In der Christuskirche in Ebern stellen nun Luftballons Jesu Leiden und Tod dar. Die Mehrzahl der Besucher reagiert positiv. Der Künstler Gerhard Rießbeck hätte gerne auch mit den Kritikern gesprochen.
Seit dem Reformationstag ist in der Christuskirche in Ebern alles anders. Ein farbiges Kunstprojekt von Gerhard Rießbeck aus Bad Windsheim hat in der evangelischen Kirchengemeinde einiges grundlegend verändert.
"Ist ihnen das bewusst?", konfrontierte das Kirchenvorstandsmitglied Gabriele Genslein den Künstler Gerhard Rießbeck, der zum Eröffnungsgottesdienst seines Werkes nach Ebern gekommen ist, "wir haben jetzt eine ganz andere Kirche." Im Rahmen des Projektes "12 (W)Orte" standen im Kirchenkreis Bayreuth im vergangenen Jahr Künstler, Gemeinden und Bibelworte im "Trialog"-Austausch. Die ersten konkreten Überlegungen für diese neue Art, Kirche und Kunst miteinander in Verbindung zu bringen, brachte die Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner schon im November 2010 ein.
Das Jahresthema der Lutherdekade 2015 "Reformation - Bild und Bibel" war in den Augen der Schirmherrin für dieses Projekt der richtige Rahmen.
Die zumeist oberfränkischen Künstler arbeiteten ein Jahr an ihren Werken für die zwölf verschiedenen Kirchen. "Es war gar nicht so leicht, für Ebern den richtigen Künstler zu bekommen", konnte sich Katrin Ruppert erinnern, die als Vertreterin des Kirchenvorstandes immer wieder bei Arbeitstreffen im Kirchenkreis dabei war. "Erst als uns ein anderes Bibelwort, nämlich das vom Lukas-Evangelium zu Jesu Kreuzigung und Tod zugesprochen wurde, waren wir für die Künstler interessant."
Raum für die Malerei Gerhard Rießbeck interessierte sich für Ebern.
"Ich bin der einzige Maler unter den Künstlern in diesem Projekt", sagte der 50-jährige Künstler, "und da muss man genau schauen, wo die Malerei überhaupt unterkommen kann. In Ebern habe ich die Möglichkeit dafür gesehen. Denn da gab es im Gegensatz zu anderen Kirchen viele weiße Wände." Von Anfang an war ihm klar, dass das geringe Künstlerhonorar von 3000 Euro seinen Aufwand überhaupt nicht decken würde. "Ich habe teilgenommen, weil das Projekt einen interessanten Kontext bietet. Und das war für mich sehr spannend."
Insgesamt elf Stunden waren Gerhard Rießbeck und seine Helfer vergangene Woche beschäftigt, die bunten Luftballons an der Wand und das Rundgemälde mit Dornenkrone, Ballons und Himmel an der Decke zu befestigen. "Wie sie sehen, es hält", begrüßte Pfarrer Bernd Grosser die Gemeinde zum Festgottesdienst. Doch alle wollten sich nicht davon überzeugen.
Es gab sehr viele Diskussionen um Rießbecks Vorstellung, Jesu Leiden und Tod mit derart banalen Elementen darzustellen. "Es ist schade, dass nicht alle gekommen sind und die Möglichkeit wahrgenommen haben, mit dem Künstler zu diskutieren", sagte Pfarrer Grosser.
"Natürlich stört das Bild manche Leute. Aber dadurch ist jetzt kein Riss durch die Gemeinde entstanden", ergänzte Katrin Ruppert, "es sind eine Handvoll Personen. Sie machen das vielleicht aus Protest aber auch aus Eigenschutz."
Harmonisches Gemeindefest Gerade deshalb hatte Gerhard Rießbeck mit viel mehr Kritik gerechnet. Doch der Gottesdienst, die Vorstellungen des Kunstwerkes und das Kunstkaffee mit heimischer Kunst vom Ehepaar Werner und Irmgard Eichler im Gemeindehaus, bildeten zusammen ein sehr harmonisches Gemeindefest.
"Das ist wie bei menschlichen Beziehung", meinte Rießbeck zu dieser Tatsache, "wenn jemand etwas sagt, und der andere keine Chance hat, sich zu entschuldigen." Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv. Allenfalls Details wurden kritisiert.
