Stift fallen lassen - "Stift" werden

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Andreas Müller (rechts) hat sich gegen den Beruf als Lehrer und für eine Ausbildung zum Zimmerer entschieden. Dank der Handwerkskammer hat er die Arbeit gefunden, die ihn und seine Kollegen, Meister Anton Brand (Mitte) und Vorarbeiter Bernd Hauck, glücklich macht. Foto: Friederike Stark
Andreas Müller (rechts) hat sich gegen den Beruf als Lehrer und für eine Ausbildung zum Zimmerer entschieden. Dank der Handwerkskammer hat er die Arbeit gefunden, die ihn und seine Kollegen, Meister Anton Brand (Mitte) und Vorarbeiter Bernd Hauck, glücklich macht.  Foto: Friederike Stark
Christina Huck
Christina Huck
 

Die Handwerkskammer Unterfranken vermittelt Studienabbrechern Lehrstellen. Für Azubi Andreas Müller (Sand) ist der scheinbare Abstieg ein Aufstieg.

Vor Kurzem erst stand Andreas Müller noch als Lehrer vor der Klasse und unterrichtete. Ein Jahr später drückt er selbst wieder die Schulbank. Der 29-Jährige hat nach einem abgeschlossenen Studium mitten auf dem Weg zum Lehrerdasein seine Laufbahn verlassen, um Zimmerer zu werden. Der Grund: "Ich wollte raus aus dem Hamsterrad."


Sicherheit schreckt Müller ab

Denn sein beruflicher Werdegang war vorgezeichnet. Vom Abschluss an der Uni bis zum letzten Arbeitstag wusste Müller, wie sein Berufsleben aussehen würde, inklusive fester Ferientage und vorgegebener Gehaltsstufen. Doch genau diese Sicherheit engte den Sander, der aus Haßfurt stammt, ein. "Meine Freiheit ist mir wichtiger als mein Gehalt", sagt Müller. Also schmiss er alles hin und ging zur Handwerkskammer. Dort saß er im Büro von Karriereberaterin Christina Huck und blickte einer neuen Zukunft entgegen.

Die Karriereberaterin hörte sich Müllers Anliegen an und suchte eine seinen Interessen entsprechende Alternative. "Ohne einen Tag arbeitslos zu sein, konnte ich letztes Jahr meine Ausbildung bei der Zimmerei Giebfried in Theres anfangen", erzählt Müller und fügt zufrieden hinzu: "Zum ersten Mal seit dem Abitur kann ich abends abschalten."

Dafür ist der 29-Jährige seiner Firma und der Karriereberaterin Huck dankbar. Und auch die Handwerkskammer ist froh, Leute wie Andreas Müller vermitteln zu können. "Für das Handwerk sind die Studienabbrecher ein wichtiger Faktor", erklärt Karriereberaterin Huck. Im Handwerk herrsche Nachwuchsmangel. "In den nächsten Jahren stehen viele Betriebe vor der Übergabe, aber es fehlt an Nachfolgern", weiß die 37-jährige Juristin. Gründe dafür seien die Demografie und die Tatsache, dass etwa die Hälfte eines jeden Jahrgangs inzwischen Abitur mache. "Die Abiturienten fangen dann einfach an zu studieren, weil es dazugehört." Jedoch längst nicht alle sind zufrieden mit der Aussicht auf eine Akademikerlaufbahn. Genau die will die Handwerkskammer mit ihrem "Karriereprogramm Handwerk - Vom Campus in den Chefsessel" erreichen.


Erfolgreiches Pilotprojekt

Die Handwerkskammer Unterfranken startete 2012 als erste bundesweit dieses Pilotprojekt, um qualifizierte Fachkräfte für das Handwerk zu mobilisieren und gleichzeitig den nicht geringen Prozentsatz der Studierenden zu erreichen, die nach Alternativen suchen. Inzwischen ist das Programm als sogenanntes Jobstarter-plus-Projekt gelistet und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Europäischen Sozialfonds gefördert.

Ein Glücksfall für Betriebe wie auch Studienabbrecher, weiß Karriereberaterin Huck. So haben die ehemaligen Studierenden aufgrund ihrer Vorbildung und ihrer Reife ein hohes Potenzial, die Führungskräfte von morgen zu werden. "Die Studienabbrecher wiederum können dank ihres Abiturs die Ausbildungszeit verkürzen", erklärt Huck. Außerdem könne im Einzelfall eine an der Uni erbrachte Leistung für die Ausbildung angerechnet werden. Zu guter Letzt verdiene der Auszubildende darüber hinaus ab dem ersten Tag eigenes Geld.

"Viele Studienaussteiger wollen am Ende des Tages ein Ergebnis ihrer Arbeit sehen", weiß Huck. Andere seien mitunter überfordert mit dem Leben als Studierender oder wüssten noch nicht, was genau ihre Interessen sind. "In einem Erstgespräch frage ich Interessen ab und suche gemeinsam mit dem Aussteiger nach dem richtigen Gewerk", erklärt Huck ihr Vorgehen.


Auswahl aus 130 Gewerken

Viele seien überrascht, dass es neben den bekannten Berufen im Handwerk zahlreiche andere Möglichkeiten gibt. "Kaum einer weiß, dass es rund 130 Gewerke gibt", sagt Huck.
Viele Anfragen bekommt Huck von jungen Männern. "Was allerdings schade ist. Ich kann immer nur an junge Frauen appellieren, sich einmal beraten zu lassen, denn es gibt unzählige Möglichkeiten", sagt Huck.


Berufliche Freiheit gewonnen

Andreas Müller hat nach dem Germanistik- und Theologiestudium sowie den ersten Erfahrungen als Lehrer den richtigen Weg mit 29 Jahren gefunden. Und er bereut nichts. "Ohne das Studium wäre ich nicht der, der ich heute bin", sagt Müller. Natürlich lese er immer noch für sein Leben gerne und er respektiere Lehrer sehr für ihre Arbeit. Doch seine Zukunft findet nicht im Klassenzimmer statt. Stattdessen weiß der Sander nicht, was er in ein paar Jahren machen werde. "Die Möglichkeiten als Zimmerer sind so zahlreich", sagt Müller. Und genau diese offene Zukunft war das, was Müller gesucht und im Handwerk schließlich gefunden hat.