Zehn Jahre nach der Einführung des G8 hören die Diskussionen nicht auf. Dabei wünschen sich die meisten Lehrer nur eines: Ruhe. Fast einstimmig haben die bayerischen Gymnasiallehrer vor rund einer Woche für die Rückkehr zum G9 gestimmt. Die Direktoren im Landkreis Kitzingen sind skeptisch.
"Wir brauchen endlich Ruhe an den Schulen", sagt Robert Scheller, Direktor des Egbert-Gymnasiums in Münsterschwarzach. "Die Diskussion sollte endlich zu Ende geführt sein", wünscht sich Margit Hofmann, Direktorin des Armin-Knab-Gymnasiums in Kitzingen. Diese Wünsche werden kaum in Erfüllung gehen. Die Frage, ob Kinder acht oder neun Jahre lang am Gymnasium unterrichtet werden, ist längst ein Politikum geworden.
Fast einstimmig haben die bayerischen Gymnasiallehrer vor rund einer Woche auf einer Tagung des Philologenverbandes für die Rückkehr zum G9 gestimmt. Eine neuerliche Diskussion, die Hofmann nicht nachvollziehen kann. "Wir kommen seit zehn Jahren mit dem G8 zurecht." Von den Kindern höre sie jedenfalls keine Klagen. Und bei den meisten Eltern sei die Diskussion ebenfalls verstummt. "Die Frage einer Rückkehr zum G9 stellt sich für mich nicht", so Hofmann.
Noch deutlicher warnt Anton Gernert, Direktor des Marktbreiter Gymnasiums. "Eine Kehrtwende könnte zum Salto werden", sagt er. "Und zum Schluss liegen wir auf der Nase." Monika Zeyer-Müller, Ministerialbeauftragte für Gymnasien in Unterfranken, spricht sich ebenfalls gegen eine neue Reform aus. "In den letzten zehn Jahren ist viel passiert", erinnert sie. "Wir wollen an der bestehenden Form des G8 sinnvoll weiter arbeiten."
In der Politik wird über das achtjährige Gymnasium quasi seit dessen Einführung diskutiert. Und das sehr kontrovers. Die Freien Wähler sammeln gerade Unterschriften für ein Volksbegehren zur Wiedereinführung des G9. Bis Januar sollen die notwendigen 25000 Unterschriften gesammelt sein. Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle (CSU) versuchte die Diskussionen mit Nachbesserungen wie dem Flexi-Jahr zu beenden. Ein Erfolg ist nicht in Sicht.
Nach ersten Rückmeldung der Ministerialbeauftragten zu Beginn des Schuljahres nehmen an 36 Prozent der bayerischen Gymnasien einzelne Schülerinnen und Schüler das Angebot wahr, teilt das Kultusministerium mit.
Das Flexi-Jahr ist ein zusätzliches, freiwilliges Lernjahr, das in der Mittelstufe angeboten wird. Anton Gernert, Direktor am Marktbreiter Gymnasium, wundert das Desinteresse der Schüler gar nicht. "Eine freiwillige Wiederholung ist nun mal äußerst selten."
Gerade mal vier Schüler hatten bei Robert Scheller am Egbert-Gymnasium nach dem Flexi-Jahr gefragt. Alle liefen Gefahr, das Klassenziel nicht zu erreichen. Schellers Fazit: "Das Flexi-Jahr ist kein echtes Angebot."
Etwas Gutes hat es aber doch - quasi als Nebeneffekt. Die individuelle Lernzeit, ein Teil des Konzeptes, wird am AKG jedenfalls gut genutzt.
Acht zusätzliche Unterrichtsstunden für die Jahrgangsstufen acht bis zehn nutzen die Lehrer, um das Grundwissen ihrer Schüler zu vertiefen oder Lernmethoden zu vermitteln.
Nach zehn Jahren haben sich die Gymnasien im Landkreis Kitzingen längst mit dem G8 arrangiert. Es ist für die Schüler durchaus machbar, wie die Erfahrungen und Zahlen zeigen. Zu viel Druck für die Kinder? Anton Gernert verneint. "G8 ist eine Schulform, die die Kinder bittet, sich einzusetzen", sagt er. Aber es sei nicht so, dass die Schüler ihre ganze Freizeit für die Schule opfern müssten.
Machbar ist das G8 auch für Hilmar Kirch, Rektor am Landschulheim Wiesentheid. Er spricht sich dennoch für eine Rückkehr zum G9 aus. "Bei der bestehenden Stoffmenge ist die Mehrheit der Lehrer dafür", sagt er.
"Davon bin ich überzeugt." Mehr Zeit zum Üben könnte so geschaffen werden, vor allem in den so genannten MINT-Fächern, also Stoff aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Mehr Zeit würde sich auch Robert Scheller für seine Schüler wünschen. Aber vor allem wegen ihrer Persönlichkeitsentwicklung. "Das ist doch die eigentliche Aufgabe einer Schule", sagt er. "Und die kommt beim G8 zu kurz." Fächer wie Sport, Musik oder Kunst würden beim G8 nicht ausreichend berücksichtigt. Und wer mit 17 Jahren das Abitur in der Tasche hat, verfüge deshalb noch lange nicht über eine Allgemeine Hochschulreife. "Die Zeit des Reifens wird den Schülern in der Schule genommen", bedauert Scheller.
Tatsächlich lautete bei der Einführung des G8 vor zehn Jahren ein wichtiges Argument, dass deutsche Schüler schneller ins Berufsleben entlassen werden müssten.
"Das hat sich in keinster Weise bewahrheitet", sagt Scheller. Nach seiner Erfahrung sammeln etwa drei Viertel der Abiturienten nach ihrem Abschluss Erfahrungen im sozialen Bereich oder im Ausland. Eine Einschätzung, die Margit Hofmann bestätigt. Gehen Abiturienten doch direkt auf die Universität, finden sie nach ihrer Meinung keine idealen Bedingungen vor. "Es wäre wichtig, dass sich die Unis auch auf die jüngeren Studenten einstellen", meint sie. "Sie müssten die jungen Leute dort abholen, wo sie in ihrer Entwicklung gerade stehen."
Also alles schlecht gelaufen in den letzten zehn Jahren? Keineswegs, wie selbst Hilmar Kirch beteuert, der sich das G9 zurück wünscht - allerdings mit Elementen aus dem G8. Die Seminararbeiten findet er beispielsweise positiv, den verbindlichen Chemie-Unterricht in der 9. Klasse ebenso. Eine größere Praxis- und Berufsorientierung findet Margit Hofmann beim G8 positiv.
"Der Druck ist nicht größer als beim G9", bilanziert sie.
In einem Jahr wird der Philologenverband erneut zur Hauptversammlung laden und möglicherweise sein Konzept vorstellen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll das G9 dann wieder zur Regelschule werden. Schüler, die nach acht Jahren ihr Abitur machen wollen, können das in so genannten Schnellläuferklassen tun. Eines lässt sich damit schon jetzt mit Sicherheit sagen: Der Wunsch der Schulleiter im Kitzinger Landkreis nach Ruhe wird nicht in Erfüllung gehen.