Last der Corona-Krise: Vom Wert der Kultur

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Im Papiertheater lädt Gabriele Brunsch seit Ende Juli wieder zur Vorstellungen ein – allerdings passen aufgrund der Corona-Bestimmungen maximal zwölf Gäste in den Raum. Archiv
Foto: Thomas Obermeier
Im Freien durchaus möglich, auch im Corona-Sommer 2020. Ob es im Herbst und Winter viele Konzerte geben wird, bezweifelt Florian Meierott.
Foto: Matthias Ernst

Kulturschaffende haben mit am meisten unter den Beschränkungen in Zeiten von Corona gelitten. Vor der neuen Spielsaison werden Erleichterungen angemahnt.

Sie haben mit am meisten gelitten unter den Corona-Einschränkungen. Jetzt muss ihnen auch ganz besonders geholfen werden, meint der SPD-Landtagsabgeordnete und kulturpolitische Sprecher seiner Partei, Volkmar Halbleib. Er fordert deshalb eine Anpassung der Infektionsverordnungen für Kunst- und Kulturveranstaltungen. Nach seiner Überzeugung kann jeder zweite oder dritte Platz in einem Theater oder Konzertsaal besetzt sein.

„Wenn es bei den bisherigen bayerischen Beschränkungen bleibt, wird die Kultur im Freistaat großen Schaden erleiden“, warnt Halbleib kurz vor Beginn der Spielzeit 2020/2021. Stück für Stück würden kulturelle Einrichtungen kaputt gehen, wenn es keine Erleichterungen gäbe. Gerade kleine Theater hätten dann kaum noch eine Perspektive.

„Wir hätten viel früher wieder aufmachen können.“
Brigitte Obermeier, Theater Sommerhaus

Gabriele Brunsch führt ein sehr kleines Theater in Kitzingen. 25 Besucher passen normalerweise in ihr Papiertheater in der Grabkirchgasse. In Corona-Zeiten ist die Besucherzahl auf maximal zwölf Menschen reduziert. In der letzten Juli-Woche hat sie wieder mit ihren Aufführungen begonnen. Ihre Erfahrung: Die Menschen sind hungrig nach Kultur, nach einer Abwechslung vom Alltag. Dennoch hält sie die Einschränkungen – Abstand von 1,5 Meter, Hände waschen und Stühle desinfizieren – für richtig. „Wir dürfen nicht leichtfertig mit dem Virus umgehen“, fordert sie und stellt sich auf weitere Wochen vor kleinem Publikum ein.

Gabriele Brunsch hat Glück im Unglück. Die ehemalige Lehrerin ist nicht auf die Einnahmen aus ihrem Theaterbetrieb angewiesen und hat überdies von der Stadt Kitzingen drei Monatsmieten erlassen bekommen. „Diejenigen, die davon abhängig sind, haben es wirklich schwer“, weiß sie. Brigitte Obermeier beispielsweise. Mit ihrem Team begeistert sie seit mehr als 20 Jahren Groß und Klein bei den Kinderfestspielen in Giebelstadt. In diesem Sommer gab es – Corona bedingt – keine Vorstellung. Dafür ist ihr „Theater Sommerhaus“ in Winterhausen seit Mitte Juni wieder geöffnet. „Die Gäste haben uns die Bude eingerannt“, freut sie sich. Auch die Zusatzvorstellungen waren schnell ausgebucht. Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Vorstellungen für Schulklassen in der Adventszeit wurden abgesagt und eine Handlungssicherheit für die kommende Spielzeit sieht Obermeier derzeit nicht. Was sie am meisten ärgert: Während private Feiern für bis zu 100 Menschen in Innenräumen erlaubt sind und im Zuschauerraum von Kinos und Theatern Familienverbünde nebeneinander sitzen dürfen, müssen die Schauspieler auf der Bühne den Abstand von 1,5 Meter wahren. „Wie soll das gehen?“, fragt sie und reicht die Antwort gleich nach: „Das funktioniert nicht.“

Obermeier überlegt scherzhaft, ob sie künftig mit Visier auf die Bühne gehen soll und denkt ernsthaft darüber nach, dass sich ihr Ensemble vor den Auftritten auf Corona testen lässt. Sie begrüßt die Soforthilfen von Bund und Land, die es für Theater gegeben hat. Die Kultur sei aber lange Zeit kein Thema für die Politik gewesen, bedauert sie. „Wir hätten viel früher wieder aufmachen können.“

Das sieht auch der Meister-Geiger Florian Meierott so. Seine „Villa Paganini“ in Kitzingen ist für Veranstaltungen derzeit nicht nutzbar. Zu eng. Er befürchtet, dass viele Konzertsäle in der kommenden Spielzeit leer bleiben werden. Gerade klassische Konzerte würden eher ein älteres Publikum ansprechen. „Deren Angst vor Innenräumen ist verständlich.“ Meierott, der auch Kinder in die Kunst des Geigen-Spielens einführt, sieht aber nicht nur die finanzielle Seite. Er befürchtet langfristige Folgen für die gesamte Gesellschaft. „Gerade den Kindern fehlen jetzt persönliche Konzert-Erfahrungen und Vorbilder“, warnt er. Ein Konzert sei ein sinnästhetisches Erlebnis, spreche nicht nur das Gehör, sondern auch die Augen und die Seele an. Digital lasse sich das nicht abbilden. „Im Moment verlieren wir wichtige Werte“, bedauert der Geiger und prophezeit: Wird die Kultur auf Dauer heruntergefahren, verändert das auch die Gesellschaft. „Ich sehe durchaus die Gefahr einer Werte-Erosion.“

„Ich sehe durchaus die Gefahr einer Werte-Erosion.“
Florian Meierott, Violinist

Meierott ist in seiner Arbeit breit aufgestellt. Er hat auch in diesem Sommer eine kleine Konzertreihe im Freien gegeben und hat nach wie vor Schüler, denen er Unterricht gibt. Die letzten Wochen hat er dafür genutzt, Dinge zu erledigen, zu denen er normalerweise nicht kommt. „Ein Buch schreiben, beispielsweise.“ Für die Politiker äußert er Verständnis. „Natürlich muss in dieser Zeit vorsichtig gehandelt werden.“ Dieser Grundsatz sollte aber für alle Bevölkerungsschichten gelten. Während sich Künstler von Anfang an an die Verbote gehalten haben, sehe man immer häufiger Menschen ohne Mundschutz bei Feiern oder Demonstrationen. „Das kann nicht sein“, so Meierott.

Zu restriktiv habe die Politik in Sachen Kultur gehandelt, meint auch der Politiker Volkmar Halbleib. Er fordert die Bayerische Staatsregierung zum Handeln auf und verweist auf Länder wie die Schweiz. Dort gelte beispielsweise beim Besuch von Veranstaltungen eine Maskenpflicht und eine Anordnung der Sitze im Schachbrettmuster. Die Plätze könnten so dichter belegt werden. Während in Nordrhein-Westfalen Veranstaltungen in Konzerthäusern mit 1.000 Plätzen und in Baden-Württemberg mit 500 Plätzen erlaubt sind, sei in Bayern die Anzahl der Besucherinnen und Besucher auf maximal 200 Personen begrenzt. „Dafür gibt es weder eine wissenschaftliche noch eine politische Rechtfertigung“, sagt Halbleib und fordert: „Die Obergrenze muss fallen.“