Wo der Mensch zur Akte wird

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Asylbewerber schlafen in Feldbetten auf dem Gelände der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Gleich nebenan befindet sich die Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, wo die Menschen ihren Asylantrag stellen. Eine junge Frau hat Asylbewerber aus Ebern dorthin begleitet und gesehen, womit diese dort zu kämpfen haben. Foto: David Ebener, dpa
Asylbewerber schlafen in Feldbetten auf dem Gelände der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf. Gleich nebenan befindet sich die Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, wo die Menschen ihren Asylantrag stellen. Eine junge Frau hat Asylbewerber aus Ebern dorthin begleitet und gesehen, womit diese dort zu kämpfen haben. Foto: David Ebener, dpa

Asylanträge müssen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt werden. Asylbewerber aus Ebern reisen dazu nach Zirndorf. Weil das Erstaufnahmelager so überfüllt ist, geschieht dies Monate nach der Ankunft in Deutschland.

Miriam* ist 30 Jahre alt. Sie hat schon einiges von der Welt gesehen und viel erlebt. Und stets dachte die junge Frau: "Um den eigenen Horizont zu erweitern, muss ich viele Kilometer zurücklegen." Als sich Miriam vor ein paar Tagen mit Asylbewerbern aus Syrien auf den Weg nach Zirndorf machte, wurde sie eines Besseren belehrt. Nur 90 Kilometer entfernt von ihrem Wohnort bekam sie eine Lektion in Sachen Kultur. Vor allem über ihre eigene deutsche Kultur.

Seit mehreren Monaten engagiert sich Miriam ehrenamtlich im Asylbewerber-Unterstützerkreis in Ebern. Sie verfolgt die Asylpolitik. Ihre Meinung: "Strukturen, die den Menschen gerecht werden, gibt es kaum. Und ziemlich viel Chaos." In Zirndorf, wo eines der zwei bayerischen Erstaufnahmelager steht, war sie noch nie.

Diese fränkische Stadt war an jenem regnerischen Herbsttag ihr Ziel. Mit im Auto saßen zwei Männer und eine Frau aus Syrien.
Die drei Flüchtlinge kamen schon im August in Zirndorf an. Einen Termin zur Asylantragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekamen sie erst für November.

Eine Außenstelle der Behörde befindet sich direkt neben dem Erstaufnahmelager. "Wegen der sehr stark gestiegenen Asylbewerberzahlen gelingt es allerdings nicht mehr, Asylanträge in jedem Fall noch während des Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung entgegenzunehmen", so die Information aus dem Bundesamt.

Termin um 8 Uhr

Konkret bedeutet das: Menschen kommen im Erstaufnahmelager an, werden medizinisch durchgecheckt, geben Dokumente und Personalien an und werden dann sehr schnell auf dezentrale Unterkünfte verteilt.

Um den "richtigen" Asylantrag zu stellen, müssen sie Monate später zurück nach Zirndorf. Ein wichtiger Termin. Bis um 8 Uhr des vermerkten Tages müssen die Personalpapiere beim Amt vorliegen.

Auf der Fahrt zur Behörde nach Zirndorf tönt es von der Rücksitzbank auf Englisch: "Die Straße kenn' ich. Hier sind wir jeden Tag gelaufen." Miriam muss kurz stocken: "Die kennen hier fast jede Straßenecke und jedes Detail." Viele Asylbewerber verbringen während des Aufenthalts in Zirndorf die meiste Zeit außerhalb des Asylcamps. Vor allem in den letzten Monaten, denn da war es restlos überfüllt. "Ich kam an einem warmen Tag im August an", erinnert sich der 22-jährige Mohamed*, "mir wurden meine Bettlaken gegeben. Ein Bett musste ich mir selbst suchen." Er fand eines. Tagelang teilte er sich die Matratze.

Kein freier Platz mehr

Miriam, Mohamed, Ramez* und Fatima* kommen pünktlich in der Außenstelle des Bundesamt an. Sie sehen die Schranke, die den Weg in das Erstaufnahmelager versperrt. Polizeiautos stehen davor. Kinder, Männer und Frauen stehen an der Schleuse, in der Hand blaue Müllbeutel mit ein paar Kleidern. Sie bitten um Einlass. Und müssen warten. "Das muss man selbst gesehen haben. Sonst kann man sich nicht vorstellen, was da drin alles abgeht", sagt Ramez zu Miriam und legt seinen Personalbogen beim Pförtner am Eingang auf den Stapel. Der grüßt nur, wenn er gegrüßt wird.

