Roland Mayer wagte ihn, den "Versuch, aus dem Wissen von gestern und heute Antworten auf die Fragen von morgen zu geben." Und dem Vorsitzenden des Heimatgeschichtlichen Arbeitskreises, gleichzeitig Gemeindearchivar, gelang es am Freitagabend bravourös, den "Jubilar" des Abends, den Ort Gleisenau, ins angemessene Licht zu rücken. Beim Festakt zum 650. Jubiläum des Ebelsbacher Gemeindeteils in der evangelischen Kirche, gleichzeitig Eröffnung der "Historischen Zeitreise" im nahen Schlosspark am Wochenende, erklärte Mayer, dass es nicht feststeht, "wie weit die Spuren des Ortes in die Vergangenheit zurückreichen." Eine genaue Datierung gibt es nicht.
Für Gleisenau bleibe festzuhalten, dass der Name, und damit auch der Ort, älter, "wahrscheinlich erheblich älter", als 650 Jahre ist. "Aber ob Gleisenau 800, 1000 oder 1200 Jahre ist, wird sich wohl nie ermitteln lassen", machte der 60-Jährige deutlich. Das quellenkundliche Schicksal wolle es also, dass im September 2013 "nur" die 650-Jahr-Feierlichkeiten begangen werden.
Nach derzeitigem Forschungsstand wurde Gleisenau erstmals am 8. November 1363, "da stand es schwarz auf weiß in der Urkunde", als "Glissenawe" erwähnt. "Diese Feierlichkeiten sind also nicht das Jubiläum des Ortes, sondern nur das seiner ersten, bisher bekannten Nennung", betonte Mayer. Glei senau bedeute "Zu Gleis, Wegspur, Geleise; Au, durch welche ein Geleise führt; außerdem gleißende, glitzernde Au." So versuchte jedenfalls Lehrer Johann Baptist Leisentritt zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Ortsnamen zu erklären.
Für Mayer "plausibel und nachvollziehbar." Die Namen mit der Endung "au", erfuhren die Zuhörer, sind elbgermanischer Herkunft und gehören einer sehr alten Sprachschicht an.
In der Hand der Patrizier Tintner Mindestens 100 Jahre schrieb das Bamberger Patriziergeschlecht Tintner die Geschichte Gleisenaus mit. Irgendwann gelangte dann das Rittergeschlecht der Kottner in den Besitz des Ortes, allerdings nur für kurze Zeit. Der letzte Besitzer, Jörg Kottner, verkaufte den Ort 1465 laut Urkunde an Heintz Fuchs auf der Wallburg.
Und so kam Gleisenau als Lehen des Fürstbischofs von Bamberg für 300 Jahre in den Besitz der Adelsfamilie von Fuchs. 1548 ließ diese Familie ein Wasserschloss an der Stelle des heutigen Schlosses errichten. Dieses wurde "anno 1771 demoliert und weggerissen" und das heutige als Sommersitz und Jagdschloss errichtet.
"Es entstand eine bedeutende, dreigeschossige Anlage, stilistisch ein Übergang vom Rokoko zum Klassizismus", erklärte Mayer.
Das Schloss gehörte bis 1965 der Familie Groß, dann erwarb es die Firma Kugelfischer, die es in eine Jugendstiftung überführte. Seit 1994 befindet sich die Schlossanlage im Besitz der Gemeinde Ebelsbach.
Roland Mayer dankte dem damaligen Bürgermeister Emil Däschner, der in Gleisenau lebt und seinerzeit zum Verkauf ein realistisches Nutzungskonzept erarbeitet hatte: die Grundschule zieht ins Schloss ein - von vielen als "Bayerns schönste Schule" bezeichnet - und in den Wirtschaftsgebäuden wird die Verwaltungsgemeinschaft untergebracht.
