Verwöhnte Kriegsgefangene?

2 Min
Heinrich Hirschfelder
Heinrich Hirschfelder
 
 
Kuratus Andreas Walter
Kuratus Andreas Walter
 

Gefangene französische Soldaten konnten sich 1914 vergleichsweise frei in Effeltrich bewegen. Einigen Bewohnern stieß dies allerdings bitter auf.

Bereits im Herbst des Jahres 1914 wurde in Erlangen bei der Artilleriekaserne ein Barackenlager für 3 600 Kriegsgefangene eingerichtet. Das Lager bestand bis ins Jahr 1921. Auch Arbeitskommandos wurden von dort in die Region um Forchheim entsandt.
Der Erlanger Historiker Heinrich Hirschfelder geht in seiner 2016 erschienenen Untersuchung "Das Kriegsgefangenenlager Erlangen und seine auswärtigen Arbeitskommandos im Ersten Weltkrieg" in einem Kapitel auf die in Effeltrich eingesetzten französischen Kriegsgefangenen ein. Demnach kam es 1916 zu einer Anzeige, dass die vier hier untergebrachten französischen Kriegsgefangenen sich gegen alle Vorschriften frei und unbewacht im Ort bewegen könnten. Zwar sei "ihr Benehmen anständig", Anstoß aber errege es dennoch: Weil die Gefangenen - wie ein Bauer aus dem Ort klagte - vom örtlichen Geistlichen geradezu "verwöhnt" würden. Dies sei "ganz unwürdig und ungehörig".
Aufgrund dieser Anzeige musste der Erlanger Lagerkommandant, Hauptmann Franz Saran (1866-1931) eine "vertrauliche Nachschau" durchführen. Zusammen mit einem Dolmetscher fuhr er in Zivilkleidung an einem Septembersonntag nach Effeltrich. Seine dort gemachten Beobachtungen hielt er anschließend handschriftlich auf sechs Seiten fest. Seine Notizen sind in der sogenannten "Kriegssammlung" der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg archiviert.
Saran, der von Beruf Professor für Deutsche Philologie an der Universität Erlangen war, hielt in seinen Beobachtungen fest, dass die vier erwähnten Franzosen nach dem Gottesdienst um 11 Uhr unbewacht die Kirche verließen. "Ein Posten war nicht zu sehen. In sehr eleganter Kleidung gingen die 4, ebenfalls allein, durch das Dorf nach ihrem Quartier ins Rathaus."
Aus ihrem Verhalten schloss Saran, dass "sie und das Dorf an dieser Art freien Verkehrs ohne Posten vollkommen gewohnt zu sein" schienen, "da niemand von ihnen Notiz nahm". Entgegen allen Vorschriften kaufte den Aufzeichnungen zufolge später einer von ihnen im "Erlweinschen Gasthaus" etwas ein, ein anderer "unterhielt sich etwa 20 Minuten mit einem Zivilisten vor der Post - ohne dass jemand Anstoß daran nahm: ohne Zweifel war man diese Art der freien Bewegung der Gefangenen vollkommen gewohnt".
Später stellte sich heraus, dass zwei der vier Gefangenen aus Gaiganz kamen und damit gegen das strenge Verbot verstießen, "Kameraden in Nachbarorten aufzusuchen oder im Orte selbst unbeaufsichtigt herumzustreunen". Als Saran die vier Franzosen dann anhielt, antworteten sie, dass sie auf dem Weg zum Priester seien. Sie besuchten ihn ihren Angaben zufolge einmal ihm Monat und bekämen von ihm täglich den "Fränkischen Kurier" zugeschickt.
Hirschfelder nennt in seinem Buch keinen Namen. Aber aus der Kirchengeschichte von Albert Löhr über Effeltrich ergibt sich, dass der betreffende Geistliche der Kuratus Andreas Walter gewesen sein muss, der von 1907 bis 1927 die Pfarrei betreute. Über ihn beklagte sich der Effeltricher Bürgermeister bei Hauptmann Saran: Der Pfarrer missachte die Vorschriften für den Umgang mit den Gefangenen, empfange sie "fast jeden Sonntag nach der Kirche bei sich im Hause" und er sei auch für einen Vorfall verantwortlich, der zur Versetzung eines Wachtpostens geführt habe.
Nach Aussage des Bürgermeisters habe damals der Kuratus ein "Festessen" der "Gefangenen mit dem Posten in Baiersdorf" angeregt und auch selbst daran teilgenommen. "Der Posten sei eigentlich nicht der Schuldige gewesen, sondern allein der Geistliche. Er, der Bürgermeister, habe sich auch schon über den Kuratus beim Bezirksamt [in Forchheim] beschwert. Dies habe nicht eingegriffen. Infolgedessen seien die Verhältnisse so weit gekommen." Hauptmann Saran urteilte abschließend: "Der Kuratus hat sich in grober Weise gegen die Bestimmungen über den Verkehr mit Kriegsgefangenen vergangen und dadurch im Dorfe großen Anstoß und Unwillen der Bevölkerung erregt. Bei der Autorität, die er im Dorfe hat, hat er die Begriffe der Dorfbewohner verwirren müssen und die Autorität des Bürgermeisters, des staatlichen Organs, untergraben."
Was mit den vier französischen Kriegsgefangenen passiert ist, lässt Hirschfelder offen. In der Regel sind Kriegsgefangene, die sich nicht entsprechend der Vorschriften verhalten haben, ins Stammlager zurückbeordert worden. Ob Kuratus Andreas Walter vor ein Schöffengericht gestellt wurde, bleibt ebenso unbeantwortet. Von anderen, die zu vertraulich mit Kriegsgefangenen umgegangen sind, wissen wir, dass ihr "Fehlverhalten" von Schöffengerichten geahndet wurde.