Rein rechnerisch prophezeit die Agentur für Arbeit dem Landkreis Haßberge in den nächsten Jahren mehr Stellen als Bewerber auf dem Ausbildungsmarkt. Der Demografiewandel ist nicht der einzige Grund - und nicht jeder will Maler werden.
"Ihr sucht eine Antwort, warum so viele Lehrstellen frei bleiben?" - Mit diesen Sätzen meldete sich eine aufmerksame Leserin nach dem Artikel "Was hat die Jugend gegen das Handwerk?" (bei uns im FT am 30. Oktober 2014 erschienen) im sozialen Netzwerk Facebook. "Erkundigt euch mal, was die für einen Abschluss verlangen." Mit "die" meint die Leserin wohl die Arbeitgeber in der Region Haßberge. Aus ihrer Sicht liegt die Antwort in den Anforderungen an die zukünftigen Auszubildenden: "Viele Lehrstellen bleiben doch frei, weil die Betriebe keine Hauptschüler oder Leute ohne Abschluss nehmen", schreibt sie.
Ein bisschen anders sehen das Thomas Stelzer und Christian Kullick. Beide sind für die Jahresbilanz des Ausbildungsstellenmarktes der Region in die Agentur für Arbeit nach Haßfurt mit dem dortigen Geschäftsführer Günther Trum zusammengekommen.
Mehr Stellen als Bewerber "Schwächere Bewerber haben bessere Chancen als wie noch vor zehn Jahren", sagt Kullick, der Teamleiter der Berufsberater. Auf dem Ausbildungsmarkt ließen sich fast alle Zahlen aus zwei Sichtweisen bewerten: "Für den Arbeitgeber wird die Situation schwieriger, für die Auszubildenden besser", erklärt Stelzer die Situation als Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Schweinfurt, die für die Region Main-Rhön zuständig ist (die Region sind die Kreise Schweinfurt, Haßberge, Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld sowie Stadt Schweinfurt).
Es ist die Kurve, die die Bewerber in Relation zu den angebotenen Stellen setzt, die Sorge bereitet: "Mehr Stellen, weniger Bewerber (...)", sagt Stelzer.
In Nachbarregionen wie Schweinfurt sei dies bereits seit drei Jahren der Fall, und auch im Landkreis Haßberge habe der "Wettbewerb um die besten Köpfe begonnen".
Der demografische Wandel, der grundsätzlich weniger Nachwuchs zur Folge haben wird, sei nur einer der Faktoren. Die meisten Schüler wollten "so lange wie möglich in der Schule" bleiben und täten sich schwer, eine Entscheidung in Richtung "Was will ich werden?" zu treffen. Und wenn, dann wolle geschätzt jedes vierte Mädchen zurzeit Immobilienkauffrau werden, sagt Kullick. Auslöser für diese Begeisterung: eine Fernsehsendung im Privaten.
Die Wunschberufe Ähnliches durchlebte vor einigen Jahren das Berufsbild des Kochs. Doch die "Lebensrealität ist leicht anders", sagt Stelzer und weiß, dass es in kaum einem Ausbildungsberuf so viele Abbrecher wie hier gäbe.
Ansonsten: In den statistischen "Top Ten" der Wunschberufe steht "kein Beruf drin, der überrascht", sagt Kullick. Bei den Männern liege seit 30 Jahren der Industriemechaniker mit aktuell 242 Bewerbern um Ausbildungsstellen vorne, gefolgt vom Kfz-Mechatroniker und Industriekaufmann. Bei den Mädchen "steht eigentlich immer Kauffrau oder Angestellte" mit in der Liste dabei.
Kaum einer wolle von sich aus Handwerker werden. Weil die Eltern davon abraten und "viele dann doch einen White-Collar-Job", wie Stelzer einbringt, wählen - sprich: sauber, feste Arbeitszeiten, mit einem gewissen Prestige verbunden. Als Berufsberater weiß Kullick aber auch, dass die Jugendlichen oft mit "zu vielen Informationen überfordert werden und dann dicht machen". Rein rechnerisch klinge "mehr Stellen auf weniger Bewerber" aus Azubi-Sicht eigentlich gut, doch die wenigsten wollten eben Lackierer oder Heizungsbauer werden. Bleiben gerade die Handwerksbetriebe auf ihrer Suche nach Azubis immer wieder erfolglos, bilden kleine Unternehmen irgendwann wohl nicht mehr aus.