Arbeiten mit Behinderung: Inklusion im Landkreis Haßberge

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Arbeiten, da wo sie herkommt: Nach der Schule wollte Christina Hämmerlein aus Sylbach nicht in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten. Seit drei Jahren ist sie jetzt schon eine unverzichtbare Mitarbeiterin beim Edeka-Markt in Ebern. An der Kühltheke ist ihr Arbeitsplatz (Foto: Johanna Eckert)
Arbeiten, da wo sie herkommt: Nach der Schule wollte Christina Hämmerlein aus Sylbach nicht in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten. Seit drei Jahren ist sie jetzt schon eine unverzichtbare Mitarbeiterin beim Edeka-Markt in Ebern. An der Kühltheke ist ihr Arbeitsplatz (Foto: Johanna Eckert)
Für Sebastian Rother ist Inklusion kein Fremdwort. Er hat in seinem Betrieb umgedacht und einen sozialraumorientierten Arbeitsplatz geschaffen. "Die Menschen so nehmen wie sie sind", ist seine Philosophie.
Für Sebastian Rother ist Inklusion kein Fremdwort. Er hat in seinem Betrieb umgedacht und einen sozialraumorientierten Arbeitsplatz geschaffen. "Die Menschen so nehmen wie sie sind", ist seine Philosophie.
 
Sie gehen gemeinsame Wege (von links) : Jürgen Bode (stellvertretender. Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt), Martin Groove (Geschäftsführer der Lebenshilfe für Behinderte. Schweinfurt) und Landrat Wilhelm Schneider haben am Dienstag einen Kooperationsvertrag in Ebern unterzeichnet. Zusammen wollen sie sozialraumorientierte Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen.
Sie gehen gemeinsame Wege (von links) : Jürgen Bode (stellvertretender. Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt), Martin Groove (Geschäftsführer der Lebenshilfe für Behinderte. Schweinfurt) und Landrat Wilhelm Schneider haben am Dienstag einen Kooperationsvertrag in Ebern unterzeichnet. Zusammen wollen sie sozialraumorientierte Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen.
 
Auch der Edeka-Markt in Ebern ist dabei. Dort arbeiten Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung miteinander.
Auch der Edeka-Markt in Ebern ist dabei. Dort arbeiten Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung miteinander.
 
Mit diesem Projekt "Mensch inklusive - Arbeiten miteinander" beginnt dem Bezirkstagspräsidenten Erwin Dotzel nach eine "neue Ära": "Eine solche Maßnahme wie heute, das sind Sternstunden."
Mit diesem Projekt "Mensch inklusive - Arbeiten miteinander" beginnt dem Bezirkstagspräsidenten Erwin Dotzel nach eine "neue Ära": "Eine solche Maßnahme wie heute, das sind Sternstunden."
 
All diese Verbände, Organisationen und Personen sitzen bei dem Projekt "Mensch inklusive - Arbeiten miteiander" in einem Boot.
All diese Verbände, Organisationen und Personen sitzen bei dem Projekt "Mensch inklusive - Arbeiten miteiander" in einem Boot.
 

Der Landkreis Haßberge, die Allianz "Fachkräfte für Mainfranken" und die Lebenshilfe für Behinderte in Schweinfurt gehen neue Wege. Sie wollen sozialraumorientierte Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung schaffen.

Christina Hämmerlein arbeitet im Edeka-Markt in Ebern. In ihrer Freizeit kegelt sie mit den Sportfreunden in Unterpreppach und läuft ihre Runden auf dem Fußballplatz in Reckendorf. Die 21-Jährige hat die Schule der Lebenshilfe in Sylbach besucht und nach ihrem Schulabschluss war für sie klar: "In einer Behindertenwerkstatt will ich eigentlich nicht arbeiten." Sie wollte da bleiben, wo sie herkommt und hingehört.

Genauso wie Fabian, Lea, Dominik, Sabine und viele andere junge Menschen. Sie leben zwar mit einer Behinderung und damit etwas anders als andere Menschen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht da arbeiten können, wo andere auch arbeiten. "Menschen mit Behinderung stehen im Arbeitsleben vier Wege offen", erklärt Dr. Hans Golüke von der Lebenshilfe für Behinderte in Schweinfurt: Sie können in Werkstätten arbeiten, in Außenarbeitsgruppen oder Integrationsfirmen oder an sozialraumorientierten Arbeitsplätzen.

"Einfach eine Chance"

"Wir wollten dem Mädchen einfach eine Chance geben", sagt Sebastian Rother, Juniorchef vom Edeka-Markt in Ebern. Er sitzt gerade am Brotzeittisch mit einigen seiner 50 Mitarbeiter. "Aus der Chance sind jetzt auch drei Jahre geworden", ergänzt er. Christina Hämmerlein füllt derweil die Butter- und Margarineabteilung in der Kühltheke auf.

Beim Edeka-Markt in Ebern gefällt Christina Hämmerlein aus Unterpreppach "eigentlich alles". "Eigentlich" deshalb, weil sie viel lieber die Regale auffüllt, als die 40 Meter Glaswand der Kühltheke zu putzen. Aber das gehöre nun einmal zu ihren Aufgaben. Mittlerweile räumt sie auch die Joghurtregale selbstständig ein.

