Der Willy ist ein Ehrenmann. Aller Ehren wert, ein feiner Kerl. Das glaubt er selbst auch. Aber weil er in den ganzen vergangenen Jahren viel arbeitete, hat es bei ihm nie so recht zu einer unkomplizi...
Der Willy ist ein Ehrenmann. Aller Ehren wert, ein feiner Kerl. Das glaubt er selbst auch. Aber weil er in den ganzen vergangenen Jahren viel arbeitete, hat es bei ihm nie so recht zu einer unkomplizierten Beziehung gereicht.
Ein Grund dafür war, dass Willy Schichtdienst hat und die meisten Frauen schon wieder schliefen, wenn er wach war. Und wenn er mal ein freies Wochenende hatte, dann schlief eben er und die Frauen waren wach. Irgendwie verpasste man sich halt immer und vielleicht charakterisiert auch das die modernen Zeiten. Aber vor zwei Jahren wollte es der Himmel dann doch, dass er mal eine Frau kennenlernte. Dass sie eine Auswärtige war, störte ihn nicht besonders, es kam ihm sogar gelegen.
Willy ist schon über 35 und in diesem Alter beginnen Männer komisch zu werden. Wenn sie erst einmal herausgefunden haben, wie die Waschmaschine so funktioniert und wie man sich selbst bekocht, dann kann das die Tendenz wählerisch zu werden unterstützen. Aber bei Jessica musste Willy nicht wählerisch werden, denn sie war schon ziemlich erlesen. Dass sie aus Chemnitz war, störte Willy nicht sonderlich, denn solange es bei einer Fernbeziehung blieb, musste er den Dialekt ja nicht allzu oft hören.
Begegnet sind sich Willy und Jessica auf dem Lichtenfelser Bahnhof. Er ging Kippen kaufen, und sie wartete auf Anschluss, über den Weg gelaufen ist man sich dann im dortigen Laden. Na, und wie es dann immer so ist, gab ein Blick den anderen, ein Wort das nächste und schon hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht.
Irgendwann besuchte sie ihn und er sie, irgendwann übernachtete er bei ihr und sie bei ihm, und irgendwann richtete er ihr in seinem Wäscheschrank ein Fach ein. Dort fanden sich dann bald eine Wohlfühl-Jogginghose, ein Hauch von einem Trägerkleidchen, zwei bis vier herrlich raffinierte Unterhöschen und eine verstörende Auswahl an Hygieneartikeln. Die Zeit ging ins Land, die Fernbeziehung wurde gelebt, und die Liebe wurde fad. Irgendwann formulierte Willy während einer Nachtschicht im Kreise seiner Arbeitskollegen mal den philosophischen Satz, dass er zu Jessica ein gespaltenes Verhältnis habe. Denn immer wenn sie weg ist, kommt sie ihm wie das Ideal vor, aber immer wenn sie da ist, nur wie die Wirklichkeit. Aber dennoch fielen ihm andere Frauen in der Zwischenzeit gar nicht groß auf, denn im Grunde ist Willy schon ein Genügsamer. Jessica ging sogar noch einen Schritt weiter und hielt ihm zugute, dass er womöglich ein wirklich Guter sei.
Als sie ihre große Krise hatten, erinnerte sie sich daran, und so kam es zu warmen Worten und Versprechungen. Aber dann schmollte er doch wieder in Lichtenfels und sie in Chemnitz. Oder umgekehrt. Irgendwann übernachtete er nicht mehr bei ihr und sie nicht mehr bei ihm, ergab ein Wort das andere und ein Blick den nächsten. Und schon hatte man die Telefonnummern ausgetauscht. Diesmal die eigenen. Es war vorbei, doch wenigstens war er Jessica immer treu gewesen und habe sich in diese Richtung nichts vorzuwerfen, auch wenn Jessica ihm das nicht immer glaubte. "Sie kann und darf nicht schlecht von mir denken", sagte er sich. Und dann packte er ihr ein Paket und tat alles aus dem Wäschefach hinein. Dabei malte er sich aus, welches Bedauern sie beim Öffnen überkommen wird. Und im letzten Winkel hinten links hoffte er, dass sie sich bei ihm noch mal melden würde. Aber dummerweise ist ihm beim Packen ein Malheur passiert, eine kleine Unachtsamkeit. Beim Griff ins Wäschefach entnahm er aus Versehen auch noch Claudias Unterhose und Sybilles BH. Das waren Trophäen aus besseren Zeiten, die nun ihren Weg nach Chemnitz antraten. Jessica jedenfalls hat sich noch nicht gemeldet.
Es bleibt spannend. Übermorgen ist Frühschicht.