Überleben nach dem Zweiten Weltkrieg

3 Min
Die Kartoffelernte im Frankenwald war ein durchaus mühevolles, aber freudiges Ereignis. Mit im Bild der Kinderwagen Repros: Gerd Fleischmann
Die Kartoffelernte im Frankenwald war ein durchaus mühevolles, aber freudiges Ereignis. Mit im Bild der Kinderwagen  Repros: Gerd Fleischmann
Die Bauern im Landkreis Kronach nahmen eine Sonderstellung ein. Zur Bestellung der Felder wurden vor allem Pferde eingesetzt.
Die Bauern im Landkreis Kronach nahmen eine Sonderstellung ein. Zur Bestellung der Felder wurden vor allem Pferde eingesetzt.
 
Landrat Hans Pabstmann
Landrat Hans Pabstmann
 
Das Brotbacken in den Dörfern, wie hier in Wilhelmsthal hatte in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung.
Das Brotbacken in den Dörfern, wie hier in Wilhelmsthal hatte in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung.
 
Wasserentnahmestelle in der Dorfmitte von Langenau
Wasserentnahmestelle in der Dorfmitte von Langenau
 

In der Zeit nach 1945 war auch im Kreis Kronach fast jedes Mittel recht, um zu überleben. Notwendige Lebensmittel konnte nicht herbeigeschafft werden, weil es an Autos fehlte. Bauern wurden aufgefordert, Getreide fürs Brotbacken abzuliefern.

Die Nachkriegsjahre standen ganz im Zeichen einer kritischen Ernährungslage. Die Lebensmittelration lag 1946 bei gerade mal 1275 Kilokalorien (kcal). Für viele Menschen ging es in jener Zeit um das nackte Überleben. So mancher Stallhase landete im fremden Kochtopf. Ja, von einer regelrechten Krisenkriminalität war die Rede. Deutschland glich einem einzigen großen Schwarzmarkt. Um zu überleben, war fast jedes Mittel recht. Schließlich war bei vielen Menschen die Unterernährung der Normalzustand.

Besondere Blüten trieb der illegale Handel. Die Stadt- und Landpolizeistationen reagierten mit verstärkten Platz-, Zug- und Bahnhofskontrollen auf das Überhandnehmen von Schieber- und Schwarzmarktaktivitäten.

Unmut wegen Brotkürzungen

Landrat Hans Pfretzschner hatte bereits im Mai 1946 die Militärregierung davon in Kenntnis gesetzt, dass die Ernährungslage besorgniserregend sei. Vor allem die Brotkürzungen sorgten für Unmut im Volk. Und es kam sogar zu Hungerdemonstrationen vor dem Kronacher Rathaus. Zahlreiche Frauen hatten sich am 7. Mai 1948 am Rathaus eingefunden und höhere Lebensmittelrationen gefordert. Die katastrophale Ernährungslage führte sogar dazu, dass die Arbeitsleistungen merklich sanken. Es häuften sich Ohnmachts- und Schwächeanfälle. Erhebliche Wachstumsstörungen und Untergewicht dominierten bei den Kindern. Lediglich neun Prozent der Buben hatten 1946 Normalgewicht.

Kostenlose Schulspeisung

Als segensreich erwies sich die kostenlose Schulspeisung (täglich 350 kcal.) ab Juni 1947 und bis 1950. Mit Hilfe der Amerikaner konnte im Landkreis Kronach - wie auch anderswo - das Schlimmste auf diese Weise verhindert werden. Durchschnittlich kamen zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr an 250 Schultagen pro Jahr an die 12 000 Kinder in den Genuss der Schulspeiseung. 1949 wurden immerhin 2,6 Millionen Essensportionen aus 300 Tonnen Lebensmitteln an die Schüler im Frankenwald verteilt. Erinnert sei aber auch an die legendäre Care-Paket-Aktion der Amerikaner für die Erwachsenen.