Einst wohnten hier 80 bis 90 Menschen Interessant ist noch die Einwohnerzahl und die Bevölkerungsentwicklung: Lebten vor etwa 500 Jahren nur 80 bis 90 Menschen hier, waren es 200 Jahre
später, 149 Bewohner, verteilt auf 25 Wohnhäuser. 1819 gab es 166 Gleisenauer. Später schwankte sie zwischen 143 und 180. Derzeit haben 562 Menschen ihren Erst- oder Zweitwohnsitz in Gleisenau.
Der Festredner kam nach einer höchst amüsanten Reise in einer "Zeitmaschine", in der er das Leben der Bewohner und das ihrer Nachkommen verfolgte und dabei von Freude und Glück, aber auch von Trauer und Leid erfuhr, zu der Feststellung: Jede Epoche habe ihre Herausforderungen. Die Gleisenauer hätten sich allen gestellt und sie gemeistert. "Dadurch wurde der Ort zu dem, was er heute ist."
"Ein schönes Fleckchen Erde" Landrat Rudolf Handwerker lobte den Ort, der schon immer etwas ganz Besonderes" war, als "ein schönes Fleckchen Erde." Gleisenau sei "ein kleines, liebenswertes, schmuckes Dorf, in dem es sich wunderbar leben lässt." Vor allem die Gemeinschaft, das
Miteinander, Familie und Geborgenheit habe eine große Bedeutung. Für den Kreischef ist eine starke Dorfgemeinschaft, die in den zentralen Fragen zusammensteht und gemeinsam vorangeht, der "beste Garant für die Zukunft eines Dorfes." Er zeigte sich zuversichtlich, dass die rund 500 Gleisenauer die Herausforderungen des demografischen Wandels meistern und wünschte dem Ort "eine ebenso große Zukunft, wie es seine Vergangenheit schon war."
Hans-Georg Rüth, Abteilungsdirektor bei der Regierung von Unterfranken, überbrachte Glückwünsche von Regierungspräsident Paul Beinhofer und betonte die Wichtigkeit, Tradition zu pflegen. Ihn freute es, dass die Regierung von Unterfranken der Gemeinde Ebelsbach "immer wieder finanziell unter die Arme greifen konnte."
Viel Geld für Gleisenau Über eine Millionen Euro an staatlichen Finanzmitteln gab es für den Erwerb
und den Umbau des "für ihre geschichtliche Identität so wichtigen Schlosses Gleisenau." 340 000 Euro flossen in den letzten drei Jahren für die Generalsanierung von Kindergärten und Kinderkrippen. "Diese Gelder sind gut angelegt und sollen dazu beitragen, die Attraktivität ihrer reizvollen Gemeinde mitten im Naturpark Haßberge und vor den Toren der Weltkulturerbestadt Bamberg zu erhalten und zu stärken", betonte Rüth und versprach: "Die Regierung von Unterfranken wird auch in Zukunft die Gemeinde Ebelsbach nach Kräften unterstützen."
Ebelsbachs Bürgermeister Walter Ziegler lud zum Höhepunkt der 650-Jahr-Feier ein, der "Zeitreise der besonderen Art" - "ganz ohne Tricks und geheime Elixiere", eine Zeitreise "zum Mitmachen und Anfassen." Es gehe es in erster Linie darum, "unsere Verbundenheit mit der Vergangenheit zum Ausdruck zu bringen, einer Vergangenheit, die unsere Gegenwart mit geformt hat und die bis
heute spürbar ist. Diese Vergangenheit ist ein Teil von uns."
Herrliche zauberhafte Zeitreise Wo ist denn "Glisinawa"? Auch "Glissenawe" war Vielen zunächst weitgehend unbekannt. Genau dorthin gelangten aber die Besucher, die am Wochenende nach Gleisenau wollten, um am Höhepunkt der Feierlichkeiten anlässlich des 650. Geburtstages teilzunehmen.
Während einer historischen Zeitreise hatte sich der berühmte Schlosspark im Ebelsbacher Gemeindeteil mit seinem Barock-Garten für zwei Tage gleich in mehrere Jahrhunderte zurückverwandelt. Gaukler, Ritter, Büttner, Bettler, Puppenspieler, Märchenerzähler, Musiker und viele mehr bestimmten das einfach atemberaubende Bild.
