Wiedersehen nach 75 Jahren

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Manfred Puschmann (Lichtenfels) und Helmut Glissnik (Kronach) mussten vor 75 Jahren ihre Heimatstadt Gleiwitz verlassen. Als Flüchtlinge kamen sie im selben Eisenbahnabteil in Kronach an. Dann verloren sie sich aus den Augen. 75 Jahre später trafen sie sich nun wieder. Gemeinsam betrachteten sie alte Fotos. Foto: Rainer Glissnik
Manfred Puschmann (Lichtenfels) und Helmut Glissnik (Kronach) mussten vor 75 Jahren ihre Heimatstadt Gleiwitz verlassen. Als Flüchtlinge kamen sie im selben Eisenbahnabteil in Kronach an. Dann verloren sie sich aus den Augen. 75 Jahre später trafen sie sich nun wieder. Gemeinsam betrachteten sie alte Fotos.  Foto: Rainer Glissnik

1945 als Nachbarsjungen aus dem oberschlesischen Gleiwitz geflüchtet und in Kronach gelandet. Helmut Glissnik und Manfred Puschmann lebten in Kronach beziehungsweise in Lichtenfels und trafen sich nun wieder.

Was für ein Moment: Ziemlich genau vor 75 Jahren hatten sich die beiden Gleiwitzer Helmut Glissnik und Manfred Puschmann nach ihrer Flucht zum letzten Mal im damals selbstständigen Gehülz gesehen. Nach einem Zeitungsbericht im März kam es zum Kontakt und jetzt zum Treffen.

Am 10. März früh um 3 Uhr hielt auf Gleis 3 im Kronacher Bahnhof ein Zug mit Flüchtlingen. Gemeinsam in einem Abteil Paula Glissnik mit ihren Kindern Helmut (13) und Edeltraud, dazu noch Martha Reimann, die dann einige Jahre später in Breitenloh verstarb. Und Emmi Puschmann mit ihrem sechsjährigen Sohn Manfred und Tochter Ingrid.

Am 10. März 2020 brachten Zeitungen in Kronach einen Bericht darüber, ein Freund erzählte Manfred Puschmann davon. Und der nahm Kontakt mit seinem Mitflüchtling auf. Aufgrund der Corona-Krise dauerte es etwas, aber jetzt kam es nach 75 Jahren zum Treffen. Dabei gab es so viel zu erzählen.

Im gleichen Haus in Gliwice

Helmut Glissnik hatte zur Familie Puschmann ein besonderes Verhältnis. Diese wohnte im gleichen Haus in Gleiwitz. Die oberschlesische Großstadt in Polen heißt nun Gliwice.

Am 16. September 1941 war Helmut allein mit seinem Vater in der Wohnung, als dieser nach Luft rang. Mutter und Schwester waren außer Haus, so ging Helmut zur Nachbarin Emmi Puschmann. Die eilte in der Nachbarschaft bei den Geschäften herum, um ein Telefon zu suchen und im Krankenhaus anzurufen. Ein Arzt war nicht erreichbar, zumal wegen des Kriegs viele Ärzte weg waren. Papa Franz kämpfte um sein Leben - und verstarb.

Schließlich kam der Krieg ins oberschlesische Gleiwitz. Die Mütter, Emmi Puschmann mit ihren zwei Kindern und Paula Glissnik mit Tochter Edeltraud, nutzten am 18. Januar 1945 den letzten abfahrenden Zug zur Flucht.

Flucht aus Oberschlesien

Sie fuhren nach Görtelsdorf im Riesengebirge zu Verwandten der Puschmanns. Manfred Puschmann hatte seinen Schulranzen dabei. Sein Vater war ebenso Eisenbahner wie der früh verstorbene Vater von Helmut Glissnik. Helmut wollte keine Schulzeit versäumen und blieb zurück. Erst am 15. Februar traf Helmut die Seinen wieder in Görtelsdorf im Riesengebirge, bei den Puschmanns und deren Verwandten.