Miriam und die Eberner Asylbewerber nehmen im Warteraum Platz. Von außen sehr sauber gehalten ist das Gebäude der Außenstelle des Bundesamts, wo Leute aus der ganzen Welt ihren Asylantrag stellen. Im Warteraum stehen nicht nur die Luft, sondern auch die Menschen. Es gibt keinen freien Platz mehr. Zig Menschen haben an diesem Tag um 8 Uhr einen Termin. Viele Kinder streiten sich um ein einziges Schaukelpferd. Miriam sucht die Toilette. Seife gibt es nicht, hygienisch ist etwas anderes. Beim Anblick des Warteraums in der Behörde fröstelt sie: "Willkommenskultur ist da weit weg."

Kurz vor 8 Uhr strömen die ersten Dolmetscher in den Wartesaal und rufen syrische, ukrainische, bosnische, serbische und afrikanische Menschen auf. Ramez und Fatima hören ihre Namen. Sie werden zu ihrem Sachbearbeiter gebracht. Miriam wartet mit Mohamed. Zehn Minuten. Eine halbe Stunde. Miriam beobachtet den Minutenzeiger der Wanduhr. Eine weitere Stunde ist vorbei. Worum es heute geht, wurde Mohamed von einem Anwalt erklärt: "Es ist egal, wie Du nach Deutschland gekommen bist. Denn alle sind ja illegal gekommen. Heute geht es um Deine Fingerabdrücke und ob Du diese schon an die Polizei in einem anderen EU-Land gegeben hast. Dann könnte man Dich dorthin zurückweisen."

Nach zwei Stunden halten Ramez und Fatima ihren Asylantrag in den Händen. Getrennt voneinander wurden sie zu ihrer Flucht aus Syrien befragt, politische Aktivitäten mussten schriftlich dargelegt werden.

Zwölf Fragen mussten sie beantworten (siehe Kasten). "Ich hatte zwar einen Dolmetscher aus Syrien. Aber dass mein Großvater Abdullah Abdullah heißt, wollten sie mir nicht glauben", berichtet Ramez etwas verzweifelt.

Miriam fragt sich, wie das mit der interkulturellen Kompetenz der Sachbearbeiter ist: "Nach so vielen Tausend Anträgen könnte doch bekannt sein, dass das ein typisch arabischer Name ist."

Vier Stunden umsonst gewartet

Mohamed wartet immer noch. Mittlerweile schon knapp vier Stunden. Wie alle anderen hatte auch er um 8 Uhr einen Termin. Kurz vor 12 wird sein Name aufgerufen. Ein Dolmetscher gibt ihm seine Papiere zurück: "Wir machen jetzt eine Stunde Mittagspause und danach kommen Sie um 13 Uhr bitte wieder", sagt der Mitarbeiter zu ihm. Mohamed stockt der Atem. Er hat vier Stunden umsonst gewartet.

"Es tut uns leid. Aber dahinter steht keine Willkür, das verspreche ich Ihnen", erklärt der Mitarbeiter - "seitdem so viele Menschen hier ankommen, tun die Mitarbeiter, was sie können. Wir können leider keine genaueren Termine vergeben."

Miriam platzt fasst der Kragen. Um 5.30 Uhr sind sie an diesem Tag in Ebern aufgebrochen, um pünktlich zu sein.
Vielleicht stecke dahinter wirklich keine Willkür. Was für Miriam aber feststeht: Respekt gegenüber den Menschen, die nach Schutz suchen, steht hier auf der Tagesordnung nicht ganz oben. Der Mensch wird zur Akte. Und die Akte wird bearbeitet, wenn es gerade passt.

Miriam schämt sich etwas. Für die abschreckende Politik und die vermeintlichen Werte, die in ihrem Land in Sachen Asylpolitik gelebt werden.

(*Namen von der Redaktion
geändert)



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