"Aktenzeichen XY" auf der Spur der kleinen Peggy

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Die von der Polizei herausgegebene Aufnahme zeigt Peggy Knobloch aus dem oberfränkischen Lichtenberg. Das Bild entstand kurz vor ihrem Verschwinden am 7. Mai 2001. Foto: Polizei/dpa
Die von der Polizei herausgegebene Aufnahme zeigt Peggy Knobloch aus dem oberfränkischen Lichtenberg. Das Bild entstand kurz vor ihrem Verschwinden am 7. Mai 2001. Foto: Polizei/dpa

"Ein Kind, dessen Gesicht ganz Deutschland kennt": So beginnt die Anmoderation von Rudi Cerne zum Vermisstenfall Peggy. Der 56-Jährige führt am Mittwochabend durch die Sendung "Aktenzeichen XY...ungelöst". Eine Sondersendung zum Thema "Wo ist mein Kind?". Wo Peggy ist? Man erhofft sich neue Erkenntnisse.

Update: Durchbruch im Mordfall Peggy Knobloch: Mann legt Geständnis ab

14 Jahre - ob sich da noch eine Spur findet? Irgendein Hinweis? Susanne Knobloch scheint daran zu glauben. Am 7. Mai 2001 verschwindet die große Tochter der heute 42-Jährigen. Peggy ist damals neun Jahre alt, sie wäre jetzt 23. "In dem Alter war ich schon Mutter", berichtet Susanne Knobloch, die live im Fernsehstudio sitzt. "Vielleicht wäre ich jetzt schon Oma?" Sie lächelt, aber es wirkt gequält. Wie geht eine Mutter damit um, dass das eigene Kind so lange verschollen ist? Man finde irgendwann einen Weg, damit im alltäglichen Leben umzugehen, sagt sie.

Die Haare wie fast immer zum jugendlichen Zopf gebunden, berichtet sie aus ihrer Sicht von den letzten Stunden an jenem 7. Mai. Von der morgendlichen Diskussionen im Bad, weil Peggy partout nicht zur Schule habe gehen wollen und regelrecht gedrängt werden musste. Die Tage zuvor sei sie "verändert" gewesen, erzählt Susanne Knobloch. Ihre Tochter saß im Dunkeln und habe Angst gehabt, sobald das Telefon klingelte. Noch merkwürdiger: Peggy warf ihre Unterwäsche weg. Ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch? Vielleicht, aber durch wen?

"Ich frage mich, was wäre, wenn ich sie nicht hätte gehen lassen. Wenn ich auch zu Hause geblieben wäre." Susanne Knobloch senkt den Blick. Sie arbeitete damals als Altenpflegerin, kam oft erst abends heim. Peggy hatte einen Schlüssel zur Wohnung. An jenem 7. Mai 2001, so stellt es der Fernsehbeitrag mit Laiendarstellern (zwei davon aus dem Kreis Kulmbach) nach, ist die Wohnung leer, als Susanne Knobloch eintritt. Kein Ranzen, keine Schuhe. Keine Peggy. Irgendwann ruft sie bei der Polizei in Naila an und meldet die Neunjährige als vermisst.

Zuvor hat sie sich bei befreundeten Nachbarn erkundigt, auch bei Peggys Schulkameradinnen. Eine davon, Daniela Kofer, läuft an jenem verhängnisvollen Tag nach der Schule ein Stück des gemeinsamen Heimwegs mit Peggy. Andere Kinder haben sie später noch aus dem weiterfahrenden Bus gesehen, sagen sie. Der Weg von der Bushaltestelle bis zur Wohnung im blauen Haus am Marktplatz in Lichtenberg, ein 1100-Selen-Städchen im Landkreis Hof, ist 600 Meter lang, heißt es im Text zum Fernsehbeitrag. Auf 550 Metern davon wird Peggy immer von mindestens einer Person gesehen, so besagen es laut Polizei die Zeugenberichte. Was aber passiert auf den letzten, jenen offenbar unbeobachteten 50 Metern? Ob "der Täter" dem Mädchen aufgelauert habe, wie es der TV-Beitrag in den Raum stellt? Immerhin sei die Tür zum Vorderhaus nicht abgesperrt, jeder also könne sich Zutritt verschaffen.

Fokus auf 50 Meter
Diese ungeklärten letzten Meter vor dem Haus: Sie bilden einen Kernpunkt, auf den sich der Einspieler und auch das anschließende Studio-Live-Gespräch mit Susanne Knobloch und dem Bayreuther Kripo-Beamten Klaus Müller fokussieren. Müller, Leiter der Peggy-Sonderkommission, verweist auf die neuen Ermittlungen zum Fall, die 2012 auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Bayreuth aufgenommen wurden.

Zu diesem Zeitpunkt sitzt ein gewisser Ulvi K. noch in der Bayreuther Psychiatrie. Verurteilt wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern - und rechtskräftig als Mörder der kleinen Peggy. Auch wenn nie eine Leiche auftaucht und der Gastwirtssohn aus Lichtenberg einen IQ von 68 hat, wird er 2004 schuldig gesprochen - auf Grund eines Geständnisses, das er später widerruft. Seine Aussage: Er habe sich an Peggy vergangen und sie einige Tage später erwürgt, weil er nicht wollte, dass es rauskommt. Im Mai 2014 kassiert das Landgericht Bayreuth den Schuldspruch - auch weil sich herausstellt, dass Ulvis Aussage einer von den einstigen Fahndern erstellten Tathergangshypothese ähnelt. Sollte er damals genau das aussagen, was ihm in vielen Verhören eventuell eingetrichtert wurde?

