Die Haßfurter zeigen sich offen für moderne Ausdruckskraft. Beim ersten Poetry Slam am Freitag im Kleinen Saal der Stadthalle sind sogar Stehplätze gefragt. Vier Haßbergler wagen sich auf die Bühne, darunter Monika Schraut aus Zeil.
In zweieinhalb Stunden passen jede Menge Botschaften. "Ich bin Täter. Ich bin Opfer. Wie du." Monika Schraut schleudert die Worte heraus, sie streckt die Hände aus, verzieht das Gesicht, hebt die Stimme laut an, wird leiser. Sie zementiert ihre Worte, die für einige Sekunden im Kleinen Saal in der Haßfurter Stadthalle nachhallen, bevor der Applaus die Poetin aus Zeil von der Bühne geleitet.
Monika Schraut ist eine von denen, die sich spontan am Eingang der Stadthalle in die so genannte Offene Liste eingetragen haben. Wobei nur so viel Spontanität möglich ist, als dass mindestens ein vorzutragender Text dabei sein muss. Monika Schraut ist eine etwas ältere Frau, um genau zu sein, Leiterin der Zeiler Singschule, und sie hat sich auch schon als Leserin bei der Frauenlesenacht bewährt. Sie experimentiert gerne, wagt sich an Grenzen. Aber das tut nichts zur Sache, denn die Haßfurter beweisen beim ersten Poetry Slam am Freitag Neugier und Begeisterungsfähigkeit für die moderne Form der Poesie. In den ersten Publikumsreihen applaudiert man immer wieder heftig. Der Moderator spricht von "richtig tollen Beiträgen". Doch lange nicht nur Poesie, nicht immer Reimerei oder überintelligente Dichterkunst erlebt das Publikum.
Was ist Poetry Slam? "Wenn die Realität der Hoffnung auf die Fresse haut" (Caddy Cutz) und "wir uns über Stau ärgern, wenn der nächste Lastwagenfahrer stirbt" (Julian Kalks). Poetry Slam ist unverblümt, ehrlich, lustig, nachdenklich, unerschrocken, aufklärend, hart, ekelerregend, heimatliebend, schnell, langsam, laut, leise, auswendig oder abgelesen. Bei einer solchen "Dichterschlacht" sind nahezu alle Wörter erlaubt. Und wenn die deutsche Sprache eines slam-baren Sachverhalts noch nicht mächtig ist, wird eben ein neues Wort kreiert.
Zensiert wird davon im Voraus keines. Weder vom Moderator Christian Ritter noch von den Veranstaltern, in diesem Fall vom Bibliotheks- und Informationszentrum (Biz) Haßfurt.
Vor ausverkauftem Haus, bei dem die Besucher sogar für fast drei Stunden stehend auf der Empore den literarischen Wettkampf verfolgen, scheint sogar die "Profi-Slam-Fraktion" überrascht zu sein. Ritter sitzt mit den sechs anderen Poeten, die er für diesen Abend engagiert hat, auf der rechten Seite der Bühne. Dass er die Beiträge "richtig, richtig geil" findet, sieht man dem Moderator an, der auch in den Nachbarstädten Würzburg oder Bamberg einen Poetry-Slam-Abend nach dem anderen moderiert und hin und wieder auch sich selbst ins dichterische Wettgeschehen einbringt und in die Rolle des Slammers schlüpft.
Eine Rolle, die in so viel mehr Menschen zu schlummern scheint, als man vermutet. Das Prinzip ist ja eigentlich auch denkbar einfach, und alles ist erlaubt - "Hauptsache selbstgeschrieben". Und davon gibt es an diesem Abend Facettenreiches zu hören. Abgedruckt auf einem weißen Din-A4-Blatt, das dem Lampenfieber standhalten muss, gebunden in einem Buch, mit farbigen Haftzetteln kategorisiert oder in schwarzen Buchstaben auf dem Handybildschirm leuchtend.
Mutter-Tochter-Abend Es gibt nichts, was nicht verstanden wird. Selbst bei einem Text ohne das wichtige, aber so häufig verwendete "e" sind die Zuhörer spendabel mit Applaus. "Das Schöne war, dass heute auch mal ältere Leute vorne standen", sagt Dagmar Schnös. Sie ist 47 Jahre und hat eine 16-jährige Tochter, Paulina. Auch sie ist beim ersten Poetry-Slam hier dabei. Abende wie diese erleben Mutter und Tochter gemeinsam. "Das ist jetzt schon unser dritter gemeinsamer Slam", sagt Paulina. Einigen Haßberglern ist die moderne Slammerei schon lange ein Begriff. Und die, die nicht wussten, was auf sie zukommt, "das sind so ungefähr 57 Prozent", überschlägt Ritter blitzgeschwind bei seiner Einmal-die-Hand-heben-Abfrage, lassen sich von dem "richtigen coolen" Programm mitnehmen.
Die Besucher lachen bei primitiven Wortwitzen, ja. Lassen sich auf überraschende Wendungen ein. Reagieren mit Atem-Anhalten oder frenetischem Applaus auf die mal lustigen, mal bitter-melancholischen Anklagen an den Alltag. Alles in allem "haben wir uns einige gute Argumente geliefert, warum dies nicht der letzte Poetry Slam in Haßfurt gewesen sein sollte", sagt Ritter.
Poetry Slam ist an diesem Abend alles vom frischgebackenen Brot des ehrlichen Bäckers Andreas Rebholz aus dem Schwabenland, der mit seiner "Pampa-Poesie" gewonnen hat, bis hin zur Sitzung, bei der sich der "Lebensgeist ... durch die Gedärme beißt".