Wenn 400 Jahre alte Sorten wieder ins Bewusstsein rücken

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Barbara Suck probiert einen zum Bestimmen mitgebrachten Apfel.
Barbara Suck probiert einen zum Bestimmen mitgebrachten Apfel.

Beim Obst- und Gartenbauverein Hemhofen dreht sich (fast) alles um den Apfel. Dabei gehört Praxis und Theorie eng zusammen und vor allem Wissensvermittlung....

Beim Obst- und Gartenbauverein Hemhofen dreht sich (fast) alles um den Apfel. Dabei gehört Praxis und Theorie eng zusammen und vor allem Wissensvermittlung. Denn wer weiß schon, dass hinter dem Begriff des Paradiesapfels tatsächlich ein historisches Stück der Obstverbreitung steckt. Der Apfel stammt wie viele andere Obstarten aus der Kaukasusregion, wo es bis heute Apfel- und Walnusswälder gibt. Über Russland kam die wohlschmeckende Frucht nach Europa, der zweite Verbreitungsweg führte über Persien ins Zweistromland. Und dort siedelt bekanntlich die Bibel das Paradies an.


Über Rom nach Deutschland

Über Römer kamen auch die Äpfel, genauer: die ersten Edelsorten, wie so vieles andere nach Deutschland. Doch noch lange nicht stand der Apfel auf dem Speisezettel der einfachen Leute. Ab dem sechsten Jahrhundert wurde durch Klöster und Fürstenhöfe der Anbau gefördert. Das Wissen um Baumpflege wurde an die Untertanen weitergegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass das Wissen um gute Apfelzucht durch Apotheker, Lehrer und Pfarrer wie den bekannten Apfelforscher Korbinian Aigner tradiert wurde. Er schuf über 800 Aquarellbilder von einzelnen Apfel- und Birnensorten.
Auffällig ist, schaut man sich die Sortennamen genauer an, dass viele mit einem Ort verbunden sind. Zur Ausprägung dieser Lokalsorten, wie dem schon erwähnten Trierer Weinapfel, haben auch die Zollschranken beigetragen, die jahrhundertelang Deutschland in Kleinstterritorien zersplitterten. Die Zuchtideen wie lange Lagerfähigkeit, hoher Saftgehalt und besonderer Wohlgeschmack waren sicher identisch. Sie sind zum einen abhängig von Boden und Klima. Das kann man auch heute noch feststellen, kauft man eine handelsübliche Sorte als Baum für den Garten. Auf sandigen Böden wird beispielsweise der Geschmack von für schwere Böden gezüchtete Sorten fade bleiben. Zum anderen bremste die mangelnde Verkehrserschließung den Austausch von guten Zucht-ergebnissen über größere Räume aus. Das änderte sich schnell durch den Bau der Eisenbahnlinien. Der Markt wurde größer; der Bauer aus einem abgelegenen Dorf konnte so seine Ware in die Städte bringen und hatte einen zusätzlichen Verdienst. Gleichzeitig setzte eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit Obst ein. Das Sammeln von Sorten, das Pflanzen von vielen ganz verschiedenen Apfelsorten in einem Obstgarten kam in Mode. Glücklicherweise, muss man rückblickend sagen, denn so gibt es detaillierte Kenntnisse über besondere Eigenschaften, die weit über den Geschmack der Früchte hinausreichen.
Als Beispiel stellte die Pomologin Barbara Suck beim zurückliegenden Apfelfest die Champagner-Renette vor. Diese Sorte ist über 400 Jahre alt. Der Apfel hält sich sehr lange und ist erst nach Weihnachten zum Genuss geeignet. Man pflanzte ihn vor allem für die Saftgewinnung an. Bevor man Flaschen sterilisieren konnte, konnte man immer nur für einen recht begrenzten Zeitraum den Saft lagern. Man behalf sich mit dem Pressen von zeitversetzt ausreifenden Äpfeln. Und der für das Frühjahr war eben die Champagner-Renette.


Schorfmultiresistent

Ihr Anbau war mit Erfindung des Heißsterilisierens nicht mehr notwendig, denn nun konnte man im September und Oktober den Jahresbedarf an Saft herstellen. "Gut, dass es solche Aktivitäten wie beim Hemhofner Verein seit Jahrzehnten gibt", sagt Suck. Denn just die nicht mehr notwendige Champagner-Renette hat eine höchst aktuelle Eigenschaft: sie ist schorfmultiresistent. Schorf, eine gefürchtete Apfelkrankheit, löst ein Schlauchpilz aus und der mutiert schnell, so dass das Spritzmittel des einen Jahres im anderen schon nicht mehr hilft. Das kann man durchaus mit dem Mutieren von Grippeviren vergleichen. Und was ist klüger, als auf von Natur aus resistente Sorten zurückzugreifen?