In vier Tagen ist Allerheiligen. Katholiken ehren an diesem Feiertag die Toten. Für das Ehepaar Maria und Wolfgang Müller aus Eltmann bedeutet das: 200 Grabgestecke basteln, Tränen trocknen, in Familiengeschichten eintauchen.
Erika-gewachst! Mhm... oder doch lieber knallgrüne Filzrosen? Mal ganz abgesehen von der Farbwahl, steht fest: Auf dem Hof von Wolfgang und Maria Müller gibt es viele schöne Sachen - in Herzform, als Kranz, in einer Schale, als Kette... viele bunte Gestecke, und das nicht nur für den bevorstehenden katholischen Feiertag Allerheiligen. "Manche finden aber auch, das sind alles einfach nur Staubfänger", sagt Maria Müller. Das Künstler-Credo "Geschmäcker sind verschieden" gilt wohl auch in dieser traditionellen Handwerks-Szene.
"In diesem Jahr ist erika-gewachst die Trendfarbe", sagt Maria Müller und greift in den, den und den Karton. Drei Mal kurz geschaut, drei Mal zielsicher zugegriffen: Maria hat nicht nur ein Händchen für das, was zusammenpasst, sondern auch ein Auge - und " Fingerspitzengefühl", sagt Wolfgang Müller, ihr Ehemann.
Er steht an den Nachmittagen vor Allerheiligen oft draußen im Hof. Im blauen Arbeitskittel, der gar nicht mehr so richtig blau, sondern eher grau ist. Hinter ihm stapeln sich Haufen mit Astwedeln. Grüne Tannenzweige würde der Laie vermutlich behaupten. Aber: "Alles Koniferen", sagt Müller, "Koniferen sind nämlich weicher und länger haltbar, die nadeln nicht so." Einen floristischen Merkspruch gibt es von ihm auch dazu: "Die Fichte sticht, die Tanne nicht."
Kreatives Chaos Viele Jahre seines Lebens hat Wolfgang Müller als gelernter Einzelhandelskaufmann "eingesperrt" in einem Büro der JVA verbracht: "Aber wir durften abends immer nach Hause", sagt Müller und kann über den Büroalltag der Vergangenheit, der ihm so gar nicht getaugt hat, schmunzeln. Er hat für sich rechtzeitig die Konsequenz gezogen und seinen "Floristen drauf gemacht", sagt er.
Seit 1981 verdienen er und seine Frau hauptberuflich Geld mit Pflanzen und Gestecken.
Nicht nur im Hof, der Scheune, Garage oder auf der Treppe zum Eingang reihen sich Grabgestecke, kleine Buchsbäumchen und Erika-Töpfchen nebeneinander - das ganze untere Stockwerk des Familienhauses ist voll mit buntem Krempel. In weißen Schuhkartons verteilt, und auf Biertischen gestapelt. Ein kreatives Chaos, durch das sich allein die Hausherrin zu wursteln weiß. "Als ich noch auswärts Kurse gegeben habe, musste ich immer Kisten schleppen", sagt Maria Müller und erinnert sich, wie sie am Anfang ihrer Floristen-Karriere - in ihrem Fall ohne offiziellen Ausbildungsgrad - den Hausmeister herzlich bestechen musste, wenn die bastelnden Frauen zur Sperrstunde noch nicht ganz fertig waren. Wenn sie die Kurse jetzt, wie dieser Tage für den Eltmanner Obst- und Gartenbauverein, gibt, dann hat sie alles in Griffweite.
Über den Tag verteilt, "damit nicht alle Teilnehmer auf einmal in der Werkstatt stehen", kommen immer wieder Frauen zu den Müllers. In der Werkstatt darf lange gewerkelt werden - bis tief in die Nacht, wenn es sein muss. Maria Müller sperrt auch mal am Sonntag auf, wenn jemand anruft und ein Geschenk braucht.
Unikate für die Gräber Man kommt mit einer Tüte, die voll mit allen möglichen Utensilien aus den vergangenen Jahren ist, bastelt selbst oder überlässt der Chefin das Handwerk. "Also, ne, die Blüte geht gar nicht mehr... aber hier, die Filzblume, die sieht noch aus wie neu", sagt Maria Müller und wühlt sich durch die Deko-Artikel. "Das würde ein normaler Blumenladen nie machen", sagt eine Kundin, die in all den Jahren eher schon als Bekannte zählt.
In der eingeschürten Werkstatt wird geratscht, ein warmer Kaffee getrunken, "hier wird auch mal eine halbe Stunde geweint, getröstet, und dann wieder gemeinsam gelacht", sagt Maria Müller.
Für Katholiken sei Allerheiligen am 1. November ein wichtiger Tag. "Meine Schwiegermutter hat Blumen geliebt", sagt Kundin Agnes Schmitt, "ich finde, dann muss man den Menschen so was auch zurückgeben." Viele Angehörige richten vor dem Totengedenktag die Gräber auf den Friedhöfen. Weder das Gartenbauamt Haßfurt, noch Kirchengemeinden wie Sand schreiben dabei Richtlinien vor, wie die Gestecke anzubringen sind, wie groß sie sein dürfen. "Es gehört dazu, dass die Gräber geschmückt werden, und sieht ja auch schön aus", sagt der Kreisfachberater des Landratsamtes, Johannes Bayer.
Zwei Kehrseiten hat die Sache mit dem Grabschmuck doch: Immer wieder wird geklaut und "bei manchen hat man schon das Gefühl, Hauptsache die Gestecke sind groß", sagt Schmitt.
Danach geht's in Advent Sie selbst kauft mittlerweile Endergebnisse von den Müllers, denn seit sie sich um ihren Enkel kümmert, sei immer was los: "Früher habe ich selber gesteckt, aber dafür braucht man mindestens einen Abend." Zeit und Ruhe, Material und Handwerkszeug, vor allem aber Muße. Maria und Wolfgang Müller arbeiten viel. Muße ist hier auch manchmal knapp, doch die Begeisterung am Stecken brennt noch. Maria Müller hat ein Tuch fest um den Hals gewickelt, dem Hustenreiz gibt sie erst gar keine Chance. Noch diese Woche, dann kann das Ehepaar mal wieder Kraft tanken.
Mitte November verschwinden betende Hände in den Tiefen ihrer Deko-Auswahl, und hervorgeholt werden Weihnachtswichtel, Zimtstangen und Nüsse. Was bleibt, sind die gemütlichen Handwerksstunden und die Grabgestecke, die in erika-gewachst oder knallgrün bis Ostern Wind und Wetter trotzen.