In bislang bekannten Entwürfen waren nicht so viele Luftballons an der Wand zu sehen, wie es nun in der Realität umgesetzt wurde. Das Kunstwerk ist ein Prozess. "Theoretisch ist es möglich", sagt Rießbeck, "die Anordnung und Menge der Luftballons zu ändern. Aber durch die jetzige Anordnung ist der Altar und die Kanzel durch die Luftballons gerahmt, sie stehen im Zentrum der Kirche."
Das Kunstwerk wird nun im Rahmen des Projektes "12 (W)Orte" für ein Jahr in der Christuskirche in Ebern verbleiben. "Am Gemeindefest im nächsten Jahr werden wir dann abstimmen, ob wir das Kunstwerk kaufen. Das wird noch einmal spannend", weiß Pfarrer Bernd Grosser bereits heute.
Ersten Schätzungen nach beläuft sich der Preis auf 25 000 Euro.
Erklärungen des Künstlers Der Künstler Gerhard Rießbeck erklärte sein Werk aus Luftballons, Dornenkrone und blauem Himmel, das auf Aluplatten gemalt an Decke und Wand angebracht sind, in einer längeren Rede:
Waren Sie schon einmal in einer römischen Katakombe? Besonders wenn man sich für christliche Kunst interessiert, ist das ein großes Erlebnis. Sehr schön lässt sich dort ablesen, wie sich die frühe christliche Gemeinde, die noch der Verfolgung ausgesetzt war, allmählich eine eigene Bild- und Symbolwelt erschuf:
Zuerst bilderfeindlich eingestellt, wuchs schon bald das Bedürfnis, dem neuen Glauben auch bildlich Ausdruck zu verleihen: Anleihen aus der Bildwelt der heidnischen Kulte ringsum waren dabei, so z.B.
die Gestalt des "Guten Hirten", der ein Lamm auf den Schultern trägt, oder der geflügelte Liebesgott Cupido, der zum Engel mutiert.
Aber auch eine ganze Reihe unscheinbarer Motive aus der damaligen Alltagswelt fanden Eingang als Schmuck der Grablegen und geheimen Versammlungsräume: ein Korb mit Brot und Fischen, Tauben, Pfaue, Lämmer, eine Versammlung von Menschen, die sich zum Mahl nieder gelassen haben.
Für Außenstehende - und vor allem die verfolgende Polizei - waren das nichtssagende Genreszenen. Aber die Gemeindemitglieder sahen in diesen banalen Darstellungen lesbare Hinweise, Symbole für die Inhalte ihres Glaubens: Der Fisch stand für Christus, die Taube für den heiligen Geist usw.
Viele Jahrhunderte sind seit dieser Zeit vergangen, das Christentum hat sich erstaunlicherweise aus dem Geheimkult unter Vielen zu einer Weltreligion entwickelt und die christliche Ikonographie füllt unzählige Kirchen und Museen.
Diese Bildsprache ist uns vertraut, zum Teil so sehr vertraut, dass wir sie gar nicht mehr als tiefgründige Aussagen wahrnehmen können.
Und natürlich - und ich meine jetzt im Wortsinn ,natürlich" - hat sich vieles verändert seit der Zeit der frühen Christen: Denn, das wissen wir aus der Natur, was sich nicht verändert, was nicht mitwächst, das stirbt. Dass das Christentum auch nach 2000 Jahren noch lebendig ist, dankt es seiner Wandlungsfähigkeit und gleichzeitig seinem festen Wesenskern, der es bei aller Veränderung nicht sich selbst entfremden lässt.
Die christliche Kunst hat sich nicht ganz so kontinuierlich entwickelt: seit dem 19. Jahrhundert finden die prägenden Strömungen der jeweils modernen Kunst - mit wenigen Ausnahmen - nicht mehr den Weg in die Kirchen.
Die Entwicklung der christlichen Bildvorstellung scheint stehen geblieben zu sein.
Sie als Angehörige dieser Gemeinde werden heute mit einem veränderten Kirchenraum konfrontiert und ich kann mir vorstellen, dass mein künstlerischer Eingriff für viele von Ihnen eine überraschende, ja vielleicht schockierende Neuerung darstellt. Farbe ist eingezogen, wo sonst nüchterne weiße Architektur vorherrschte. Bunte Luftballons umgeben das Lamm Gottes. Sie lenken den Blick nach oben: Der Himmel hat sich geöffnet, eine Dornenkrone zeigt sich; um sie herum schweben wiederum bunte Luftballons.