Für Sebastian Rother ist Christina Hämmerlein nicht die erste Person mit Behinderung, die er im Arbeitsleben betreut. Die guten Erfahrungen während seiner Ausbildung waren es, warum er den eigenen Lebensmittelmarkt jetzt auch mit diesem Konzept bereichert. "Jeden Menschen nehmen wir so, wie er ist", sagt der junge Mann.

Wichtige Ressourcen

Und genau letzteres machen die jungen Menschen wie Christina Hämmerlein aus und im Landkreis Haßberge. Verantwortlich dafür ist der Heilpädagoge Peter Pratsch, der bei der Lebenshilfe für Behinderte in Schweinfurt das Projekt "Mensch inklusive - Arbeiten miteinander" ins Leben gerufen hat. "Es geht darum, dass Menschen mit Behinderung ihre Fähigkeiten gemeindenah in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes einbringen können", sagt Pratsch zum Ziel des Projektes, "denn in jeder Gemeinde im Landkreis Haßberge lebt mindestens ein Mensch mit Behinderung. Und der kennt den Nachbarn, den Bürgermeister, den Metzger, den Pfarrer und den Onkel Fritz. Diese Menschen sind für sie wichtige Ressourcen und sollen beim Einstieg in das Berufsleben vor Ort helfen."

"Es geht dabei nicht um billige Arbeitsplätze", warnt Peter Pratsch, "sondern darum, die Inklusion zu fördern." Die Menschen, die im Rahmen des Projektes einer Tätigkeit bei einem Unternehmen oder einer Kommune nachgehen, bleiben weiterhin Mitarbeiter einer Werkstatt für behinderte Menschen. Sie arbeiten mindestens 35 Stunden in der Woche, wenn es sich um eine Vollzeittätigkeit handelt. Dabei müssen sie sich nach den Abläufen in den Betrieben richten und genießen keinen Sonderstatus, wie es in der Werkstatt für behinderte Menschen üblich ist. "Das ist also schon recht anstrengend, aber machbar", sagt Pratsch.

Allianz in Mainfranken

Gefördert werden Peter Pratsch und die Lebenshilfe für Behinderte von der "Aktion Mensch". Aber sie sitzen nicht alleine im Boot. Durch die Allianz "Fachkräfte für Mainfranken", einen Zusammenschluss aus Gewerkschaft, Industrie- und Handelskammern und örtlichen Agenturen für Arbeit haben sie sich einen starken Partner an die Seite geholt. Die Allianz soll "über die Möglichkeiten der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung informieren und sensibilisieren und somit kontinuierlich dazu beitragen, bestehende Hemmnisse seitens der Arbeitgeber abzubauen", ist im Kooperationsvertrag festgehalten.

Peter Pratsch kann zwar schon einige Unternehmen im Landkreis Haßberge aufzählen, die ihre wertvollen Mitarbeiter mit Behinderung nicht mehr missen möchten. Doch weiß er auch, dass vor allem in größeren Betrieben "eigene krankmachende Strukturen" die Sicht verhindern, einen Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. "Da stehen wir aber im Rahmen dieses Projektes den Betrieben mit unserem ganzen Wissen zur Verfügung." Denn: Es erfordert oft eine behindertengerechte Verfahrensumstellung im Betrieb. Umdenken, also.

"Es sei immer wieder ein Wagnis, einen Menschen mit Behinderung in dem Unternehmen oder der Kommune zu beschäftigen", weiß Peter Pratsch, doch gehe es am besten mit Menschen, die man kenne. "Wenn ich weiß, dass der junge Mann von nebenan ein feiner Kerl ist, dann setzte ich mich eher für ihn ein. Helfe ihm bei der Arbeitsplatzsuche, bilde Fahrgemeinschaften", sagt der Heilpädagoge aus seiner Praxiserfahrung. Und so entstehen sozialraumorientierte Arbeitsplätze, an denen sich die Menschen mit ihren Stärken einbringen können und ihre Schwächen überhaupt nicht auffallen.

Mit der Unterschrift des Landrates Wilhelm Schneider (CSU) verpflichtet sich der Landkreis Haßberge nun, an der Multiplikation des Projektes mitzuwirken. Netzwerke in Sachen Bildungskooperationen sollen gespannt werden und in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen macht der Landkreis seine Hausaufgaben.
In der Gemeinde Rauhenebrach läuft das Projekt schon auf kommunaler Ebene: "Mein neuer Kollege vom Bauhof und ich sind zusammen für das Gemeinwohl unserer Bürger verantwortlich", sagt Bürgermeister Matthias Bäuerlein (Freie Wähler) über seinen Kollegen, einen Menschen mit Behinderung.

Leuchtturmprojekt

Unterfrankenweit ist "Mensch inklusive - Arbeiten miteinander" ein Leuchtturmprojekt. "Das ist nicht nur ein Lichtblick, sondern richtige Sonnenstrahlen", ist Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel hellauf begeistert, "dass die IHK und alle so zusammen in einem Boot sitzen, hat es so noch nie gegeben." Bis Ende August 2017 wird dieses Projekt laufen und Peter Pratsch ist zuversichtlich, dass er noch viele der 318 Menschen mit Behinderung, die derzeit im Landkreis Haßberge in Werkstätten beschäftigt sind, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln kann. Die Unterstützung hat er: "Solche Maßnahmen wie heute, das sind Sternstunden", lobt Erwin Dotzel.