Hofheimer Musiker erfinden sich neu

4 Min
Katharina zeigt die edle neue Trommelflöte.
Katharina zeigt die edle neue Trommelflöte.
Bernd Werner und Ludwig Klarmann vor den Instrumentenschränken
Bernd Werner und Ludwig Klarmann vor den Instrumentenschränken
 
Noten am laufenden Meter
Noten am laufenden Meter
 
Die neuen Uniformen des Hofheimer Fanfaren- und Spielmannszuges orientieren sich am historischen Landsknecht-Vorbild. Vorneweg der Schellenbaum, dahinter der Tambour, Rainer Stark. Foto: Archiv
Die neuen Uniformen des Hofheimer Fanfaren- und Spielmannszuges orientieren sich am historischen Landsknecht-Vorbild. Vorneweg der Schellenbaum, dahinter der Tambour, Rainer Stark. Foto: Archiv
 
Fotoshooting für den Flyer
Fotoshooting für den Flyer
 
Der ganze Stolz des Spielmannszugs: der Schellenbaum, wohlverwahrt in der Holzkiste.
Der ganze Stolz des Spielmannszugs: der Schellenbaum, wohlverwahrt in der Holzkiste.
 
Die Uniformen früher: barock.
Die Uniformen früher: barock.
 
Simon Wedanger und die Baseler Trommel.
Simon Wedanger und die Baseler Trommel.
 
Pauken und eine Trommel
Pauken und eine Trommel
 

Der Fanfaren- und Spielmannszug ist ein besonderer Klangkörper. Als einziger seiner Art in Deutschland tritt Hofheim in historischem Gewand und bald komplett mit historischem Instrumentarium auf. Vorstand und Mitglieder bilden so etwas wie einen lebenden Organismus.

Das Holz fühlt sich gut an. Schwer und warm liegt die Flöte in der Hand. Grenadilleholz mit Neusilberzwingen. Edel. "Hat aber schon dieselben Griffe?!", fragt Katharina bang. "Nein, neue Grifftabelle", meint Silke Johanni, und Katharina verzieht das Gesicht. Vorsichtig bläst sie ein paar Töne an: "Spielt sich leicht," stellt die 13-Jährige erstaunt fest.
Das kleine braune Kunstwerk hat Rainer Stark aus der Luftpolsterfolie gewickelt und präsentiert. Wohl über 20 Flöten brauchen die Frauen und Mädchen des Hofheimer Fanfaren- und Spielmannszugs. Und die schafft der Verein an. Denn aus dem Klangkörper soll etwas Unverwechselbares werden - deutschlandweit.


Marschprobe in der Kälte
Die 70-köpfige Haßberge-Truppe zieht mit. Eben standen 40 Aktive bei gefühlten Minus fünf Grad auf dem Sportplatz für die Marschprobe mit Jürgen Bereiter.

Die Kälte "hat uns schon a weng Konzentrationspunkte gekostet," kommentiert das Stark, der Zweite Vorsitzende, mit einem Schmunzeln.

Keine Frage für Oberstleutnant a.D. Bereiter, den Marschausbilder der Hofheimer, dass man so eine Lage meistern muss. Der 68-Jährige gebürtige Hofheimer lebt heute in Nüdlingen bei Bad Kissingen. Ehrensache, dass er den Weg nach Hofheim zwei, drei Mal, wenn nicht öfters, jede Woche fährt. Etliche Aktive aus Coburg, Haßfurt, Königsberg tun es ihm nach. Etwa die aus Rügheim stammende Silke Johanni, die mit ihrem Mann Dominic in Röthlein bei Schweinfurt wohnt. Von da aus greifen sie ins Internet, halten mit ein paar Klicks die Homepage vorbildlich aktuell, fertigen nebenbei Plakat und Flyer für den jetzt anstehenden musikalischen Familiennachmittag am 21. April und sind auch im Zug aktiv. Die Industriekauffrau, die nebenbei auch die Flöten-Mädchen ausbildet, braucht sich zum Ausruhen nach dem beruflichen Alltag nicht aufs Sofa zu setzen. Das Spielen, meint sie, ist gut für sie, "zum Runterkommen und Abschalten, das ist Erholung".

Rainer Stark, Sohn des Gründungsmitglieds Hans Stark, geht es im Grunde genauso. Er marschiert mit seinen 47 Jahren nun seit 41 Jahren im Zug mit, als Tambour inzwischen an vorderster Front - und er ist ein wandelndes Lexikon, vor allem für Eltern und Kinder beim Schnuppernachmittag im April. Was hat es beispielsweise mit dem Schellenbaum auf sich, den ein Spielmannszug stolz mit sich führt an vorderster Stelle? So ein Schellenbaum hat die Zeiten seit der Türkenkriege überdauert. Die Janitscharen, also die Ehrengarde des Sultans, führten einen solchen Glockenbaum (auch Becken und Trommeln) mit sich: "Man konnte ihn sogar spielen", erzählt Stark. "Aus dem Schellenbaum ist in Orchestern die Lyra geworden."