Ist das nicht banal? Schaut das nicht aus wie ein Kindergeburtstag am falschen Ort? Und die Dornenkrone passt doch gar nicht zu der scheinbaren Heiterkeit der Ballons.
Darf man so etwas machen: Das Heilige mit dem Banalen konfrontieren? Ist das nicht vielleicht sogar blasphemisch?
Bestimmt nicht: Jesus ist in eine harte Welt voll von Banalitäten hinein geboren worden. Bald kommt wieder die Zeit, wo wir die Krippe, Jesus in Windeln und Ochs und Esel in der Kirche sehen können. Dinge, die für uns mit einer weihnachtlichen Aura versehen sind - und doch bloß dem Alltag einer kleinen armen Familie entstammen. Und wir selbst leben doch auch in einer Welt, der so gar nichts ,Heiliges' anhaftet.
Warum also sollte der Luftballon aus unserer heutigen Zeit dieses fragile Gebilde, das zwischen Himmel und Erde schwebt, nicht genauso zum Symbol taugen können, wie einst Fisch, Brot und Taube? (...)"
Stimmen aus der Gemeinde Ist es Provokation, Banalität oder einfach geschmacklos, Jesus Leiden und Tod mit Luftballons an der Wand darzustellen? Oder doch einfach
schön? Die Ideen von Gerhard Rießbeck der letzten zwei Jahre hängen nun an Decke und Wand der Christuskirche in Ebern. Dazu beziehen Kirchenbesucher Stellung.Adolf Kunzmann aus Untermerzbach: "Das gehört zur Kunst dazu, dass es mehrere Lesbarkeiten gibt.Alle Symbole des Christentum waren einmal ganz banale Symbole. Solch einen Stellenwert kann jedes erreichen - auch ein Luftballon. "
Gottfried Hofmann aus Ebern: "Ich habe das Bild vorher kurz in der Zeitung gesehen. Den Text habe ich nicht gelesen. Für mich ist das klassischer Surrealismus. Da ist alles richtig. Der Luftballon ist ein Symbol für schnelle Vergänglichkeit. Für mich passt da einfach alles zusammen. Vorher war die Kirche ein leerer Raum."
Christian Frieß aus Ebern: "Ich bin geprägt von der Schlichtheit der Christuskirche. Und das schon seit 50 Jahren. Mit der Zeit ist mir die Christuskirche sehr ans Herz gewachsen.
Ich kann das Projekt jetzt nicht aufhalten. Im nächsten Jahr werde ich wohl zu den Menschen gehören, die sich gegen das Kunstwerk aussprechen werden."
Katrin Ruppert aus Ebern: "Etwas sprachlos war ich von der Menge der Luftballons, die jetzt an der Wand hängen. Aber ich lasse das einfach mal auf mich wirken. Die Verbindung zwischen Kirche und Kunst kann man sehr gut erleben. Die Verbindung reizt einfach, so können wir Menschen locken. Vor allem an den drei heiligen Tagen an Ostern werden wir uns, als Gemeinde, ganz intensiv mit dem Kunstwerk auseinandersetzen."
Werner Eichler aus Ebern: "Ich habe das ja zuerst abgelehnt. Aber jetzt finde ich es wunderschön. Es öffnet die Kirche nach oben. Es ist ein anderer Raum geworden. So wie Herr Rießbeck es gesagt hat: Man muss für alles offen sein. Man darf nicht immer konservativ denken, denn sonst kommt man nicht weiter im Leben.
Da ich selber viel mit Stahl arbeite, gefällt mir aber das Kunstwerk von Gerd Kanz in Schottenstein am besten."
Irmgard Eichler aus Ebern: "Ich habe den Entwurf des Kunstwerkes vorher nie gesehen. Bei der Ausstellung in der Xaver-Mayr-Galerie hat der Professor das Werk genau erklärt. Da habe ich mir gedacht, ja, das ist eigentlich so in Ordnung. Heute habe ich das Kunstwerk das erste Mal gesehen. Es ist einwandfrei, das passt wunderbar. Es lockert alles auf und es gibt keine weißen Wände mehr. Mir gefällt es. "