Seit dem Freispruch gilt der Fall Peggy jedenfalls wieder als ungelöst.

Ungelöst blieb bei manchem Fernsehzuschauer, der sich intensiver mit dem mysteriösen Verschwinden des Mädchens auseinander gesetzt hat, auch das Verständnis für das Vorgehen der ZDF-Redaktion. Warum etwa kam der leibliche Vater nicht zu Wort? Warum durfte Kripomann Müller behaupten, die Uhrzeit 13.24 stehe quasi unumstößlich fest als Zeitpunkt, an dem Peggy das letzte Mal gesehen wurde? Gegenbeispiele gibt es einige. Da sind unter anderem zwei Lichtenberger Jungs, die schon kurz nach Peggys Verschwinden steif und fest behaupteten, sie hätten gesehen, wie das Mädchen am späteren Nachmittag des 7. Mai in ein rotes Cabrio mit tschechischem Kennzeichen gestiegen sei. Diese Aussage haben beide - mittlerweile junge Männer - 2014 im Zuge des Wiederaufnahmeverfahrens von Ulvi K. gegenüber dessen damaligem Anwalt Michael Euler wiederholt.

Andere Bürger behaupteten gegenüber der zweiten Sonderkommission Peggy in Zeugenaussagen, sie hätten die Neunjährige am frühen Abend mit ihrem Roller gesehen. Später zogen sie die Aussagen zurück, schließlich hatte Ulvi K. da schon sein Geständnis abgelegt und war als Täter mehr oder weniger präsentiert. Dass die Aussagen die Theorie von der angeblichen Ermordung Peggys am frühen Nachmittag ins Wanken gebracht hätten? Das Gerücht von "eingeschüchterten Zeugen" machte die Runde.

Musste schnell ein Täter her?
Und die Rede vom polizeilichen Druck. Es musste, so hieß es, ein Täter her, und zwar schnell. Der damalige Innenminister Günter Beckstein hatte die erste "Soko Peggy" ablösen lassen. Erstaunlich: Jene Ermittler hatten Ulvi K. als möglichen Täter ausgeschlossen. Immerhin bestätigte Kripo-Mann Müller nun beim TV-Interview, es habe damals eine enorme mediale Aufmerksamkeit gegeben. Weil aber "Aktenzeichen" naturgemäß sehr eng mit der Polizei zusammenarbeitet, verbot es sich wohl von selbst, die Ordnungshüter auch nur ansatzweise in ein ungünstiges Licht zu rücken oder zumindest mit Ungereimtheiten aus früheren Erkenntnissen zu konfrontieren. Immerhin sind die Behörden im Zuge der neu aufgenommenen Ermittlungen sichtlich darum bemüht, in alle Richtungen zu suchen und nichts unversucht zu lassen, wie Grabungen bei einem Verdächtigen in Lichtenberg beweisen oder die jüngste Suche mit Tauchern nach einem Schulranzen in einer Talsperre. Selbst Hinweise von Wünschelroutengängern blieben nicht unberücksichtigt.

Zugegeben: Die vielen Haken, die dieser Fall in 14 Jahren geschlagen hat, lassen sich nicht in knapp 20 Minuten Fernsehen nachvollziehen. Aber es ist immerhin erstaunlich, warum beispielsweise beim in den Raum gestellten sexuellen Missbrauch ein Münchner Kriminalpsychologe erstaunlich dünne Allgemeinplätze von sich geben durfte, während unerwähnt blieb, dass es im Umfeld der Familie Knobloch sowie in der Stadt Lichtenberg faktisch Männer mit pädophilen Neigungen gab. Männer, die dafür in anderen Fällen mehrjährige Haftstrafen verbüßten und aktuell verbüßen.

Immer noch ein Vermisstenfall
Richtig dargestellt hat die "Aktenzeichen"-Crew vor allem eines: Der Fall Peggy, der häufig als Mordfall geführt wird, ist so lange ein Vermisstenfall, so lange keine sterblichen Überreste entdeckt sind. Und in diese Richtung zielte auch Rudi Cernes Frage an Susanne Knobloch: Ob sie als Mutter glaube, dass Peggy noch am Leben sei? Da stockt sie kurz. Ihr sei wichtig, sagt sie dann, dass ihre Tochter wieder nach Hause komme. Und dann spricht sie davon, es sei nicht so entscheidend, wer der Täter sei. Man brauche irgendwann vor allem Gewissheit, was das Schicksal des eigenen Kindes angeht.

Wenn es denn einen Täter gibt, dann eröffnet ihm Susanne Knoblochs Anwältin Ramona Hoyer eine Tür. Dieser Jemand könne sich an einen Rechtsanwalt wenden, sagt sie, und ihm im Vertrauen sein Wissen schildern. Es verhalte sich dabei wie beim Pfarrer im Beichtstuhl, der Jurist sei also bei der Identität dieser Person zum Schweigen verpflichtet.

Es schien niemand diese Offerte anzunehmen. Kurz vor dem Ende der Sendung gab ein Vertreter des LKA München lediglich bekannt, es seien zum Fall Peggy und den anderen vier Fällen der Sendung Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Man wolle aber keine vorschnelle und falsche Hoffnung schüren, weswegen man den Eingaben sehr gründlich nachgehe.

Übrigens: Die Kripo Bayreuth bittet ihrerseits um Hinweise. Sie ist zu erreichen unter der Telefonnummer 0921/506-1414.