Das bleibt lange in Erinnerung "Das Fest im historischen Gewand, es wird, da bin ich ganz sicher, es wird allen, die es jetzt miterleben, noch lange in Erinnerung bleiben", sagte Bürgermeister Ziegler, am Samstag und Sonntag besser bekannt als "Walter der Bürgernahe", bereits beim offiziellen Festakt am Freitag Nicht nur für ihn "ein Highlight, das aus dem alltäglichen Dasein herausragt. Solche Unterbrechungen unseres Alltagsablaufs", machte das Gemeindeoberhaupt deutlich, "tun uns Menschen gut, sie bereichern unser Leben, sie verleihen ihm Farbe."
Bei der Eröffnung im Anschluss an den feierlichen Einzug, begleitet vom Fanfaren- und Spielmannszug Hofheim, hielt sich Walter Ziegler auch nicht mit langen Worten auf.
Auf der eilig anberaumten Ratssitzung standen lediglich zwei Tagesordnungspunkte, denen das Gremium einhellig zustimmte: "Wir wollen den Entschluss fassen, mit unseren Gästen zu feiern." Trotz klammer Lage im Gemeindesäckel bekamen zumindest die eingeladenen Ehrengäste Essen und Trinken "solange es ihnen bekommt."
Ausgezeichnete Organisation von Gabriele Schöpplein Für das leibliche Wohl war insgesamt bestens gesorgt. Doch die Besucher bekamen noch weitaus mehr geboten, dank der Hauptorganisatorin, der Ebelsbacher Künstlerin Gabriele Schöpplein, und der tatkräftigen Unterstützung von unzähligen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die vor und hinter den Kulissen sowie natürlich während der Veranstaltung viele Stunden, Tage und sogar Wochen Arbeit investierten.
Sie konnten ein nicht alltägliches Spektakel erleben und im großen Schlossareal gleich mehrere Jahrhunderte hautnah, passiv als auch aktiv erleben. Sie begegneten auf ihrer Zeitreise unter anderem dem katholischen Dominikanermönch Johannes Tetzel (Siegbert Mantel) und dem "achtbaren Weib" des Reformators Martinus Luther, Katharina von Bora (Eleonore von Rotenhan), die sich heftige Wortgefechte lieferten.
Tolle Feuershow Sie machten Bekanntschaft mit Musikern, Puppenspielern, Schminkfeen, Räubern und weiteren wilden Horten. Nach Einbruch der Dunkelheit sorgten viele Lichter und Fackeln, ein tolles Feuerwerk sowie die faszinierende Feuershow der Bremer Gauklerin Silke Schirok für viele "Aaahs" und "Oooohs" bei Groß und Klein.
Auch Gudrun und Fred Weigmann waren "sehr angetan.
Das Ambiente ist einfach toll und passt", schwärmten die beiden Gleisenauer, die zusammen mit ihrem Sohn Maro, dessen Freundin Franziska sowie deren Mutter Jutta Klug, ganz stilecht gekleidet gekommen waren. Und die Eheleute konnten es bestens beurteilen, denn sie sind echte Mittelalterfans und regelmäßig in der ganzen Republik sowie Österreich oder auch Dänemark auf dementsprechenden Märkten unterwegs.
Ursprünglich stand an diesem Wochenende die alle zwei Jahre statfindende "America" in Augsburg auf dem Programm. "Aber wenn man schon eine solche Veranstaltung vor der Haustüre hat, dann geht man auch hin", betonte Fred Weigmann und ergänzte: "Alles hier ist schön gemacht, vor allem mit den verschiedenen Jahrhunderten." "Auch das Essen ist gut. Sau am Spieß, sehr lecker. Kann man empfehlen", lachte Gudrun. Sie haben es jedenfalls nicht bereut, nicht wegzufahren. Vor der Haustüre ist bei den Weigmanns indes wörtlich zu nehmen: ihr Anwesen grenzt direkt an die Schlossanlage.