Thema mehr sind, liegt Graf zufolge einerseits am „Boom bei den deutschen Automobilherstellern“. Positiv bemerkbar gemacht habe sich aber auch der Restrukturierungskurs im Unternehmen. Durch eine gestärkte Wettbewerbsfähigkeit am Markt habe Fehrer „eine ganze Reihe von Neuaufträgen gewinnen“ können.

Die Restrukturierung hatte den Automobilzulieferer im Vorjahr in die Kritik gebracht. Wegen der einst geplante Entlassung von bis zu 500 Mitarbeitern und einer kompletten Schließung der Produktion in Kitzingen war es Anfang März 2013 zu heftigen Turbulenzen gekommen.

Nach großen Demonstrationen, der Einflussnahme aus der Politik und dem Druck der Gewerkschaft ruderte die Unternehmensführung zurück. Erst ging es „nur“ noch um 400 gefährdete Jobs und den Erhalt eines Teils der Produktion. Später stand ein Sozialplan zur Diskussion, der 214 Entlassungen vorsah. Als dann die Umsatz-Kurve bei Fehrer nur noch nach oben zeigte, standen im Frühjahr 2014 noch 180 Jobs auf der Kippe.

Seit Anfang dieser Woche sieht die Welt bei den Fehrianern wieder besser aus. Marina Hall und ihre Schichtkollegen an der Kaltschaumanlage hatten sich schon auf eine Übergangszeit in der Transfergesellschaft und eine drohende Arbeitslosigkeit eingestellt. „Heute früh haben wir alle gelächelt, als wir zur Arbeit gekommen sind“, berichtet sie. Ihr Fazit der letzten Monate lässt sich auf das ganze Unternehmen übertragen: „Es lohnt sich, nicht aufzugeben.“