Vor dem Bamberger Amtsgericht muss sich ein Student aus dem Landkreis wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung verantworten. Tatort vor sechs Jahren soll ein Waldstück gewesen sei.
Hat ein heute 24-jähriger Student aus dem Landkreis Bamberg vor sechs Jahren eine damals erst 13-jährige Mitschülerin sexuell missbraucht und vergewaltigt? Am Amtsgericht Bamberg müssen sich mit dieser Frage der Vorsitzende Richter Martin Waschner und seine beiden Schöffen befassen. Tatort soll ein einsamer Bauwagen in einem Waldstück im Landkreis gewesen sein.
Wenn man Judith (Name geändert) glaubt, dann hat sich in dem Bauwagen im Nirgendwo Schreckliches abgespielt. Der Täter soll ein fast sechs Jahre älterer Junge gewesen sein, den sie bei einer Orchesterfreizeit ihrer Schule kennengelernt hatte. Er soll sie so bedrängt haben, dass sie ihm mit einer Ohrfeige ein klares Stopp-Signal gab. Doch davon ließ sich der körperlich überlegene Heranwachsende nach ihrer Aussage nicht aufhalten. "Er hat nur gelacht." Schon hätte er sie auf das Bett geworfen und beider Hosen heruntergezogen. Was sie danach über sich ergehen lassen musste, soll mit Rücksicht auf die noch immer schwer traumatisierte Judith nicht weiter ausgeführt werden. Die Rettung sei dann ein Anruf ihres Vaters gewesen. Das Klingeln des Smartphones habe die schmerzhaften Zudringlichkeiten beendet. Nur so viel: Juristisch handelt es sich um den Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Vergewaltigung.
Vier Jahre lang schwieg Judith - aus Sprachlosigkeit, Furcht oder Scham. So genau kann das niemand sagen. Erst als sie vor zwei Jahren ein ähnliches Erlebnis hatte, kamen die schlimmen Erinnerungen wieder hoch. Bei einem Barbesuch in Bamberg wurde sie ihrer Schilderung nach erneut Opfer sexualisierter Gewalt. Ein junger Afghane soll mit ihr erst getanzt, dann sie auf einen Hinterhof geführt und sie zum Oralsex genötigt haben. Allerdings sprach der angebliche Täter von einvernehmlichem Tun. Zeugen für die Szene selbst gab es keine, wohl aber solche, die von reichlich Alkohol, Zungenküssen auf der Tanzfläche und einer enthemmten Judith sprachen. Einer gab sogar an, er habe sie von dem Afghanen wegziehen müssen. Das Verfahren gegen den Beschuldigten wurde schließlich eingestellt.
Was die heute 20-jährige junge Frau beim Ermittlungsrichter genau ausgesagt hat, das blieb unbeteiligten Zuschauern verborgen. Zum Schutz der Privat- und Intimsphäre des Opfers wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen. "Das geht zu sehr ins Detail", so ihre Rechtsanwältin Martina Leuteritz aus Bamberg. Allerdings war Judith nicht selbst anwesend. Stattdessen wurde ein rund einstündiges Video ihrer Vernehmung vorgespielt.
Hinzu kamen einige Schulfreundinnen von damals, denen sich Judith teilweise anvertraut hatte. Eine berichtete davon, dass der Angeklagte auch ihr, als sie noch unter 14 Jahren und damit ein Kind gewesen sei, sexuell anzügliche Textnachrichten geschickt hätte. Eine andere erzählte von sexuellen Phantasien des Angeklagten, in denen von masochistischen Praktiken mit einer Zigarettenkippe die Rede gewesen sein soll.
Schlimme Folgen
Dass etwas Grauenhaftes passiert sein muss, das scheint im Hinblick auf eine psychiatrische Odyssee Judiths sicher. "Sie wollte einen Kumpel-Freund und empfand es als großen Vertrauensbruch", so eine Schulpsychologin. Judith litt in der Folge unter einer Borderline-Störung, bei der sie sich Schnittverletzungen an den Unterarmen beibrachte. Sie bekam Essstörungen, die in einer Bulimie gipfelten. "Sie fühlte sich in ihrem Körper nicht mehr wohl", so ihre beste Freundin. Auch vertraue sie Männern nicht mehr, habe nach der Episode in dem Bauwagen mit dem Boxtraining angefangen. "Sie gab sich die Schuld, weil sie ihm vertraut hatte." Hinzu kamen eine Depression, die sie mit Medikamenten zu bekämpfen suchte, und Flashbacks, in deren Verlauf Judith immer noch seine Finger spürte. Durch die Vernehmung beim Ermittlungsrichter angeschlagen, musste sie mehrere Monate in die Bamberger Nervenklinik St. Getreu. "Sie wirkte dabei apathisch, starrte an die Wand, ich hatte echt Angst um sie", so eine Zeugin.
Ob es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommt, wird maßgeblich von der Expertise der Diplom-Psychologin Gabriele Drexler-Meyer abhängen. Denn harte Beweise gibt es ebenso wenig wie Zeugenaussagen zum Tatgeschehen. Die Sachverständige aus Nürnberg wird in ihrem aussagepsychologischen Gutachten feststellen, ob sich Judith die Geschichte nur ausgedacht hat, oder ob sie den schweren sexuellen Missbrauch und die Vergewaltigung wirklich erlebt hat. Der Prozess wird am 24. Juni um 13 Uhr fortgesetzt. Dann ist auch mit einem Urteil zu rechnen.