Mit dem Projekt "Im Gedenken der Kinder" nimmt die Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg mit zahlreichen Kooperationspartnern nicht nur ein historisch bedeutsames Thema ins Visier. Ein Gespräch.
Zum einen wollen Ausstellungen im Stadtarchiv und in der Werkstatt "RehaWe" der Lebenshilfe Bamberg die Erinnerung an die Opfer der NS-Medizinverbrechen wachhalten, zum anderen werden aktuelle ethische Fragen im Umgang mit
Kindern gestellt. Im Gespräch mit unserer Zeitung beleuchtet Mechthildis Bocksch, stellvertretende Vorsitzende der Willy-Aron-Gesellschaft, die Veranstaltungsreihe.
Was hat die Willy-Aron-Gesellschaft dazu bewogen, Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit zum Thema einer Veranstaltungsreihe zu machen?
Mechthildis Bocksch: Seit 2003 engagiert sich die Willy-Aron-Gesellschaft dafür, dass die Erinnerung an die Menschen, die der Willkür des NS-Regimes zum Opfer fielen, im kollektiven Gedächtnis bewahrt wird und dass deren Leid gewürdigt wird. Zu diesen Menschen zählten stets Kinder. Seit 2016 erinnert dank
vieler Spender das Mahnmal für Widerstand und Zivilcourage an diejenigen, die bereit waren, in einer "schier ausweglosen Situation das politisch und menschlich Notwendige zu tun" indem sie sich der "braunen Flut" widersetzten. Die Kinder dieser Mutigen haben viel gelitten und mussten noch nach 1945 Verachtung, Ausgrenzung, Beschämung und Gleichgültigkeit erfahren. Von daher war der Blick auf die Kinder, die in der NS-Zeit als "lebensunwert und unerwünscht" erklärt worden waren, naheliegend.
Weil diese Erinnerung schmerzhaft ist, haben wir uns zu einer Veranstaltungsreihe entschlossen und einen Bogen zur Gegenwart gespannt. Wir erzählen und reflektieren Geschichte und Geschichten. Wir möchten diesen ins öffentliche Bewusstsein verhelfen.
Haben Bamberger Mitschuld an diesen Verbrechen?
Wir suchen nicht nach Schuldigen. Wir fragen: Was hat vor 100 Jahren alles zusammengewirkt, dass die Menschen derart entsolidarisiert wurden, dass sich die deutsche Gesellschaft in der NS-Zeit auf diese erbarmungslose Weise selbst verstümmeln konnte? Wie war es möglich, dass Menschen die ihnen anvertrauten Kinder zwangssterilisierten, sie einer "verbrauchenden Forschung" zuführten, bei welcher der Tod schon Bestandteil des Forschungsdesigns war, oder dass man sie unter dem Vorwand der "Erlösung von ihrem Leiden" töteten?
Wozu brauchte die Gesellschaft Kinder? Welches Menschenbild und welche ethischen Überlegungen waren handlungsleitend? Im Begleitprogramm werden diese Fragen auch für die Gegenwart aufgegriffen.
Wo sehen Sie heute Tendenzen der Ausgrenzung und Missachtung von Menschen mit Behinderung?
Menschen möchten in jedem Alter so "normal" wie möglich leben. Sie möchten anerkannt werden, Schutz und Zugehörigkeit erfahren und ihre Integrität wahren können. Bleiben diese Grundbedürfnisse im Umgang miteinander oder strukturell unberücksichtigt, dann werden Menschen tagtäglich ausgegrenzt und missachtet, ohne dass dies richtig wahrgenommen wird. Leider wird dies durch unseren Staat "geduldet". In der NS-Zeit hat der Staat selbst Menschen missachtet und ausgegrenzt. Die Ausstellung der Geschichte der Lebenshilfe zeigt, was an Positivem erkämpft wurde. Andererseits haben Ausgrenzung, Missachtung, Rücksichtslosigkeit, Erniedrigung, Härte, Gewalt und Beschämung eine lange gesellschaftliche Tradition. Die Frage bleibt, wie gehen wir miteinander um? Wie kann es uns gelingen, mit Unterschiedlichkeit und Verletzlichkeit so umzugehen, dass wir die Würde des Menschen achten und miteinander wachsen?
Die Fragen stellte
Marion Krüger-Hundrup.