Vom Riesengebirge nach Kronach

Es dauerte nicht lange und die Geflüchteten mussten entscheiden: Zurück in die besetzte Heimat oder in den Westen? Es ging in den Zug ins oberfränkische Kronach. "Der Flüchtlingszug in die Lucas-Cranach-Stadt war wohl der einzige, der nicht beschossen wurde", erklärt Manfred Puschmann. Glissniks und Puschmanns fanden in Gehülz erste Aufnahme.

Im August 1945 zogen die Puschmanns nach Neuses um, wo Manfred Puschmann schließlich in die Schule ging. Vom ersten Schuljahr in Gleiwitz hatte er nicht allzu viel mitbekommen. "Ich konnte immer noch nicht richtig lesen", erinnert er sich. In Neuses ging es nun um die Einschulungsklasse. Mit seiner Mutter lernte er ein aufgegebenes Lesestück auswendig und kam in die zweite Klasse. Er hatte hier großartige Lehrerinnen und Lehrer, die ihm viel beibrachten.

Schließlich erhielt er eine Empfehlung für das Gymnasium in Kronach, aber es war ein beruflicher Wechsel des bald nach Kriegsende heimgekehrten Vaters nach Lichtenfels absehbar. Manfred Puschmann wartete ein Jahr mit dem Übertritt und ging dann in Lichtenfels zur Schule. Am 1. Dezember 1949 erfolgte der Umzug nach Lichtenfels, wo Manfred Puschmann seine Heimat fand.

Bilder wurden gerettet

Was war bei der Flucht aus der Heimat, die letztlich für immer verloren ging, wichtig genug um mitgenommen zu werden? Helmut Glissnik rettete alle Bilder seiner Familie. Er begann eine Ausbildung bei der Maschinenfabrik Weber, wo er 49 Jahre arbeitete.

Von seiner Tante Lucia hatte Manfred Puschmann ein Fotoalbum bekommen, in dem auch Bilder aus der Gleiwitzer Heimat waren. In diesem Familienalbum fand sich ein Foto von Helmut Glissnik und seiner Schwester Edeltraud in Gleiwitz. Spontan ließ Puschmann dies in Kronach. Manfred Puschmann ging zur Post, bei der er bis zu seinem Ruhestand arbeitete.

Familiengeschichten

Weiter wurde die spannenden Familiengeschichten ausgetauscht. Manfred Puschmann hat zwei Töchter und einen Sohn, fünf Enkel und eine Urenkelin. Seine Frau Katharina stammt aus Lichtenfels, eine Schwester lebt in Michelau. Helmut Glissnik hat einen Sohn und zwei Enkel.

Puschmann kickte beim FCL

Manfred Puschmann hatte auch sein Sportalbum dabei. Ab 1952 spielte er in der Jugend des FC Lichtenfels. Am Verein hängt er nach wie vor. 1954 war er mit dem A-Jugendkader bei einem Turnier in Hermsdorf, bei dem fünf Teams aus dem Westen und fünf Mannschaften aus dem Osten antraten. An der Grenze gab es damals vor dem Mauerbau kaum Kontrollen. Auch mit der Schulmannschaft war er erfolgreich. "Mein linker Schlappen war gefährlich", erinnert sich Manfred Puschmann.

Seit fast 70 Jahren bei der DJK

1961 nahm die DJK Lichtenfels den Spielbetrieb auf. Manfred Puschmann wechselte. Nächstes Jahr wird er dem Verein 70 Jahre angehören.

So viel kam beim Wiedersehen zur Sprache, die gemeinsame Vergangenheit, die prägte und der weitere Lebensweg über 75 Jahre. Nach so vielen Jahrzehnten war die alte Bindung greifbar. Beide empfinden es als Segen, sich nach 75 Jahren wiedergesehen zu haben.