In der Nachkriegszeit lagen vielfach die Nerven blank. Wehe, es wurden bei den Kontrollen der Ernährungsämter A (Gewerbe) und B (Bevölkerung) überzählige, also nicht gemeldete Lebensmittelbestände, festgestellt. Da war dann der Teufel los und die Volksseele kochte förmlich. Die Tagesration für den Normalverbraucher betrug 1948: 285 Gramm Brot, 285 Gramm Kartoffeln, 2,7 Gramm Fett, 2,2 Gramm Käse, 14 Gramm Fleisch mit Knochen, 9 Gramm Fisch, 35 Kubikzentimeter Milch, 18 Gramm Nudeln, 18 Gramm Suppen, 9 Gramm Kochmehl, 25 Gramm Rohzucker, 11 Gramm weißer Zucker und 4,5 Gramm Kaffee-Ersatz.

In der ersten Bürgermeisterversammlung 1947 richtete Landrat Hans Pabstmann (CSU) einen Aufruf an die Kommunalpolitiker, gemeinsam die wachsende Not zu meistern: "Nur durch einen Ausgleich zwischen den vom Krieg Verschonten und seinen Opfern kann die soziale Kluft, in die sich das deutsche Volk zwischen Besitzenden und völlig Verarmten zu spalten droht, überbrückt und den harten Tatsachen des Jahres 1947 begegnet werden."

Auch der Leiter des Ernährungsamtes, Heidenreich, bezeichnete die Ernährungslage im Kreis als weiterhin äußerst ernst. Er bemängelte, dass die Fahrbereitschaft den Grossisten kein Transportmittel zur Verfügung stelle, wodurch für den Kreis vorgesehene Nahrungsmittel nicht stets sofort herbeigeschafft werden könnten.

Auch das Amt selbst könne dringend erforderliche Kontrollen nicht durchführen, weil es keinen Wagen zu Verfügung habe. Für die vollständige Erfassung von Lebensmitteln seien dauernde Hofbegehungen notwendig. Ein Drittel der Gemeinden sei dieser Verpflichtung noch nicht nachgekommen. Die zuletzt angelieferten Mengen von Brotgetreide (348 Doppelzentner) reichten nur für zwei Tage. Immer noch gäbe es Bauern, die einem krankhaften Egoismus huldigen, so Heidenreich.

90 Rinder pro Woche

In der Fleischversorgung bleibe es vorläufig bei der Schlachtung von 90 Rindern pro Woche. Die Milchbelieferung habe sich zwar im letzten Vierteljahr um 22 Prozent erhöht, erreiche aber bei weitem noch nicht den Stand der Kriegsjahre, unterstrich der Ernährungsamtsleiter die schwierige Lage.

Gemüse fehlt

Auch der Leiter des Ernährungsamtes B, Emil Sieg, beklagte, dass die notwendigsten Kontrollen, vor allem von Schwarzschlachtungen, durch den Mangel eines Amtsautos erschwert worden sei. Ebenso seien Tausende Zentner von Gemüse dem Kreis entgangen, weil sie wegen des Fehlens von Lkws nicht hätten herbeigeschafft werden können.

Die schwierige Ernährungslage setzte sich auch 1948 fort. Im Mai 1948 richteten Vertreter vom Landratsamt, Ernährungsamt, Bauernverband sowie katholischem und evangelischem Dekanat Kronach einen eindringlichen Appell an die Bäuerinnen und Bauern, nicht mehr nur die formellen Ablieferungen zu erfüllen, sondern auch "das Letzte" herzugeben, was nicht unbedingt zur Bewahrung des eigenen Lebens erforderlich sei.

Dazu der Aufruf: "Ihr Bäuerinnen und Bauern seid unsere letzte Hoffnung und Hilfe. Ihr wollt und könnt nicht zusehen, wie die in der Industrie und den Gewerben arbeitenden Menschen zugrunde gehen. Von ihrer Arbeit hängt auch Eure Existenz ab. Wo so vieles versagt hat, seid Ihr in den Augen aller die letzte Rettung! Verhärtet Ihr Eure Herzen und schließt Ihr Eure Hände, so werden Euch Tausende toter Kinder und fürs Leben ruinierter Frauen und Männer anklagen!"