Feilen am neuen Sound
Zum Vereinsabend mitgebracht hat er auf dem Handy ein Landsknechtlied aus dem 15. Jahrhundert, "von Youtube heruntergezogen". "Die Flöten sind gut, die kommen gut raus", meint Jürgen Bereiter. Die Noten dazu hat man schon bestellt. Und da wird sich die neue Flöte wohl gut machen.

Grenadilleholz ist - genau wie das zur Wahl stehende Cocobelleholz - schwerer als Wasser, es enthält viel Öl und ist damit witterungsbeständiger als andere Hölzer, weiß das Lexikon. Alle schauen fasziniert auf diese Trommelflöte, die einer historischen Schwegelpfeife nachempfunden ist und in Zukunft die metallenen Sandner Spielmannsflöten ersetzen soll.

Sie komplettieren die 120 Instrumente umfassende Sammlung des Vereins. Auch ein wohl einzigartiges Merkmal dieser Musikkapelle, die seit 1960 im Nordbayerischen Musikbund ist und ihren Mitgliedern die Instrumente stellt. Baseler Trommeln gibt es da, Kesselpauken, Naturtrompeten, besser bekannt als Fanfaren.
Inzwischen, weiß Rainer Stark, haben die Komponisten die Spielmannszüge entdeckt, und mit den Notenbeständen wächst das Repertoire. Die Hofheimer sind nicht nur auf Marsch- und Rhythmusmusik spezialisiert - wenngleich ihre lateinamerikanischen Trommelpassagen im Vergleich mit Darbietungen anderer (wie "Samba Areia") keinesfalls schlechter abschneiden.

Bei Liederabenden daheim oder Standkonzerten, regelmäßig etwa beim Kissinger Rackoczy-Fest, sind sie mit Marimbaphon, Xylophon und Glockenspiel verstärkt, eine feste Größe. Was die Hofheimer anspornt ist, dabei zu sein bei Ereignissen wie den Kaltenberger Ritterspielen. "Da wird Wert gelegt auf höchstmögliche Authentizität", sagt Bernd Werner.

Erlebnisreiche Wochenenden
Oder: Traubenfest in Meran, "herrlich", findet das letzte aktive Gründungsmitglied Ludwig Klarmann. Als Fanfarenoberleiter möchte er noch die Deutsche Meisterschaft der Spielleute beim Deutschen Musikfest in Chemnitz mitmachen, und dann kürzer treten. Hunderte seiner Wochenenden gehörten seit 1958 dem Spielmannszug. Stolz ist er, dass er mit seinen 70 Jahren den Oktoberfestmarsch in München 2012 locker mitgehalten hat. "Erst hat's geheißen 110 und dann warns locker 126!" Vorsitzender Bernd Werner zieht grinsend das Smartphone aus der Tasche, um das aufzuklären: Die Metronom-App gibt ein schnelles Piepsen wieder. Silke Johanni ergänzt: "Ich wusste nicht, soll ich Laufen, Spielen oder Atmen!" Und alle lachen.

Sie eint ihr nächstes Ziel. Bis 9. Mai muss alles klappen, denn da tritt man zur Meisterschaft an. "Marschieren ist eine Fortbewegungsform", erklärt Jürgen Bereiter, worauf es ankommt. Bei der Deutschen Meisterschaft der Spielmannszüge in Chemnitz sind Marschfiguren zu sehen, und die vielen Fachleute im Publikum werden mit Kennerblick prüfen, ob die Disziplin stimmt. Seit Beginn dieser Meisterschaften, Anfang 1990, machen die Hofheimer mit. Sie sind schon sehr gut darin, die exakt vorgegeben Abläufe auf das Zeichen des Stabführers, des Tambours, auszuzführen. Ein Spielmannszug muss, beispielsweise, wenn an einer Engstelle ein Stau auftritt, auf der Stelle marschieren können, die Musiker müssen Drehungen und Wendungen beherrschen. "Alles zielt auf eine einheitliche disziplinierte Bewegung", führt der Oberstleutnant a.D. aus, und seine ganze Erscheinung zeigt, wie er das meint: Schultern zurück, aufrechte, fröhliche Haltung, Selbstbewusstsein. "Die Optik und die Musik müssen eine Symbiose eingehen!"

Jetzt stehen die 40 bei den Proben noch in einheitlichem Schwarz auf dem Platz. Gut möglich, dass in Chemnitz ein Erfolg gelingt, denn 2011 hat der Fanfaren- und Spielmannszug investiert in komplett neue Bekleidung. "Die meisten Spielmannszüge tragen eine Fantasie- oder Barock-Uniform", beschreibt es Werner. In Meran hatten die Hofheimer auf den Weg bekommen: "Ihr seid musikalisch top, aber ihr müsst was an euerem Aussehen ändern."

Das ist geschehen. Die grün-weiße Uniform orientiert sich am historischen Landsknecht-Vorbild. Mit einem kompletten historischen Instrumentarium dürfte den Hofheimern in den nächsten Jahren die Welt offenstehen. In Deutschland waren sie ja schon überall, ob auf Borkum oder Usedom, Berlin, Trier. Und auch im italienischen Bozen. Es gibt noch so einiges, das die Hofheimer unternehmen wollen, und nicht nur die Augen der 13-jährigen Katharina glänzen vor Abenteuerlust, wenn man sie fragt, warum sie bei den Hofheimer Spielleuten ist.