Sie wollen helfen und werden zum Dank bedroht. Laut dem Bayerischen Roten Kreuz gehört Gewalt gegen Rettungskräfte beinahe schon zur Tagesordnung. Ob das im Landkreis Haßberge auch der Fall ist? Dazu ein Kommentar von Klaus Schmitt.
Gewalt gegen Rettungssanitäter? "Klar gibt es das", sagt Christoph Grimmer. Er ist der Rettungsdienstleiter beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK), Kreisverband Haßberge. "Das gehört zu unserem Beruf wie schlechter Geruch oder Blut eben dazu."
Nicht nur ein Großstadtphänomen
Damit bestätigt er die Aussage des Geschäftsführers des BRK, Leonhard Stärk. Gewalt gegen Rettungskräfte ist laut Stärk keinesfalls ein Großstadtphänomen: "Wir sind mit diesem Problem in der Mitte der Gesellschaft angekommen." Der Landesverband stellte deswegen vergangene Woche das Ergebnis einer Studie zum Thema Gewalt gegen Rettungskräfte vor. Laut dieser kam es 2015 zu rund 180 Fällen verbaler oder körperlicher Gewalt gegen Rettungssanitäter. "Die Dunkelziffer liegt deutlich höher", sagte Stärk.
Christoph Grimmer schaut ungläubig. "180 Fälle, das ist lächerlich. Die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher." Er vermutet, dass es sich bei den genannten Fällen nur um diejenigen handelt, die dokumentiert wurden. "Wir haben ein eigenes Dokument, um solche Ereignisse festzuhalten." Dokumentation von Aggressionsereignissen nennt sich der Fragebogen, der auf eine DIN-A4-Seite passt. Der betroffene Rettungssanitäter kreuzt darauf an, wie er bedroht wurde, warum und von wem. Er gibt an, wie gefährlich die Situation war und wie sie gelöst werden konnte.
"Zwei Stück habe ich 2015 davon erhalten", sagt Grimmer. Also gab es nur zwei Vorfälle? Von wegen, sagt Grimmer. "Aber man hat sich damit einfach abgefunden."
Er fragt seinen Kollegen Klaus Schindler, der seit über 40 Jahren Einsätze fährt: "Hast du schon mal einen dieser Fragebogen ausgefüllt?" Schindler überlegt: "Nee, glaube nicht. Wir müssen so viel dokumentieren, da fällt so was hinten runter. Und was würde das auch ändern?"
Schärfere Strafen überdenken
Der Landesverband hat im Zuge der Studie etwa die Forderung an die Politik formuliert, eine Strafverschärfung für Angriffe gegen Einsatzkräfte zu überdenken. Außerdem sollen Mitarbeiter geschult werden, um Deeskalationsmaßnahmen zu erlernen.
"Wir machen Deeskalationsschulungen mit der Polizei", sagt Grimmer. Dennoch: Manchmal weiß man nicht mehr weiter. So geht es auch Schindler, der in seinen 40 Jahren eigentlich so gut wie alles schon erlebt hat. "Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung ist gestiegen", hat Schindler das Gefühl. Früher habe es auch immer mal gewaltbereite Personen gegeben. "Aber die Gesellschaft hat sich verändert", sagt Schindler.
Laut Statistik gibt es zwar keine signifikante Zunahme der Gewalt gegen Rettungskräfte.
Doch das wird eben auch kaum dokumentiert. "Ich hab' schon auch das Gefühl, dass es mehr wird", pflichtet Grimmer seinem Kollegen bei. Doch er ist sich unsicher, woran es liegt. "Wir haben auch mehr Einsätze als früher", erklärt er. 2015 stieg die Zahl der Einsätze im Vergleich zum Vorjahr um etwa acht Prozent. "Mehr Einsätze, mehr Vorfälle", meint Grimmer.
Doch um was für Vorfälle handelt es sich konkret? Meistens seien die gewaltbereiten Personen betrunken. "Und fast immer gibt es keinen nachvollziehbaren Auslöser", weiß Grimmer. So auch bei einer Kollegin eines anderen Kreisverbandes in Bayern: Daniela Janzen, seit 20 Jahren ehrenamtlich beim BRK, versorgte im vergangenen Jahr einen betrunkenen Mann am Rande eines Faschingszugs, als dieser plötzlich anfing, wild um sich zu schlagen. Janzen trug eine Gehirnerschütterung davon.
"Das kann schon an den Nerven zehren, wenn man helfen will und man dafür dann beleidigt oder bedroht wird", sagt Schindler. Er findet es gut, dass das Thema angesprochen wird und die Bevölkerung das erfährt. "Vielleicht sind die Leute dann etwas sensibler. Denn wir sind doch an sich die Guten."
Kommentar von Klaus Schmitt: Eine Frage des Charakters und des Respekts
Eigentlich ist es nicht zu glauben: Rettungskräfte wollen helfen, und zum Dank dafür werden sie angepöbelt oder gar angegriffen - von denen, denen sie helfen. Das gibt's doch nicht, möchte man ausrufen. Aber die Realität ist so.
Polizisten können das bestätigen. Immer wieder werden sie das Ziel von Attacken. Woche für Woche melden die Dienststellen Angriffe gegen ihre Beamten. Die Gewaltbereitschaft und die Brutalität nehmen zu.
Läuft da etwas falsch in der Gesellschaft? Ja, natürlich. Vielen Menschen ist die Achtung vor dem Leben anderer Menschen abhanden gekommen. Respekt und Wertschätzung fehlen. Die einfache Regel "Behandle andere Menschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest" gilt nicht mehr. Stattdessen heißt es: Ellbogen raus, ich bin im Recht!
Dazu beigetragen hat das Internet. Es hat Hemmschwellen fallen lassen und Schleusen geöffnet, die ungezügeltes Verhalten, Gemeinheiten und Lügen befeuern. Die Anonymität schützt und macht noch aggressiver. Wer sich daran beteiligt, muss sich fragen lassen, welchen Charakter er hat. Auch wenn es nach wie vor viele liebenswerte und vernünftige Menschen gibt, bereitet einem die Entwicklung hin zu mehr Gewalt, Hetze und Egoismus doch Sorge. Wohin führt das?